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Chavismus ohne Chávez

Marc Koch, Buenos Aires11. Dezember 2012

Venezuelas krebskranker Präsident hat seinen Wunsch-Nachfolger ernannt. Das sieht nach geordneter Machtübergabe aus. Trotzdem fürchten viele Chaos nach der Ära Chávez.

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Sogar sein Twitter-Account schweigt. Ganz gegen seine Gewohnheit hat Venezuelas Präsident Hugo Chávez den Kurznachrichtendienst seit über einem Monat nicht mehr benutzt. Auch im Fernsehen, seinem anderen bevorzugten Kommunikationsmedium, war er seit drei Wochen nicht mehr zu sehen gewesen - genau so wenig wie in der Kampagne zu den Regionalwahlen, die am kommenden Wochenende stattfinden. Umso überraschter waren die Venezolaner, als ihr krebskranker Präsident am Samstag alle Radio- und Fernsehsender des Landes zusammenschalten ließ, um eine ebenso kurze wie sensationelle Botschaft zu verkünden: Sollte er seine Amtsgeschäfte nicht mehr führen können, wünsche er sich seinen Vize-Präsidenten und Außenminister Nicolás Maduro als Nachfolger.

Übergang und Unsicherheit

Damit hat Hugo Chávez, der gerade für eine vierte Amtszeit wiedergewählt worden ist, zum ersten Mal zugegeben, dass er vielleicht doch nicht weitermachen kann. Er muss sich einer vierten Operation auf Kuba unterziehen, ihr Ausgang und seine Chancen auf Erholung sind ungewiss. Doch von ihnen hängt das Schicksal Venezuelas ab.

Hugo Chavez bei Stimmabgabe (Foto: Reuters)
Präsident bei Präsidentenwahl: Hugo Chávez im OktoberBild: Reuters

Die Ausrufung eines Nachfolgers ist "eine große Staffelübergabe", sagt Javier Corrales, Politikprofessor an der US-Elite-Universität Amherst College. "Es ist ganz klar, dass die Übergangsphase begonnen hat, und so etwas ist immer von einer ausgesprochenen Unsicherheit geprägt." Auch wenn Chávez seiner Partei und seinen Anhängern den Wunschkandidaten Maduro als besten Mann empfiehlt, heißt das noch lange nicht, dass diese ihm folgen.

Keiner ist wie Chávez

Nicolás Maduro, ein ehemaliger Busfahrer und Gewerkschaftsführer, ist ein enger Freund des Präsidenten und einer der Wenigen, die alle Einzelheiten über Chávez’ Gesundheitszustand kennen. Als Außenminister hat er besonnen und geschickt agiert. In Chavisten-Kreisen ist er beliebt, er gilt als zurückhaltend, hat aber in den letzten Jahren seinen Einfluss konsequent ausgebaut. "Maduro ist ganz klar ein Mann der Linken, er kommt aus der Sozialistischen Liga, er ist Zivilist und er genießt das Wohlwollen der kubanischen Regierung - aber er könnte Schwierigkeiten mit dem Militär haben", urteilt die venezolanische Sozialhistorikerin Margarita López Maya.

Offiziell hat in der Vereinigten Sozialistischen Partei niemand gegen Maduros Ernennung zum Kandidaten rebelliert. Dennoch gibt es neben dem Außenminister einen zweiten starken Mann - den Parlamentpräsidenten Diosdado Cabello. "Cabello hat wirklich Macht, er kontrolliert die Partei und das Parlament, er kommt aus dem Militär, auch er ist ein Vertrauter von Chávez", sagt López Maya. "Trotzdem haben weder er noch Maduro die Führungsfähigkeiten, um die Partei und die Basis so zu kontrollieren, wie Chávez das kann."

Hugo Chavez und Nicolas Maduro (Foto: Reuters)
Chávez' Wunschkandidat: Wird Nicolás Maduro (r.) tatsächlich sein Nachfolger?Bild: Reuters

Kontinuität oder Chaos?

An diesem Punkt bekommt die Frage der Nachfolge auch international große Bedeutung: Trotz aller Exzentrik, die Chávez an den Tag legt, trotz seiner revolutionären Attitüde vor allem gegenüber den USA, trotz seiner diplomatischen Flirts mit dem Iran, mit Syrien, Belarus (Weißrussland) oder China - der amtierende Präsident ist außenpolitisch berechenbar. Für lateinamerikanische Staaten wie Bolivien, Kuba, Ecuador oder Nicaragua, die der venezolanische Präsident ideologisch, aber auch mit seinen Ölmilliarden unterstützt, ist es gar existentiell, wer Chávez beerben wird. Und ausländische Investoren fürchten einen chaotischen Übergang der Macht fast mehr als den heutigen, vorhersehbaren sozialistischen Interventionismus.

Dass Chávez das weiß, hat er bei seinem Auftritt am Wochenende gezeigt: Überdeutlich oft hat er Partei und Anhänger zu Einigkeit und Patriotismus aufgerufen und sie gebeten, dem "venezolanischen Weg zum Sozialismus" weiter zu folgen. Das wird nur gehen, wenn der Nachfolger über Chávez’ Geschick verfügt, die verschiedenen Gruppierungen innerhalb des chavismo zusammenzuhalten. Ein möglicher Machtkampf würde nicht nur das Land, sondern auch seine ökonomische Basis, die Erdöl-Industrie, empfindlich destabilisieren. "Ich sehe keine unmittelbare politische Krise in den ersten Wochen und Monaten", analysiert Margarita López Maya, "da werden noch Mitgefühl und Solidarität mit dem Präsidenten vorherrschen. Aber mittelfristig wird es Unsicherheit geben. Denn der chavismo ist viel zu heterogen, mit zu vielen internen Spannungen, mit einer sehr personalisierten Führungskultur."

Vor seinem Abflug nach Kuba erklärte Chávez mit Blick auf seinen Wunsch-Nachfolger Maduro, die Republik und die Revolution seien in guten Händen. Für wie lange, sagte er nicht.