Sophie Hinners - Toptalent mit guter Erdung
19. September 2021Beobachtet man Springreiterin Sophie Hinners beim CHIO in Aachen im Parcours, sieht man eine konzentrierte und unaufgeregte Reiterin, bei der es so scheint, als übertrage sich ihre Ruhe stets auch auf ihr Pferd. Spricht man mit ihren Trainern und Förderern - dem Niederländer Emile Hendrix oder dem Bundestrainer der Springreiter, Otto Becker - hört man viel Lob. Und steht man Sophie Hinners schließlich persönlich gegenüber, hat man es mit einer freundlichen und intelligenten jungen Frau zu tun, die ihre sportliche Entwicklung der vergangenen Jahre selbst fast ein wenig ungläubig betrachtet.
"Ich habe eigentlich immer gedacht, dass es ein Hobby bleibt", sagt sie über den Reitsport, "weil ich mir immer vorgenommen hatte, zu studieren oder etwas 'Vernünftiges' zu machen. Aber es ist bisher immer die Reitsport-Schiene geblieben." Hinners lernte das Reiten schon mit vier Jahren auf dem Hof ihres Onkels und ihrer Tante. "Ich habe mit Ponys angefangen und bin bei allen möglichen Wettbewerben gestartet", sagt sie. "Ich war auch eher an der Dressur interessiert, habe aber immer nur Spring-Ponys bekommen und deswegen ging es dann irgendwann in die Richtung."
Nach der Schule machte Hinners eine Ausbildung im Stall von Springreiter Hergen Forkert und ritt auf Turnieren. So lernte sie auch Emile Hendrix kennen, den Mann, dank dem ihre Reitsportkarriere richtig Fahrt aufnahm.
Hendrix, ehemaliger Olympiareiter, heute Pferdehändler und Trainer, war ein Glücksfall für Hinners und wurde zu ihrem großen Förderer. Auf sie aufmerksam wurde Hendrix, als er ein Pferd kaufen wollte, das Hinners ritt. "Hinterher habe ich zu ihr gesagt: Das Pferd möchte ich nicht kaufen, aber dich würde ich wohl nehmen, wenn du zur Verfügung stehst", erinnert sich der 65-Jährige im Gespräch mit der DW.
Umzug in die Niederlande
Ein Jahr später, als Hinners ihre Ausbildung abgeschlossen hatte, rief sie Hendrix tatsächlich an und fragte, ob sein Angebot noch bestünde. "Na klar!", war dessen Antwort. Er holte Hinners 2018 als Bereiterin an seinen Stall in die Niederlande und wurde nicht enttäuscht.
"Sie ist schon eine sehr komplette Persönlichkeit mit toller Arbeitseinstellung. Sie ist respektvoll, dankbar und über die Qualität des Reitens brauchen wir nicht zu sprechen", sagt Hendrix, dem ein weiterer Charakterzug der jungen Reiterin gefällt. "Sie hat schon ein paar schöne Sachen gewonnen, aber hat sich deswegen nicht verändert. Sie ist Realistin und weiß: Wenn morgen ihr bestes Pferd wegfällt, dass sie dann einen Schritt zurück machen muss."
Bisher allerdings ging Hinners' Weg stetig nach vorne. "Ich habe in den drei Jahren bei Emile wahnsinnig viel gelernt ", sagt sie heute. "Er hat mich in den internationalen Sport reingebracht und bei den ersten Großen Preisen auf Zwei-, Drei- und Vier-Sterne-Niveau begleitet." Das macht Hendrix auch beim CHIO in Aachen, obwohl die 23-Jährige seinen Stall im Frühjahr verlassen hat, um in Deutschland mit ihrem Freund, dem Springreiter Richard Vogel, und EM-Reiter David Will in einer Stallgemeinschaft zu arbeiten und zu trainieren.
