Chinas mächtiger Onkel Xi
4. Januar 2015So etwas habe ich in den zwanzig Jahren, die ich nun in China lebe, noch nicht erlebt. Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping greift so hart durch wie schon lange kein anderer vor ihm. Seit fast zwei Jahren Präsident und über zwei Jahre Parteichef tut Xi alles daran, das bisherige China umzukrempeln. Die Liste seiner bisherigen Errungenschaften ist schon heute eindrucksvoll angesichts Xis kurzer Amtszeit. Vorderste Priorität hat für ihn seine Antikorruptionskampagne. Bisher kennen nur zwei Prozent der Deutschen Xi, doch seit Anfang Dezember dürfte sein Bekanntheitsgrad nicht nur in Deutschland gestiegen sein.
Hartes Durchgreifen gegen Parteikader
Seitdem sitzt Zhou Yongkang – bis 2012 noch selbst einer der mächtigsten Männer Chinas und damals Mitglied im ständigen Ausschuss des Politbüros, zudem ehemaliger Sicherheitschef - in Haft. Ein Verfahren gegen ein so hochrangiges Mitglied der Partei hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Damit stellt Staats- und Parteichef Xi Jinping ein weiteres Mal unter Beweis, dass er beim Kampf gegen die Korruption nicht mit der Wimper zuckt, auch mit aller Härte gegen Spitzenfunktionäre, die sogenannten "Tiger", vorzugehen. Gleichzeitig signalisieren die nunmehr täglichen Meldungen über gefasste korrupte Kader, wie mächtig Xi mittlerweile geworden ist.
Wie mächtig, hat Xi in den vergangenen Wochen seinen Landsleuten, vor allem aber dem Westen gegenüber deutlich demonstriert. Erst im Oktober sind Dutzende Staatsführer aus dem asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum zum APEC-Treffen nach Peking gereist, um lukrative Verträge mit China zu unterzeichnen. Auch Barack Obama kam für Umweltschutzverhandlungen nach Peking geeilt. Eine Geste, die zeigt, dass China in der Weltordnung nur noch ein paar Schritte hinter den USA steht.
Ausbau der chinesischen Wirtschaftmacht
Es war in der Vergangenheit absolut unüblich, in so kurzem Abstand zur Amtseinführung, eine so beeindruckende Fülle an Initiativen und Prozessen anzustoßen, wie Xi dies in der kurzen Zeit getan hat. Bisher galt die Devise des verstorbenen Führers Deng Xiaoping so lange abzuwarten, bis die Zeit reif sei, bevor man auf sich aufmerksam macht. Xi dagegen hat seit seinem Amtsantritt schon zahlreiche Staatsreisen nach Asien, Europa und Afrika unternommen und dabei Chinas Rolle als Wirtschaftsmacht international immer weiter ausgebaut. Ende November erst ist er von einer mehrtägigen Tour nach Australien, Neuseeland und den Fiji-Inseln zurückgekehrt, wo er reichlich Geschenke verteilte.
Zu seinen Errungenschaften gehört zudem, dass die Rechtsstaatlichkeit zum ersten Mal Thema auf dem 4. Plenum des 18. Parteitages war. Es wäre schön, wenn die Antikorruptionskampagne der Kommunistischen Partei auch Anlass dafür wäre, endlich transparente und für die allgemeine Öffentlichkeit nachvollziehbare Gerichtsverfahren zu führen. Das wäre in meinen Augen ein großer Sprung vorwärts in Richtung Rechtsstaatlichkeit. Doch immer mehr wird klar, dass ausgerechnet die Parteispitze um Xi dies anders sieht. Und der gute Ansatz ins Leere führt, wenn niemand mehr nachvollziehen kann, wer wofür verurteilt wurde. Die gilt für die "Fliegen", also dem kleinen Mann genauso, wie für Topkommunisten wie jüngst Zhou Yongkang.
