Chinas Schönheitsfehler Aids
6. Juli 2004Bei einer internationalen AIDS-Konferenz in Peking Anfang November 2003 wurde im Beisein des amerikanischen Ex-Präsidenten Bill Clinton ein Tabu gebrochen: Erstmals waren auch Selbsthilfe-Gruppen von Schwulen eingeladen worden - und das in einem Land, in dem Homosexualität öffentliches Tabu ist und bis vor kurzem sogar offiziell als "Krankheit" eingestuft wurde.
Aids ist tabu
Experten warnen allerdings davor, schon jetzt von einem grundlegenden Wandel in der chinesischen AIDS-Politik zu sprechen. Wan Yanhai, Mitbegründer der 1994 gegründeten privaten chinesischen Aidshilfe-Organisation "Aizhixing", äußert sich nur vage zu Chinas AIDS-Politik. "Bisher wurden nur einige wenige Maßnahmen ergriffen. Und diese Maßnahmen reichen nicht einmal aus, um die Weiterverbreitung von AIDS unter Kontrolle zu bringen", sagt er vorsichtig. Kein Wunder, erst im vergangenen Jahr nahmen ihn Chinas Behörden einen Monat lang in Haft. Der Vorwurf: Wan Yanhai habe auf seiner Anti-AIDS-Homepage angeblich "Staatsgeheimnisse" verraten.
Konkret ging es dabei um einen Vorgang in der zentralchinesischen Provinz Henan. Dort hatten dubiose Bluthändler unter Mithilfe der Behörden Anfang der 1990er Jahre einen schwunghaften Handel mit Blutkonserven armer Bauern betrieben. Mit der Folge, dass sich dort hunderttausende Menschen mit dem tödlichen Virus ansteckten - wenn nicht mehr: Ein Ex-Beamter des Gesundheitsministeriums bezifferte die Zahl sogar auf drei Millionen. Er sitzt bis heute in Haft.
Chinas schwacher Punkt
Fest steht: Wenn China eine Epidemie größeren Ausmaßes vermeiden will, muss die Regierung schnell handeln. Denn wenn weiter so wenig geschieht wie bisher, könnte die Zahl der AIDS-Kranken nach Schätzungen der UNO bis 2010 auf zehn Millionen ansteigen. Doch es fehlt nicht nur am Geld. China hat nach wie vor auch große Probleme, mit dem Phänomen AIDS offen umzugehen.
Nicht nur, weil die regierenden Kommunisten Negativ-Schlagzeilen in der internationalen Presse - und damit eine Verschlechterung des heimischen Investitionsklimas - befürchten. Sondern auch, weil die chinesische Sexualmoral traditionell viel prüder ist als etwa die in westlichen Ländern, sagt Anti-AIDS-Aktivist Wan Yanhai. "Wenn unsere Organisation zum Beispiel das Thema 'Legalisierung von Prostitution' anspricht, dann bekommen wir Akzeptanzprobleme in der chinesischen Öffentlichkeit", berichtet er.
AIDS-Behandlung à la Kommunismus
Aufklärung ist dringend nötig. Laut Umfragen haben bis zu 40 Prozent der chinesischen Bevölkerung noch nie etwas von Aids gehört - oder wissen zumindest nicht, wie man sich dagegen schützen kann. Prostitution, obwohl offiziell verboten, ist in China allgegenwärtig - aber laut einer Studie benutzen nur 20 Prozent der Prostituierten Kondome. Dadurch droht sich das Virus ebenso weiter auszubreiten wie durch die Benutzung unsauberer Nadeln bei Heroin-Abhängigen - Menschen, die vom Staat nur in seltensten Fällen als hilfsbedürftige Suchtkranke behandelt werden.
Man betrachtet sie nach wie vor eher als Kriminelle, die durch Zwangsarbeit und staatliche Erziehungsmaßnahmen auf den rechten Weg zurückgeführt werden müssen. Eine Einstellung, unter der bisher praktisch alle AIDS-Kranken zu leiden haben - meint Albert Chen, Politikwissenschaftler und Experte für Chinas Aids-Politik an der Columbia-Universität in New York. "Das politische System in China behandelt AIDS-Patienten nicht als Menschen, sondern als Objekte von Regierungsmanagement", wettert er. "Eine Menge ihrer Aktionen im Bereich AIDS werden nur zu Show-Zwecken gestartet - und um dem internationalen Druck nachzugeben."
Sexualität gibt es offiziell nicht
Ein typisches Beispiel für fehlerhafte Aufklärung in Sachen AIDS gibt eine unlängst veröffentlichte Aufklärungs-CD der staatlichen Familienplanungsbehörde. Dort wird jungen Leuten nicht etwa erklärt, wie sie sich wirkungsvoll gegen AIDS schützen können - sondern es wird nur pauschal vor sexuellen Abenteuern vor der Ehe gewarnt. Auch in den meisten Schulen findet bis heute praktisch keine Sexual-Erziehung statt. Zudem werden AIDS-Patienten laut "Human Rights Watch" in vielen Krankenhäusern diskriminiert und in einigen Fällen sogar von Sicherheitsbehörden mit Gewalt traktiert.