Vittorio - Charakterkopf mit kleiner Macke
Hendrix ist schließlich nicht nur Hinners Trainer und Berater, sondern auch Besitzer ihres Toppferdes Vittorio, dem 13-jährigen Wallach, auf dem sie Anfang Juni die Deutsche Meisterschaft gewann und der sie beim Umzug nach Deutschland begleiten durfte, damit das erfolgreiche Paar nicht auseinandergerissen wurde. "Er hat einen sehr starken Charakter und einen eigenen Kopf", sagt Hinners über ihr bestes Pferd. "Allerdings kann es auch sein, dass er an bestimmten Tagen keine Lust hat. Das kann leider auch im Parcours passieren. Mit der Macke muss man halt leben."
Die Chance, dass Hinners - zusammen mit Vittorio - in den kommenden Jahren weiter zur internationalen Spitze aufschließt, ist gegeben. Anfang 2021 ist sie in den deutschen Nachwuchskader "U25/perspektivisch" aufgestiegen und damit eine von sechs Reiterinnen und Reitern auf der dritthöchsten Kaderstufe des deutschen Springreitens. Außerdem ist die 23-Jährige seit zwei Jahren Trainee in der Young Riders Academy (YRA), einem renommierten Trainingsprogramm für junge, talentierte Springreiter aus aller Welt.
"Sophie Hinners ist eine unserer Top-Nachwuchsreiterinnen", sagt Bundestrainer Otto Becker der DW. Als zweitjüngste deutsche Teilnehmerin hat er sie in diesem Jahr erstmals für das Hauptfeld des CHIO in Aachen nominiert. "Wenn sie so weitermacht, hat sie eine große Zukunft vor sich", sagt Becker. "Sie ist sehr fokussiert, ruhig, macht ihren Job und ihr Ding, und das gefällt mir gut."
Gute Leistungen auf neuem Terrain
Die Nominierung durch den Bundestrainer für Aachen war der nächste Schritt. Nachdem der Eindruck beim ersten Warm-up-Springen stimmte, entschied Emile Hendrix, dass Hinners in Aachen auch die schweren Prüfungen, den Preis von Europa und den Preis von Nordrhein-Westfalen, reiten solle. Eine Herausforderung für die 23-Jährige und ihr Pferd, da das Paar bislang nicht regelmäßig über Parcours mit Hindernishöhen bis zu 1,55 Meter oder 1,60 Meter gegangen ist.
"Es ist ein großer Platz und eine großartige Kulisse, da kommen viele Sachen auf einen zu", sagte Hinners vor dem Preis von Europa am Mittwoch. "Wenn ein oder zwei Fehler passieren sollten, dann ist es so. Aber es würde mich freuen, wenn wir einen guten Eindruck hinterlassen." Das hat sie geschafft: Beim Preis von Europa, der erstmals unter Flutlicht geritten wurde, musste sie als erste Reiterin in den Parcours und blieb bei nur einem Zeitfehler ohne Abwurf. Beim Preis von Nordrhein-Westfalen am Freitag fiel lediglich eine Stange herunter. Damit schaffte Hinners die Qualifikation zum Rolex Grand Prix, dem Großen Preis von Aachen, dem weltweit wichtigsten und renommiertesten Wettbewerb im Springreiten.
Realistisches Träumen von sportlichen Zielen
Nach den guten Auftritten in Aachen sollen auch die nächsten sportlichen Ziele Schritt für Schritt erreicht werden, die Sophie Hinners - ganz in ihrer Art - bescheiden formuliert. "Ich würde mich freuen, wenn ich das eine oder andere Fünf-Sterne-Turnier reiten könnte, vielleicht auch mal einen Großen Preis, und da weiter reinwachse."
Und auch beim ganz großen sportlichen Traum bleibt sie realistisch. "Ich denke, das Ziel eines jeden Reiters sind die Olympischen Spiele", sagt sie. "Aber da gehört natürlich sehr viel dazu. Man muss das passende Pferd finden, denn sonst ist gar nichts möglich. Man muss gucken, was auf einen zukommt und wie sich alles entwickelt."
Aber Träumen ist erlaubt, vor allem, wenn man einen so klaren Blick auf die Dinge hat und so talentiert und trotzdem geerdet ist wie Sophie Hinners.