China, unbeliebter Sieger des Corona-Jahres
27. Oktober 2020China hat die Pandemie in den Griff bekommen. Aber gilt das auch für die Kollateralschäden auf internationaler Bühne? Schließlich musste sich Peking mit massiver Kritik aus dem Ausland an seinem intransparenten Verhalten zu Beginn der Corona-Krise auseinandersetzen und setzte dazu die ganze Bandbreite seiner Propagandamittel ein, wobei viel diplomatisches Porzellan zerschlagen wurde. Dabei tat sich auch US-Präsident Donald Trump hervor, etwa mit seiner Wortschöpfung vom "China-Virus".
Peking beließ es nicht bei Retourkutschen gegen Trump. Chinesische Diplomaten nutzten alle verfügbaren Plattformen wie Twitter oder Facebook, die in China verboten sind, um den Kurs der KP zu verteidigen. "Aggressive, zum Teil auch als rassistisch wahrgenommene Stellungnahmen zum Umgang mit der Pandemie außerhalb Chinas - so etwa Vorwürfe ineffizienter Gesundheitssysteme oder zynischen Verhaltens ausländischer Politiker im Angesicht zahlloser Todesopfer - wurden etwa in Schweden, Großbritannien, den Niederlanden und Frankreich registriert", schreibt Heike Holbig vom Hamburger GIGA Institut für Asien-Studien in ihrem Aufsatz "Vom Krisenherd zum Krisenheld: Chinas Umgang mit COVID-19".
Beschränkte Schicksalsgemeinschaft
Dies war indes nur eine Phase in der politischen Kommunikation Chinas, die in internationalen Medien so genannte "Wolfskrieger-Diplomatie", die Ende Mai wieder abebbte. Chinas Führung wechselte flexibel zwischen Verteidigungs- und Angriffsmodus, signalisierte aber auch Kooperationsbereitschaft, so Ende März auf einem virtuellen G20-Gipfel. Dabei stellte Staats- und Parteichef Xi Jinping den Kampf gegen die Pandemie unter den Leitbegriff der "Schicksalsgemeinschaft der Menschheit". Er ist allerdings schon seit einigen Jahren in der Parteisatzung der KPCh und der chinesischen Verfassung enthalten.
Praktische Umsetzung findet das große Wort zum Beispiel in der Kooperation bei der Entwicklung von Impfstoffen. So arbeitet der deutsche Pharmakonzern Merck nach eigenen Angaben in mehr als 50 Projekten für Impfstoffe mit, "die in globalen Netzwerken extrem gut funktionieren. Amerikaner, Chinesen, Europäer, Japaner und andere arbeiten zusammen", schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Kritische Botschaften für Chinas Außenminister
Auf Gebieten jenseits der Virusbekämpfung herrscht jedoch weiterhin ein gespanntes Verhältnis zwischen China und dem Westen, das sich durch die Pandemie zusätzlich verschlechterte.
Bei den chinesisch-amerikanischen Beziehungen ist diese Spannung quasi systemimmanent (meistens werden die beiden Mächte als globale Rivalen bezeichnet), in Bezug auf die EU ist das nicht ganz so deutlich. Jedoch haben der aufgrund der Pandemie virtuell abgehaltene China-EU-Gipfel unter deutscher Ratspräsidentschaft, hochrangige Gespräche zwischen der EU und China seit Juni sowie die Europa-Reise des Außenministers Wang Yi Ende August/Anfang September die Differenzen klar zutage treten lassen.
Insbesondere das neue nationale Sicherheitsgesetz für Hongkong, durch das sich Peking umfassende Vollmachten für die Unterdrückung von Dissidenten verschafft hat, wurde von Berlin und EU kritisiert. Dies wies die chinesische Seite als Einmischung in innere Angelegenheiten zurück.
EU als Wunschpartner bei gutem Verhalten
Die Differenzen wurden von Peking für das einheimische Publikum beschönigt. "Neben der geäußerten Kritik unterschlug die chinesische Seite auch die Betonung grundsätzlicher Werte- und Systemunterschiede", schreibt Heike Holbig vom GIGA Institut. "Stattdessen verlautbarte das chinesische Außenministerium, dass die EU die VR China weiterhin als Partner, nicht als Gegner betrachte und dass es keine fundamentalen Interessenkonflikte gebe. Chinesische Leser erfuhren auch, dass die EU am Multilateralismus festhalten wolle und interessiert sei, die multilaterale Kooperation mit China auszubauen, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Klimawandel, nachhaltige Entwicklung und Zusammenarbeit mit Afrika."
