Chilenische Bergleute gerettet - und nun?
19. Oktober 2010Der offizielle Staatsbesuch von Chiles Präsident Sebastián Piñera in London begann am Montag (18.10.2010). Piñera war bereits am Samstag in London angekommen, da er sich dort einige Sehenswürdigkeiten ansehen wollte. So besuchte er am Sonntag das Imperial War Museum, wo er sich über den ehemaligen britischen Premier Winston Churchill informierte, den er "sehr bewundere". Dort traf er auch Churchills Enkelin Celia Sandys.
"Lektion gelernt"
Auch bei Piñeras Europareise bleibt die Rettung der 33 chilenischen Bergleute ein zentrales Thema. So hat der chilenische Präsident für die Queen und Premierminister David Cameron Steine aus der Mine San José als Gastgeschenk mitgebracht. Auch hat er den Zettel mit der ersten Nachricht der Bergleute mit im Gepäck.
In einem Interview mit der britischen Rundfunkanstalt BBC kündigte Sebastián Piñera an, die chilenischen Bergwerke sicherer zu machen. Seine Regierung habe aus der Beinahe-Katastrophe in der Mine von San José "seine Lektion gelernt." Alle Regelungen zu den Bergwerken würden durchgesehen. Das Budget für Sicherheitsmaßnahmen werde verdreifacht. Zudem werde Chile einem internationalen Abkommen beitreten, das Bergleuten das Anzeigen von Missständen unter Tage erlaubt. "Wir können nicht garantieren, dass es in Zukunft keinen Unfall mehr geben wird. Aber wir können garantieren, dass wir das Nötigste tun werden, um eine sicherere Bergwerksbranche in unserem Land zu haben", so Piñera.
Kampf um die Kapsel
Derweil wird in Chile offensiv um die Rettungskapsel und die beiden Ersatzkapseln gebuhlt. Die tatsächlich eingesetzte Kapsel "Phoenix 2" soll zunächst in Chiles Hauptstadt Santiago auf der Plaza de la Constitución vor dem Präsidentenpalast aufgestellt werden. Innenminister Rodrigo Hinzpeter erklärte, dass die Chilenen sie dort ansehen und fotografieren könnten. Zwei Städte haben allerdings schon Anspruch auf die Kapsel angemeldet: Zum einen Copiapó, die nächst-größere Stadt an der Mine. Sie liegt rund 70 Kilometer westlich. Zum anderen die Stadt Talcahuano, 2000 Kilometer südlich der Mine. Dort sind die Rettungskapseln in einer Werft der Marine hergestellt worden.
Eine der beiden Ersatzkapseln soll zunächst in Copiapó bleiben, wo viele der Bergleute leben. Die andere Ersatzkapsel soll im chilenischen Pavillon auf der Expo in Shanghai ausgestellt werden. Innenminister Hinzpeter regte an, ein Bergbaumuseum zu gründen, in dem die Rettungskapseln später ausgestellt werden könnten.
Schweigepakt bestätigt
Einige der 33 ehemals verschütteten Bergleute haben am Sonntag eine Messe unter freiem Himmel am Unglückort besucht. Über ihre Zeit unter Tage haben sie bisher noch nicht viel erzählt. Bergmann Juan Illanes hat das Gerücht bestätigt, dass die Kumpel in der Tiefe einen Schweigepakt geschlossen haben und dass sie ein Buch über ihre Erfahrungen während der 69 Tage, in denen sie eingeschlossen waren, schreiben wollten. Alberto Iturra, der Psychologe der Kumpel, hatte bereits vorher angedeutet, dass es solch eine Vereinbarung gebe: "Es gibt die Vereinbarung, nichts über andere zu erzählen. Ich finde es bewundernswert, wie sich die Kumpel bisher geäußert haben. Sie haben genau das gesagt, was sie wollten und nicht mehr."
Die Bergleute haben unterdessen an die Medien appelliert, ihre Privatsphäre zu respektieren. Bergmann Illanes forderte die Journalisten auf, rücksichtsvoller mit seinem Kollegen Johnny Barrios umzugehen: "Es wäre sehr gut von ihnen, wenn sie nicht so ein Spektakel um ihn machen würden." Barrios steht im Fokus der Öffentlichkeit, weil sich seine Frau und seine Geliebte öffentlich gestritten hatten. Nach seiner Rettung hatte ihn seine Geliebte abgeholt.
Schweigepakt gebrochen
Ein Bergmann hat den Schweigepakt allerdings zumindest teilweise gebrochen. So hat Richard Villarroel in einem Interview Einblicke in die ersten beiden Wochen gegeben, noch bevor die Bergleute wussten, dass Hilfe kommen würde. "Wir haben auf den Tod gewartet. Wir verkümmerten. Wir waren so dünn", so Villarroel zu der "Washington Post". Er selbst habe in dieser Zeit 26 Pfund abgenommen. Einige Kumpel seien so sicher gewesen, dass sie sterben würden, dass sie in ihre Schlafstätten gekrochen seien und nicht mehr aufstehen wollten. Villarroel hatte demnach "Angst, mein Baby nicht mehr kennenzulernen, das war das, worauf ich am meisten gewartet habe."
Geschenke und Kommerzialisierung
Die Bergleute werden derzeit überhäuft mit Geschenken und Angeboten. Schon bei der Rettung hatte eine US-amerikanische Firma 450 Dollar teure Spezialbrillen gesponsert, damit die Kumpel keine Augenschäden nach der langen Zeit in der Dunkelhat davontragen. Die NASA hatte die Spezial-Overalls gestiftet, die die Kumpel bei der Rettung trugen.
Nach der Rettung schenkte eine US-amerikanische Computerfirma jedem Bergmann einen teuren MP3-Player. Ein griechisches Unternehmen bot den Bergleuten eine Reise auf eine Insel an. Nun hat der englische Fußballclub Manchester United die 33 zu einem Heimspiel im nächsten Jahr eingeladen. Diese Einladung überbrachte United-Team-Manager Sir Alex Ferguson dem chilenischen Präsidenten in London. "Der Mut, die Tapferkeit und das Durchhaltevermögen der Bergleute und der Rettungskräfte war inspirierend. Es ist eine Ehre für uns, eine Einladung nach Old Trafford auszusprechen", erklärte Ferguson. Vorher hatte bereits der spanische Rekordmeister Real Madrid die Bergleute zu einem Heimspiel eingeladen.
Zu einer "spirituellen Weihnachtsreise" hat Israels Tourismusminister Stas Misezhnikov die 33 Bergleute eingeladen. Ihr Überleben hätten die Männer "ihrer Tapferkeit, Geistesstärke und ihrem großen Glauben" zu verdanken, so der Minister. Mit der Einladung nach Israel solle den Kumpel die Gelegenheit gegeben werden, besondere Dankgebete für Ihre Rettungs auszusprechen.
Verschiedene Zeitungen, TV- und Radiosender boten den Kumpels viel Geld für Interviews an. Auch als Werbefiguren werden die 33 Bergleute gehandelt. Ein Hersteller von Potenzmitteln möchte beispielsweise mit einem der Geretteten werben.
Autor: Marco Müller (dpa, afp, ap, sid, kna)
Redaktion: Oliver Pieper