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Chinas Journalisten zeigen Mut

Matthias von Hein19. Februar 2006

Die chinesische Medienwelt ist in den vergangenen Jahren bunter, unterhaltsamer, leser- und nutzerfreundlicher geworden. Nur freier wurde sie nicht: Für kritische Berichte werden immer mehr Journalisten bestraft.

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Wandzeitung im chinesischen GuangzhouBild: picture-alliance/dpa

Der englische Schriftsteller George Orwell prägte einmal die Formel: "Wer die Vergangenheit kontrolliert, der kontrolliert die Zukunft - und wer die Gegenwart kontrolliert, der kontrolliert die Vergangenheit." Auch die chinesische Regierung kennt diese Gesetzmäßigkeit. Ende Januar hat sie die Wochenzeitung "Bingdian" (Gefrierpunkt) geschlossen. "Bingdian" hatte wiederholt in seinen Beiträgen das Geschichtsbild in Frage gestellt, das chinesische Schulbücher vermitteln und das in der Öffentlichkeit gepflegt wird.

Die Verfolgung nimmt zu

In den zwei Jahren unter dem neuen Staats- und Parteichef Hu Jintao wurden mehr Zeitungen geschlossen und Journalisten inhaftiert als in den gut zehn Jahren seines Vorgängers Jiang Zemin. Nirgendwo sitzen heute mehr Journalisten in Haft als in China. Entsprechend enttäuscht sind jene, die sich vom Generationenwechsel in der chinesischen Führung Schritte in Richtung einer Liberalisierung erwartet hatten. Zu ihnen gehört die taiwanesische Schriftstellerin und Journalistin Long Yingtai. Auch sie hatte Beiträge in "Bingdian" veröffentlicht. Nach der Schließung der Wochenzeitung hatte Long Yingtai ihrer Enttäuschung in einem offen Brief an Hu Jintao Luft gemacht:

Presse in China- Illustrierte
Illustrierte in einem Laden in SchanghaiBild: picture-alliance/dpa

"Nach der Machtübernahme hatten wir große Hoffnungen auf diesen jüngeren Politiker gesetzt", erzählt Yingtai. "Er könnte so viel bewirken im 21. Jahrhundert - auch einen Frühling für die Medien, für die Pressefreiheit!" Aber bislang sei das genaue Gegenteil zu beobachten gewesen. "Was mit den Zeitungen 'Southern Weekend' und 'Beijing News' passiert ist, und vieles andere, was ich im Brief erwähnt habe, bis hin zu 'Bingdian'. Bingdian war wie die letzte Kehle, die durchschnitten wurde. Und das können wir nicht mehr ertragen."

Lange Haftstrafen für Berichte zu SARS

Die von Long Yingtao erwähnte "Southern Weekend" gehört zur berühmten "Southern" Gruppe aus der südchinesischen Provinz Guangdong. Die hatte den investigativen Journalismus in China wieder entdeckt. Und die Provinzfürsten schauten gerne zu, solange der Ruhm gemehrt wurde und die Auflagen stiegen - durch die Aufdeckung von Skandalen und Korruptionsfällen in anderen Provinzen.

2003 aber begannen die "Southern"-Journalisten auch in Guangdong selbst zu recherchieren. Sie deckten die Vertuschung von SARS auf. Sie berichteten von Sun Zhigang, der willkürlich von der Polizei verhaftet worden und in seiner Zelle zu Tode geprügelt worden war. Und sie berichteten Anfang 2004 über erneute Versuche, das Auftreten vereinzelter SARS-Fälle zu vertuschen. Provinzparteichef Zhang Dejiang, auch im Pekinger Zentralkomitee vertreten, holte zum Gegenschlag aus und ließ die drei leitenden Redakteure verhaften. Die wurden unter so fadenscheinigen Korruptionsvorwürfen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, dass in der Berufungsverhandlung die Urteile gemildert werden mussten.

Lückenhafte Zensur

Dieser Fall zeigt auch eine unerwartete Ursache der Schließungs- und Verhaftungswelle: Chinesische Journalisten werden mutiger. Und angesichts der Fülle an Publikationen ist eine lückenlose Kontrolle der Beiträge vor Veröffentlichung nicht mehr möglich. So wie im Fall des "Handelsblatts" aus Hunan, der Heimatprovinz von Mao Zedong: Das hatte im August 2005 berichtet, wie lokale Behörden Bergwerksunglücke vertuschten - durch Bestechung der zur Berichterstattung anreisenden Reporter. Der Beitrag enthielt eine Fülle von Details - inklusive der von den Behörden für die Bestechungen bereitgestellten Summe: Nämlich 200.000 Yuan (20.000 Euro). Die Zensoren erfuhren von dem Beitrag erst nach der Veröffentlichung - und schlossen die Zeitung.

Der Journalist Wu Xianghu aus der ostchinesischen Provinz Zhejiang wiederum musste seinen Mut mit dem Leben bezahlen. Wus Zeitung hatte am 19. Oktober kritisch über die lokale Polizei berichtet. Tags darauf überfielen Polizisten die Redaktion, schlugen Wu zusammen und brachten ihn mit einem Polizeifahrzeug weg. Wu hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine Lebertransplantation hinter sich. Die Misshandlungen verschlimmerten die Krankheit. Anfang Februar verstarb Wu.

Neues Selbstbewusstsein

Die Medien-Leute sind indes immer weniger bereit, sich die Schikanen und Übergriffe der Staatsmacht widerspruchslos gefallen zu lassen. Schon im Falle der "Southern"-Redakteure hatten 2.300 Journalisten im August 2005 einen offenen Brief an das Gericht unterschrieben und Gerechtigkeit für die Verurteilten gefordert. Und auch im Falle von "Bingdian" wird im Internet um Unterstützung geworben.

Der Pekinger Schriftsteller Yu Jie bestätigt, dass chinesische Medien-Leute selbstbewusster geworden sind. Dies habe sich vor allem bei den letzten beiden Vorfällen, der Absetzung der Verantwortlichen bei "Beijing News" und der Schließung von "Bingdian", gezeigt. "Da haben die Redakteure nicht nur innerhalb des Systems protestiert", sagt Yu. "Sie nutzten auch das Internet als Plattform, veröffentlichten dort offene Briefe. Dadurch wollen sie mehr Aufmerksamkeit erregen und durch die internationalen Medien Druck auf die Regierung erzeugen." Die Medienmacher hätten eine neue Kultur und Zielrichtung entwickelt und solidarisierten sich bei Druck von oben. "Vor zehn Jahren wäre das unvorstellbar gewesen."

"Bingdian"-Chefredakteur Li Datong hat inzwischen sogar Beschwerde gegen die Schließung bei der Disziplinkontrollkommission der Partei eingelegt. Jüngste Entwicklungen lassen die Hoffnungen auf einen Neustart von Bingdian jedoch schwinden. Am 9. Februar wurde erneut ein Chefredakteur entlassen. Chen Jieren von der "Public Interest Times" musste seinen Hut nehmen. Vermutlicher Grund: Die Zeitung hatte die mangelhafte sprachliche Qualität der neu gestarteten englischsprachigen Webseite der chinesischen Regierung kritisiert. Inzwischen bewies auch Chen viel Mut: Im Internet veröffentlichte er einen offenen Brief, um seinen beschädigten Ruf wiederherzustellen.