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Ort der Erinnerung

11. Januar 2010

20 Jahre nach dem Ende der Pinochet-Diktatur eröffnet in Chile erstmals ein Museum, das die Verbrechen dieser Zeit aufarbeitet. Präsidentin Bachelet hat das Projekt entscheidend voran getrieben, sie selbst war Opfer.

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Protesmarsch 2006 in Santiago de Chile (Foto: AP)
Kein Verzeihen, kein Vergessen: Chile 33 Jahre nach dem Militärpusch von PinochetBild: AP

"Die Hälfte der Chilenen war noch nicht geboren, als diese Dinge geschahen", sagt Marcia Scantlebury, Gründungsdirektorin des "Museo de la Memoria", des "Museums der Erinnerung" in der chilenischen Hauptstadt Santiago. Diese Dinge - das waren die Verbrechen der Militärdiktatur von General Augusto Pinochet zwischen 1973 und 1990. Erbarmungslos verfolgten staatliche Sicherheitskräfte Sympathisanten des gestürzten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende: linke Politiker, Gewerkschafter, Studenten und Guerilleros gehörten zu den Opfern. Rund zweitausend Regimegegner wurden von Militär und Polizei umgebracht, fast 1200 Menschen "verschwanden" und gelten heute ebenfalls als tot, Zehntausende erlitten Folter. "Alles geschah im Verborgenen. Die Gefangenen wurden unsichtbar gemacht, der Staat raubte ihnen ihre Identität, verwandelte sie in Namenlose, ließ sie einfach verschwinden", erinnert sich Marcia Scantlebury.

Marcia Scantlebury (Foto: DW)
Marcia Scantlebury hat Gefangenschaft und Folter selbst erlebtBild: DW

Das Museum der Erinnerung will die Gesichter der Toten nun zeigen und sie würdigen. Aber auch Opfer, die die Diktatur überlebten, bekämen in dem Museum Gesicht und Stimme, so Scantlebury: "Bevor sie sterben, wollen wir ihre Erinnerungen sammeln und der Öffentlichkeit zugänglich machen, vor allem den Generationen, die nach dem Diktatur-Ende 1990 geboren wurden", sagt Marcia Scantlebury. Sie selbst erlebte den Putsch 1973 als junge politische Aktivistin, sie wurde gefangen genommen und gefoltert, lebte im Untergrund und im Exil.

Die Vergangenheit ruhen lassen?

In dem langgestreckten und lichtdurchfluteten 5000-Quadratmeter-Neubau, der jetzt das Museum der Erinnerung und der Menschenrechte in der chilenischen Hauptstadt beherbergt, haben sie und ihre Mitarbeiter Fotos, Zeitdokumente, zahlreiche Tonaufnahmen, Filme und Erinnerungstücke zusammengetragen. Zu der Sammlung gehören etwa Nachrichten von politischen Häftlingen und Handarbeiten, die in Diktaturgefängnissen entstanden.

In rechten politischen Kreisen stieß das Museumsprojekt der Regierung von Michelle Bachelet zum Teil auf Ablehnung: "Es gibt Leute, die argumentieren, man solle nicht in der Vergangenheit wühlen, denn das werde das Land wieder spalten", erinnert sich die Gründungsdirektorin. Sie selbst lobt den Museumsbau als mutige Entscheidung der Präsidentin, denn einem großen Teil der Chilenen sei das Thema Diktatur-Aufarbeitung unangenehm: "Aber Bachelet ist, genau wie ich, davon überzeugt, dass man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen muss, damit solche Verbrechen nie wieder passieren!"

Das Museum der Erinnerung in Chile (Foto: DW)
Aufarbeiten und Erinnerungen bewahren: Das sind die Ziele des 'Museo de la Memoria'. Zu sehen sind zahlreiche Fotos, Zeitdokumente, Tonaufnahmen, Filme und Erinnerungstücke.Bild: DW

Die Aufarbeitung hat angefangen

Das Museum der Erinnerung informiert über den Staatsterrorismus und die Menschenrechtsverletzungen der siebzehn Diktaturjahre, nicht aber über die vorangegangene, konfliktreiche und von politischer Gewalt geprägte Regierungszeit Salvador Allendes: Forderungen, die Ausstellung um diesen historischen Abschnitt zu erweitern, wurden nicht berücksichtigt. Viviana Díaz von der "Vereinigung der Angehörigen verschwundener Gefangener" ist damit zufrieden: "Glücklicherweise ist klar definiert worden, dass sich das Museum ausschließlich mit den Geschehnissen nach dem Militärputsch befasst. Der 11. September 1973 markiert das Ende der Demokratie in Chile." Zumindest erwähnt werden im Museum der Erinnerung auch einige Vertreter der chilenischen Sicherheitskräfte, die bei linksextremistischen Anschlägen getötet wurden.

Viviana Díaz (Foto: DW)
Forderte schon lange einen Ort der Erinnerung: Viviana DíazBild: DW

Für Viviana Díaz, deren Vater - ein Gewerkschaftsführer und kommunistischer Politiker - 1976 verschwand, ist die Museumseröffnung eine Genugtuung. Die Angehörigen-Vereinigung, der sie viele Jahre vorstand, hatte seit langem einen zentralen Ort der Erinnerung gefordert. Doch noch wichtiger sind für die Angehörigen die Wahrheitsfindung und die Bestrafung der Täter. Die juristische Aufarbeitung der Verbrechen habe sich in den letzten Jahren positiv entwickelt, erkennt Viviana Díaz an. "Viele Verfahren sind in Gang gekommen und werden von Richtern bearbeitet, die sich ausschliesslich dieser Aufgabe widmen. Dadurch hat es vielfach Fortschritte gegeben, unter anderem im Fall des Verschwindens meines Vaters."

Nach 31 Jahren erfuhr die Tochter die Umstände der geheimen Haft und der Ermordung von Victor Díaz. "Obwohl die Wahrheit sehr schmerzt, ist es besser, als weiter mit dieser schrecklichen Ungewissheit zu leben", erklärt die Tochter. Wegen der Verschleppung und des Mordes an Victor Díaz stehen heute mehr als siebzig ehemalige Militärangehörige vor Gericht. Insgesamt müssen sich in Chile derzeit etwa siebenhundert einstige Mitglieder der Sicherheitskräfte vor der Justiz verantworten und rund hundert Täter verbüßen Haftstrafen.

Autorin: Victoria Eglau

Redaktion: Ina Rottscheidt

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