Chinas Dilemma
18. März 2014Keine Einmischung in die Angelegenheiten anderer Staaten - so lautet seit Jahrzehnten der Grundsatz der chinesischen Außenpolitik. Das heißt: China hält sich aus Konflikten heraus, erwartet das aber auch von anderen Staaten. Im Fall der Krim und der Ostukraine wird dieses Prinzip zum Problem, denn es steht gegen ein zentrales politisches Interesse Chinas: die Nähe zu Russland. China braucht seinen Nachbarn - als Verbündeten gegen den Westen.
China und Russland als strategische Partner
"Das chinesisch-russische Verhältnis ist derzeit in der besten Phase der beidseitigen Geschichte", das betonte Außenminister Wang Yi noch bei einer Pressekonferenz am Rande des Volkskongresses im März. Man vertraue und unterstütze sich gegenseitig, und die beiden Staatspräsidenten verbinde eine tiefe Freundschaft.
Die Freundschaft zu Russland auf der einen Seite, die außenpolitische Tradition der "Nichteinmischung" auf der anderen: Die Krim-Krise und die in der Ostukraine verlangt Peking einen gewagten diplomatischen Spagat ab. Chen Xinming, Osteuropa-Experte an der Volksuniversität Peking, versucht sich an einer reichlich spitzfindigen Argumentation: Es sei schließlich der Westen gewesen, der sich im Ukraine-Konflikt als erstes eingemischt habe - Russland reagiere nur darauf: "Der von den USA angeführte Westen will keine friedliche Welt und mischt sich überall ein. Das schafft Unruhe. China und Russland brauchen einander strategisch, um der westlichen Dominanz etwas entgegenzuhalten", sagte er im WDR-Hörfunk.
Das Gefühl, vom Westen und vor allem von den USA regelrecht eingekreist zu sein, sei das bestimmende Element in Pekings Außenpolitik, meint auch Sven Gareis, Politikwissenschaftler an der Universität Münster: "Man sieht in Russland einen wichtigen Partner, an den man sich anlehnen kann und von dem man sich Unterstützung erhofft - und diesen Partner will man natürlich nicht öffentlich bloßstellen", sagte er im DW-Interview.
Rückt China von Putin ab?
Aber Peking möchte auch an seinem Grundsatz der Nichteinmischung festhalten. Kein Wunder also, dass sich China zur Frage der Rechtmäßigkeit der Volksabstimmung auf der Krim nicht so recht äußern wollte: Gleich zweimal wich Vizeaußenminister Li Baodong auf einer Pressekonferenz in Peking der Frage aus, ob China die Legalität des Referendums und sein Ergebnis anerkenne: "Wir hoffen, dass alle Seiten einen kühlen Kopf bewahren und eine politische Lösung suchen." Eine weitere Eskalation müsse vermieden werden, mehr war Li Baodong auch auf Nachfrage nicht zu entlocken.
Die Unterstützung Pekings für den strategischen Freund in Moskau stieß bereits im UN-Sicherheitsrat an eine Grenze: Als es dort kurz vor dem Krim-Referendum zu einer Abstimmung über eine Ukraine-Resolution kam und Russland sein Veto einlegte, enthielt sich China der Stimme. Westliche Diplomaten sprachen hinter vorgehaltener Hand von einer "Ohrfeige" für Russland, da sich China normalerweise dem Votum Russlands anschließt. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der derzeit den Vorsitz im Sicherheitsrat hat, lobte ausdrücklich, dass China jeden einseitigen Schritt zur Änderung von Staatsgebieten ablehne und eine internationale Koordinierungsgruppe fordere.
Gerade an diesem Beispiel sehe man, wie sehr sich China in einer Zwickmühle befinde, meint China-Experte Sven Gareis. Auf der einen Seite habe man Russland keinen Freifahrtschein auf der Krim ausstellen wollen - andererseits wollte China aber auch nicht eine Resolution des Westens unterstützen.
Chinas Probleme mit den eigenen Minderheiten
Peking hat auch gewichtige innenpolitische Gründe, sich vor einer allzu offensiven Verteidigung von Putins Annexionsplänen zu hüten: "China kann das Referendum nicht unterstützen, weil wir schließlich unsere eigenen Probleme haben", so drückt es der Pekinger Osteuropa-Experte Chen Xinming aus. Und diese Probleme sind Tibet, Xinjiang, Hongkong und Taiwan: Wenn China die Volksabstimmung auf der Krim akzeptieren würde, warum sollten dann nicht die gleichen Regeln für diese Regionen auf dem Staatsgebiet der Volksrepublik gelten, die ebenfalls nach Unabhängigkeit streben? "So gesehen ist das natürlich ein Albtraum-Szenario für China, dass jemand von außen mit militärischem Druck ein Referendum ansetzt und einen Landesteil zur Abspaltung bringt", meint China-Experte Sven Gareis.
Peking bei Sanktionen als "lachender Dritter"?
Während Peking auf politischer Ebene mit Widersprüchen kämpft, könnten mögliche wirtschaftliche Sanktionen des Westens gegen Russland China eher nützen: "Russland würde sich zunehmend von Europa abwenden, der Gewinner der Krise wäre China", sagte der Vorsitzende des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes, dem Nachrichtenmagazin "Focus".
Die Volksrepublik, schon jetzt größte Abnehmerin von russischem Öl, dürfte das durchaus gerne sehen - und könnte damit zum "lachenden Dritten" in der Ukraine-Krise werden. "Ich glaube aber nicht, dass China sich von kurzfristigen Interessen leiten lässt und darauf hofft, Profit daraus ziehen zu können", meint der Politikwissenschaftler Sven Gareis. Peking sorge sich vermutlich mehr um die längerfristige Stabilität in der Region.
Und Chinas Wirtschaft sei auch auf gute Beziehungen mit den westlichen Regierungen angewiesen. Aus diesem Grund könnte der chinesische Drahtseilakt in der Ukraine-Politik in den kommenden Wochen noch bedeutend wackliger werden: Ende März wird Chinas Präsident Xi Jinping bei mehreren westeuropäischen Regierungen zu Gast sein - gut möglich, dass er dann Farbe bekennen muss.