Mehr Druck auf Andersdenkende
Xis Härte wendet sich auch gegen die Meinungsfreiheit, Andersdenkende und die Rechte von Minderheiten. Deutlich mehr Menschen, die diesen Gruppen angehören, werden verhaftet, seit Xi an der Macht ist. Das ist die Schattenseite seiner Durchsetzungskraft. Denn auch in diesen Fällen gibt es keine Transparenz. Die Intransparenz und Willkür verbreitet Angst im Land, eine Angst die gegenwärtig das Land lähmt und durchaus dazu führen kann, dass Xis eigentlich sinnvolle Antikorruptionskampagne auf immer mehr Widerstand im Land stößt. Und gegen das Land, gegen die Mehrheit der Menschen kann selbst Xi nicht gewinnen. Die entscheidende Frage: Ist es für ein Land gut, wenn ein Politiker über eine solche Machtfülle verfügt?
Eines ist jedenfalls klar. Xi benutzt die Kampagne auch, um seine politischen Widersacher los zu werden. Und niemand weiß genau, ob ein Verhafteter wirklich korrupt war oder nur der falschen Seilschaft angehörte. Das alles schließe ich ein, wenn ich feststelle, dass Xi Jinping seit Deng der einflussreichste Politiker Chinas ist. Man könnte auch sagen der Durchsetzungsstärkste. Denn in nur knapp zwei Jahren hat er mehr geschafft als viele seiner Vorgänger in ihrer gesamten Amtszeit – im Positiven wie Negativen. Das mag auch daran liegen, dass die Partei erkannt hat, dass ihr zukünftiger Kurs nicht nur über Chinas Zukunft bestimmt. Die wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen geben China immer mehr Einfluss auf das Schicksal vieler Länder im Westen. Mit Xis Amtszeit ist demnach eine neue Ära Chinas eingeleitet worden, in der China sich nun auf der politischen Weltbühne neu positioniert. Wie die Ära im Westen ankommt, ist noch offen.
Volksnähe und Ehefrau steigern Beliebtheit
Ich habe mich gefragt, warum ausgerechnet Xi so erfolgreich ist. Es mag auch daran liegen, dass der 61-Jährige einen Stab von PR-Managern beschäftigt, die sein Image in der Öffentlichkeit polieren. So zeigt sich Xi äußerst volksnah und man sieht Bilder von ihm Maultaschen essend in der Menge anstatt bei teuren Staatsbanketts. Auch zu öffentlichen Terminen lässt er sich lieber im Minibus als in der Staatslimousine vorfahren.
Schon als 21-Jähriger trat der Sohn einer Politikerfamilie der Partei bei und ist in den Rängen der Kommunistischen Partei schnell aufgestiegen. Als Gouverneur von Fujian hat er den wirtschaftlichen Aufschwung der Provinz vorangetrieben, als er damals Investoren aus Taiwan mit Subventionen nach China lockte. Ein Teil seiner Popularität verdankt er auch seiner Frau, die eine bekannte Sängerin in China ist und zu seiner Beliebtheit beim Volk beigetragen hat. So ganz mag man es gar nicht glauben, aber in der Bevölkerung hier wird Xi aufgrund seiner Popularität gern "Onkel Xi" genannt.
Größte Umwälzung seit Dengs Reformen
Das Durchgreifen von Staats- und Parteichef Xi Jinping ist also schon jetzt die größte Umwälzung, seit der Reformer Deng Xiaoping das Land für ausländische Investoren geöffnet hat. Wenn mich jemand vor fünf Jahren gefragt hätte, ob eine solch umfassende Antikorruptionskampagne in China noch möglich wäre, hätte ich das für sehr unwahrscheinlich gehalten. Und mit dieser Meinung wäre ich nicht allein gewesen. Erst wenn man das alles weiß, kann man die psychologische Wirkung der Kampagne verstehen.
Unser Kolumnist Frank Sieren gilt als einer der führenden deutschen China Spezialisten. Er lebt seit 20 Jahren in Peking.