Chronik einer Katastrophe
Im Sommer 2004 wüteten in Spanien schwere Waldbrände. Danach war im Dorf Berrocal nichts mehr wie es war. <i>Von Steffen Leidel.</i>
Gerade noch gerettet
Die Genossenschaft "San José" ist das wirtschaftliche "Herz" von Berrocal. Die Löschmannschaften scheuten keine Anstrengungen, um sie vor dem Feuer zu bewahren. Der dort gelagerte Kork war bereits verkauft. Wäre er verbrannt, wäre das der Ruin gewesen für die Genossenschaft, die von den Kleinbauern der Region beliefert wird. Die Hälfte aller Korkeichen fielen den Flammen zum Opfer. Auf 20 Millionen Euro wird der Schaden in der örtlichen Korkwirtschaft geschätzt. "70 Prozent der lokalen Zulieferer sind betroffen", sagt der Bürgermeister. Jahrzehnte lang werden die Korkbauern die Folgen des Feuers spüren.
Rasendes Feuer
36 Löschflugzeuge und 400 Feuerwehrmänner waren rund um Berrocal im Einsatz. Die Flammen kreisten das Dorf ein, die Bewohner mussten evakuiert werden. "Dieses Feuer war wie ein Hurrikan", sagt José Guirado, Chef der Behörde für Waldbrandbekämpfung in Andalusien. "So etwas haben wir hier in Spanien noch nie erlebt." In gerade mal drei Stunden legten die Flammen über 30 Kilometer zurück. Verantworlich für die Virulenz des Feuers waren laut Guirado die extrem hohen Temperaturen um 40 Grad und eine niedrige Luftfeuchtigkeit. "Wir müssen mit solchen Feuern in Zukunft öfter rechnen“, mahnt Guirado.
Hauptursache Brandstiftung
Ende Juli wurden Südspanien und große Teile von Portugal von den schlimmsten Waldbränden seit Jahren heimgesucht. Insgesamt 900 Brände gab es 2004 allein in Andalusien. Das Feuer rund um Berrocal verbrannte eine Fläche fast so groß wie die Mittelmeerinsel Malta. Die Flammen produzierten in vier Tagen soviel Kohlendioxid wie ein Fünftel des gesamten Schwerverkehrs in Andalusien in einem Jahr. Noch immer ist die Ursache unklar. "Wir gehen davon aus, dass der Brand von Menschenhand gelegt wurde", sagt Jose Guirado, Chef der Behörde für Waldbrandbekämpfung in Andalusien zu DW-WORLD. Es gab fünf Punkte, an denen das Feuer fast gleichzeitig ausbrach. Die Motive sind unklar. Eine andere Theorie: Müll wurde illegal verbrannt, das Feuer geriet außer Kontrolle. Ein Verdächtiger wurde inzwischen wieder freigelassen.
Schweinezucht ist zweite wichtige Einnahmequelle
Viele Schweine verbrannten oder erstickten im dichten Rauch. Die iberischen Schweine sind die zweite wichtige Säule der örtlichen Wirtschaft von Berrocal. Der Trockenschinken "jamón serrano de pata negra" ist eine Delikatesse, über die Grenzen Andalusiens hinaus bekannt. Seinen exquisiten Geschmack verdankt er unter anderem der speziellen Fütterungsweise: Die Tiere bekommen nur die Eicheln (bellotas) der Steineichen zum Fressen.
Wald ist Leben
Der Dorfplatz von Berrocal: Die 374 Bewohner haben eine verkohlte Korkeiche aufgestellt, als Mahnmal und stummes Zeugnis des großen Feuers. Nach der Schließung der Minen wurde der Wald ihre wichtigste Lebensgrundlage. Sie verkaufen Kork, züchten Schweine, die sie mit den Früchten der Steineichen füttern. "Nachhaltig" habe man hier gewirtschaftet, sagt der Bürgermeister, Juan Jesús Bermejo. Das Leben in Berrocal war schon immer hart. Doch nach dem 27. Juli 2004 ist es noch härter geworden.