Holbig schlussfolgert aus diesen "gezielten Umdeutungen", dass für Peking die EU und andere Mächte außer den USA "als vorübergehend irregeleitete, aber (noch) in keinem fundamentalen Gegensatz stehende Akteure gelten, die man streng, aber wohlwollend behandelt und für die eigene Sache zu gewinnen sucht."
Peking spielt Klima-Karte
Ein Mittel dazu könnte das von Xi Jinping Ende September vor der UN-Generalversammlung per Videobotschaft angekündigte Ziel Chinas sein, bis zum Jahr 2060 "Kohlendioxid-Neutralität" zu erreichen. Mit dieser Zusage schwang sich der Hauptemittent vom Kohlendioxid weltweit mit 27 Prozent fast über Nacht zum globalen Vorreiter des Klimaschutzes auf.
Wie China das Ziel erreichen will, ist bislang nicht bekannt. Aber man will Xi beim Wort nehmen: Zu groß ist die Hoffnung, China in der internationalen Klimapolitik ins Boot holen zu können. "Das Fehlen eines konkreten Fahrplans macht Xis Zusage umso bemerkenswerter", schreibt das britische Wirtschaftsmagazin "Economist". "Sein ehrgeiziges Vorhaben erfordert einen neuen Ansatz der wirtschaftlichen Entwicklung, der bald hervortreten muss."
Einblick in einen solchen neuen Ansatz erhofft man sich vom neuen chinesischen Fünfjahresplan, der von Montag (26.10.2020) an auf dem 5. Plenum des Parteitags in Peking beraten wird und Anfang kommenden Jahres vorgestellt werden soll.
Wachstumszahlen machen Freude
Auf kurze Sicht steht jedoch die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-Pandemie im Fokus, und auch hier blickt man hoffnungsvoll auf China. Das Land hat sich als einziges aus dem zwischenzeitlichen Abschwung herausgearbeitet und eine sogenannte V-Kurve hingelegt. Das Wachstum des 3. Quartals lag mit 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum fast wieder auf Vor-Corona-Niveau.
"China ist die einzige große Volkswirtschaft auf der Welt, die einigermaßen unbeschadet aus der Corona-Krise herauskommt", zitiert die FAZ Jörg Zeuner, Chefvolkswirt von Union Investment. Der Internationale Währungsfonds (IWF) geht davon aus, dass China den Hauptanteil an einem prognostiziertem Weltwirtschaftswachstum von 0,6 für 2021 haben wird.
Noch Chancen für Investitionsabkommen EU-China?
Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten sind jedoch gegenseitig, auch China ist auf Handel und ausländische Investitionen angewiesen. In diesen Bereichen will es diversifizieren, d.h. seine Beziehungen zu asiatischen und europäischen Handelspartnern ausbauen und sich von den USA stärker unabhängig machen.
Vor diesem Hintergrund bestehen vielleicht doch noch Chancen für den Abschluss eines Investitionsschutzabkommens der EU mit Peking. Es soll faire Wettbewerbsbedingungen zwischen chinesischen und europäischen Unternehmen gewährleisten. Dass dieses Ziel in diesem Jahr höchstwahrscheinlich verfehlt wird, ist für Mikko Huotari, Leiter des Berliner China-Forschungsinstituts Merics, gravierender als Chinas Verhalten in der Pandemie. Letzteres habe nur einen generell pessimistischen Trend in der Sicht auf China verstärkt, sei aber nicht der Auslöser für diese Wahrnehmung gewesen.
Huotari will die Chance für den Abschluss eines Investitionsabkommens noch während der Kanzlerschaft Merkels aber nicht völlig ausschließen, machte er in einem aktuellen Podcast der Merics-Reihe "ChinaPower" deutlich: "Das würde zeigen: Es ist möglich, mit China zu Lösungen auf dem Verhandlungsweg zu kommen, was derzeit wohl niemand behaupten würde." In diesem Fall dürften die Erinnerungen an Schuldzuweisungen aus dem Beginn der Pandemie und an Debatten um generös scheinende, aber eigentlich eigennützige Maskenlieferungen gänzlich in den Hintergrund treten. Sie wurden jetzt schon durch Chinas deutliche Erfolge zurückgedrängt.