Kontroverse um Flugroute M503
1. Februar 2018Seit Jahren arbeitet Richard in der ostchinesischen Metropole Shanghai. Der gebürtige Taiwanese will auch wie in den vergangenen Jahren das Frühlingsfest mit der Großfamilie auf Taiwan feiern. Ende Januar überraschte ihn jedoch eine Mitteilung der chinesischen Fluggesellschaft China Eastern Airlines, dass sein Flug nicht stattfinden würde. Die Begründung: die Behörde in Taiwan habe zwei Wochen vor dem geplanten Abflug dem Antrag auf zusätzliche Charterflüge noch immer nicht stattgegeben.
Auslöser: M503
Der Streit wurde durch die Diskussion um die neue Flugroute M503 ausgelöst. Schon 2007 plante China im Rahmen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO eine neue Route zwischen dem chinesischen Festland und Taiwan. Der einzige bestehende Luftkorridor A470 ist mit 1200 Flugbewegungen am Tag völlig ausgelastet.
Zwar genehmigte die ICAO noch im selben Jahr die neue Route mit dem Code M503 und den Verbindungstrecken W121, W122 und W123 für Flüge zwischen Xiamen, Fuzhou und Dongshan auf dem chinesischen Festland und Taiwan. Doch das Problem dabei ist, dass die Route M503 fast parallel zur Mittellinie der Taiwan-Straße führt. Stellenweise verläuft sie nur 7,8 Kilometer westlich der Mittellinie. Außerdem hält die taiwanesische Luftwaffe in den angrenzenden Flugräumen militärische Übungen ab. Nach Protesten durch den damals in Taiwan amtierenden chinakritischen Präsidenten Chen Shui-bian wurde die Route M503 nie genutzt, bis 2015.
Kompromiss, aber keine Einigung
Seit 2015 regierte in Taiwan dann wieder die chinafreundliche Kuomintang (KMT) unter Präsident Ma Ying-jeou. China und Taiwan einigten sich sich auf den Kompromiss, dass nur Flugbewegungen von Norden nach Süden auf der Route M503 zulässig sind und die Route um zehn Kilometer nach Westen verlegt wird, zum chinesischen Festland hin. Auf die drei Verbindungsstrecken wurde damals verzichtet.
Am 29. März 2015 erfolgte dann der erste Flug von Shanghai nach Hongkong über die Flugroute M503, die mittlerweile täglich bis zu 200 mal - überwiegend für internationale Flugverbindungen - genutzt wird.
China will mehr
Anfang Januar 2018 verkündete China einseitig, die Flugroute auch für Flüge vom Süden nach Norden zu genehmigen. Taiwan forderte Gespräche, China lehnte ab. "Die Flugroute verläuft ausschließlich über den chinesischen Luftraum", sagte Ma Xiaoguang, Sprecher des chinesischen Büros für Taiwan-Angelegenheiten, "eine Abstimmung mit Taiwan ist nicht notwendig".
Daraufhin schrieb die zivile Luftfahrtbehörde Taiwans die betroffenen Fluggesellschaften an und forderte sie auf, die Route M503 nicht zu benutzen. Die internationalen Airlines stellten ihre Flüge auf der umstrittenen Route ein, während zwei chinesische Fluggesellschaften die Forderung Taiwans ignorierten. Neben China Eastern nutzte auch die regionale Xiamen Airlines die Verbindungsstrecke W122 ohne Abstimmung mit Taiwan.
Daraufhin schob Taiwan die Anträge chinesischer Fluggesellschaften auf zusätzliche Charterflüge zum Frühlingsfest, das am 16. Februar beginnt, auf die lange Bank. Am 30. Januar kündigten die Airlines dann an, nicht mehr auf die Entscheidung aus Taiwan zu warten und insgesamt 176 Charterflüge zum Frühlingsfest zu streichen. 50.000 Fluggäste sind betroffen.
Taiwans Verkehrsministerium schloss daraufhin nicht aus, Militär-Flugzeuge einzusetzen, um die gestrandeten Landsleute von der von Taiwan kontrollierten Insel Kinmen, die nur wenige Kilometer vom kommunistisch kontrollierten Festland entfernt ist, auf die Hauptinsel zu fliegen. Ein Sprecher der Luftfahrtbehörde deutete sogar an, man könne den Fluggesellschaften vom Festland die Flugrechte entziehen.
Von China nach Taiwan schwimmen?
Der Verband taiwanesischer Unternehmer in der Volksrepublik sieht die überhitzte Debatte kritisch. "Die Regierung in Taipeh soll uns einfach sagen: Ihr müsst leider einen Rettungsring nehmen und zum Frühlingsfest nach Hause schwimmen!", schimpfte der Verbandsvorsitzende Lee Cheng-hung. Die Taiwanesen auf dem Festland, die zu ihren Familien reisen wollen, würden so zum Spielball der Politik gemacht.
Die Vorgehensweise der taiwanesischen Regierung wird auch in der Inselrepublik kontrovers diskutiert. "Die Leidtragenden sind unsere Unternehmer" oder "Die Luftfahrtbehörde hat sich verzockt", schreibt die eine Fraktion im Internet. "Warum wird die Provokation durch China nicht kritisiert, aber dagegen unsere eigene Regierung?" "Wir sollen die Direktflüge einstellen!", schreibt die andere Fraktion.
Politische Eiszeit
Reguläre Direktflüge zwischen China und Taiwan konnten erst 2009 aufgenommen werden. Vorher mussten die Passagiere an einem dritten Ort umsteigen, in der Regel Hongkong oder Macau. China betrachtet Taiwan nämlich als abtrünnige Provinz.
2016 gewann die chinakritische Demokratische Fortschrittspartei (DPP) die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Präsidentin Tsai Ing-wen ging zu Peking auf Distanz. Sie will zwar am Status quo festhalten, aber vom sogenannten "Konsens von 1992" nichts wissen. Vor 26 Jahren hatten sich Vertreter aus Peking und Taipeh auf das "Ein-China-Prinzip" verständigt. Allerdings versteht Peking darunter die "Volksrepublik China", Taipeh dagegen die "Republik China".
Schuldfrage
China belaste die Beziehungen durch inszenierte Zwischenfälle und bringe Ungewissheiten in die Beziehungen, glaubt der Politologe Tong Li-wen vom Taiwan Thinktank, der auch DPP-Mitglied ist. Beachtenswert sei aber, dass die Airlines selbst die Anträge zurückgezogen haben.
Präsidentin Tsai müsse ihre China-Politik klarer formulieren, glaubt Sun Kuo-hsiang von der National Chung Hsing University in Taichung. Es sei einfach zu optimistisch, anzunehmen, dass sich Peking durch Verhandlungen auf Tsais Regierung zubewegen werde.
China versuche schon seit längerem, die Mittellinie als faktische Grenze in der Taiwan-Straße zu ignorieren, um einer Wiedervereinigung näher zu kommen. Und die Diskussion um die Flugroute M503 sei dafür eine "Steilvorlage".
Die Familie von Richard hatte allerdings noch Glück. Sie konnte einen Flug mit Zwischenstopp in Macau rechtzeitig ergattern. Allerdings mit einem Aufenthalt von acht Stunden.