Chip-Supermacht Taiwan
20. Januar 2023Die Nachricht löste Vorfreude in Sachsen aus: Der weltweit größte Computerchiphersteller TSMC plane seine erste europäische Fertigungsanlage in Dresden, berichtete das Wirtschaftsmagazin "Nikkei Asia". Der taiwanische Konzern wolle aus der Fabrik vor allem die deutsche Autoindustrie beliefern. Inzwischen hat TSMC die Pläne bestätigt.
Und nicht nur in Deutschland wird investiert, TSMC plant auch neue Chip-Fabriken in den USA. Der Konzern expandiert weltweit, und das wohl auch aus politischen Gründen: Ein Angriff Chinas auf Taiwan wird immer mehr als ein realistisches Szenario gesehen. TSMC und seine Kunden suchen dementsprechend nach einer Exit-Strategie, um trotz dieser existenziellen Bedrohung eine Zukunft zu haben.
Computerchips sind das Herzstück aller modernen Geräte. In Smartphones, Fernsehern, Kühlschränken, Autos, Computern, Drohnen oder Kampfjets sind sie zu finden. 70 Prozent aller Computerchips werden heute in Ostasien hergestellt, in Japan, Südkorea oder China. Eine besondere Rolle spielt der taiwanische TSMC-Konzern: Er produziert 92 Prozent der besonders wichtigen sogenannten Logik-Chips, die kleiner als zehn Nanometer sind (Ein Nanometer = 1 Millionstel Millimeter). Der Großteil der Produktion findet bislang auf taiwanischem Boden statt.
Weltwirtschaft hängt am Chip
Die Chip- oder Halbleiterindustrie ist bisher so etwas wie Taiwans Schutzschild gegen China. Denn sollte Peking den Inselstaat tatsächlich angreifen, droht der Weltwirtschaft eine Katastrophe. Autos, Smartphones, medizinische Geräte und Hightech-Waffen könnten nicht mehr hergestellt werden. Auch China selbst, das bisher auf Taiwans Mikrochips angewiesen ist, hätte ein riesiges Problem.
Nicht zuletzt während der Pandemie war der Menschheit bewusst geworden, wie abhängig sie von Computerchips ist. Mehrere Millionen Autos konnten nicht gebaut werden, der Bedarf an Elektronik für das Homeoffice nicht gedeckt werden. Auch deshalb streben viele Länder nun eine größere heimische Chip-Produktion an, so auch China. Peking will von 2025 an rund 70 Prozent aller Chips im Inland produzieren lassen.
Auch die USA investieren Milliarden in den Aufbau einer eigenen Chip-Produktion, um unabhängig zu werden. Anfang August unterzeichnete US-Präsident Joe Biden den 280 Milliarden US-Dollar umfassenden "Chips and Science Act". Rund 53 Milliarden davon gehen in die Förderung der Chip-Produktion in den USA. Daran beteiligt ist auch TSMC, das 2024 im US-Bundesstaat Arizona mit der Massenproduktion der modernen Fünf-Nanometer-Chips beginnen will. Es ist mit 40 Milliarden US-Dollar eine der größten ausländischen Direktinvestitionen in der Geschichte der Vereinigten Staaten.
Bei seiner Rede in Arizona zu diesem Anlass klang der der heute 91-jährige TSMC-Gründer Morris Chang aber alles andere als euphorisch. "Globalisierung und Freihandel sind fast tot", sagte er und kritisierte damit auch den anhaltenden Handelskrieg zwischen den USA und China. Präsident Biden hat Sanktionen gegen Chinas Chip-Industrie verhängt und den dafür relevanten Technologieexport aus den USA gestoppt. Auch deshalb investiert China nun enorm viel Geld in eine eigene Produktion.
Zwangsübernahme durch China unwahrscheinlich
Wäre es für China in dieser Lage nicht verlockend, sich Taiwans hochmoderne Halbleiterindustrie mit Waffengewalt einzuverleiben? Theoretisch ja, aber in der Praxis hält Roy Lee, Halbleiterexperte am Forschungsinstitut "Taiwan WTO-Center", dies für unwahrscheinlich. "Die Exportbeschränkungen der USA stellen China vor große Herausforderungen bei seinen Anstrengungen, sich technologisch weiterzuentwickeln." Denn fast alle Materialien, Chemikalien oder Ersatzteile, die für die Halbleiterproduktion gebraucht werden, stammen aus den USA, Europa und Japan. Diese würden, zumindest aus den USA, nicht mehr geliefert werden, wenn Taiwan von China besetzt würde. Auch fehle China das Fachpersonal, um eine Firma wie TSMC zu führen.
China brauche Taiwan für die Produktion von modernen Halbleitern, solange bis es sie selbst herstellen kann. Dies werde aber noch lange dauern, so Lee. Chinas größter Chip-Hersteller SMIC wurde unter der US-Regierung von Donald Trump auf eine schwarze Liste gesetzt und hat seitdem nur noch begrenzten Zugang zu dringend benötigter amerikanischer Technologie.
In seinem Büro im Zentrum Taiwans hält Benjamin Hein einen sogenannten Wafer aus Silizium, eine kreisrunde Platte, das Ausgangsmaterial für die Chip-Produktion, in die Höhe. Hein leitet das Ostasiengeschäft des deutschen Halbleiter-Zulieferers Merck, der rund 1000 Mitarbeiter in Taiwan hat.
Drei bis sechs Monate dauere die Herstellung eines einzelnen Chips, erklärt Hein. Ein Aspekt sei entscheidend: "Nichts geht ohne perfekte Hygiene. Ein einzelnes Staubkorn kann alles verunreinigen und zerstören", sagt er. Kunden wüssten, dass Taiwan die extrem hohen Ansprüche erfülle und dass dies andernorts nicht überall so sei. Dass China die Produktion von Chips in nächster Zeit komplett selbst übernimmt, hält Hein für unwahrscheinlich.
"Die Halbleiterindustrie ist eine globale Industrie, es wäre sehr kompliziert, alles lokal herzustellen", sagt er. Der Bau einer einzigen Fabrik dauere drei bis fünf Jahre und koste bis zu zehn Milliarden Dollar. "Es ist unrealistisch, dieses komplette Ökosystem in einem Land aufzubauen", sagt Hein.
Solange China und USA diese Autonomie in der Chip-Produktion nicht gelingt, behält Taiwan also seinen "Halbleiter-Schutzschild". Seine Vormachtstellung bei diesem unentbehrlichen Wirtschaftsgut verschafft dem von China bedrohten kleinen Inselstaat zusätzlich international Verhandlungsspielraum und Gehör. Doch kugelsicher ist der Schild nicht. Die russische Invasion der Ukraine hat gezeigt, dass autokratische Länder ungeachtet der Kosten irrationale Entscheidungen treffen können.