Feuer kennt keine Rücksicht
Verstreut über die Hügel rund um Berrocal liegen zahlreiche kleine Landhäuser. Einige dienen als Unterstand für landwirtschaftliche Geräte. Immer mehr wurden als Wochenend-Häuser vermietet. "Tourismus auf dem Land" liegt in Andalusien im Trend und ist für die Menschen vor Ort eine attraktive Einnahmequelle. Insgesamt 19 Häuser brannten im Gemeindebezirk von Berrocal nieder. Ihre Besitzer bekamen bereits Soforthilfen von der andalusischen Regionalregierung.
Ein Baum als Brandbeschleuniger
Verkohlte Stämme von Eukalyptus-Bäumen. Nicht nur die extremen klimatischen Bedingungen waren für die außergewöhnliche Dimension des Feuers verantwortlich, sondern auch die großflächigen Eukalyptus-Bestände. Der heimische Wald wurde in den 1960er und 1970er Jahren an vielen Stellen abgeholzt und stattdessen der aus Australien stammenden Eukalyptus angepflanzt. Der schnell wachsende Baum wird vor allem zur Herstellung von Zellulose genutzt, dem Grundstoff der Papierherstellung. Seine Wirkung bei Waldbränden ist fatal: Die leicht brennende Rinde kann vom Wind kilometerweit getragen werden und so die Verbreitung des Feuers beschleunigen.
Tod der Korkeichen
Diese verbrannte Korkeiche wurde kurz vor dem großen Feuer noch "geschält", wie der nackte Stamm deutlich macht. Mit ihrer Korkrinde verlor sie aber auch ihren natürlichen Feuerschutz. Sie hat deshalb keine Chance zum Überleben. Die Korkeichen sind die wirtschaftliche Grundlage des Ortes. Mindestens 50 Jahre braucht eine Korkeiche, damit sie zum ersten Mal geschält werden kann. Danach kann nur alle neun Jahre Kork "geerntet" werden.
Wer wird bleiben?
Siesta-Zeit auf dem Dorfplatz. Das Feuer ist nach wie vor das Hauptgesprächsthema der älteren Männer. Die meisten sind in dem Ort geboren. "Das, was hier passiert ist, kann niemand verstehen. Das ist unser Ruin", sagt der 65-jährige Manuel. Niemand hat mehr Lust auf einen Spaziergang entlang der Hauptstraße, die links und rechts von verkohlten Baumstämmen gesäumt wird. Das Dorf sieht mit großen Sorgen in die Zukunft. Dabei gab es doch Lichtblicke. Nach Jahren der Abwanderung waren wieder junge Leute ins Dorf gekommen, um zu bleiben. Sie sahen eine Perspektive im Tourismus und in der ökologischen Landwirtschaft.
Nur die Asche bleibt
Mehrmals hat Juan Romero schon Journalisten durch das verbrannte Gebiet geführt. Anfangs kamen sie in Trauben, jetzt nur noch tröpfchenweise, wenn überhaupt. "So ist das mit den Waldbränden. Wenn das Feuer lodert, kommen alle, was danach kommt, interessiert dann niemanden mehr. Das einzige, was bleibt, ist die Asche“, sagt Romero, der sich seit Jahren in einer Naturschutzgruppe engagiert. Er schüttelt beim Anblick der verkohlten Hänge den Kopf. „Es ist einfach unfassbar."
Vorher - Nachher
In mehreren Tälern rund um Berrocal wuchs ursprünglicher mediterraner Wald, der seltene Pflanzen und Tiere beherbergte. Ein Nest des seltenen Schwarzstorches fiel den Flammen zum Opfer. Das Küken überlebte. Es wurde von Naturschützern rechtzeitig gerettet. Allerdings verbrannten Tausende Wildschweine, Hirsche und Kaninchen. An einigen Stellen war das Feuer so mächtig, dass es sogar in den Boden eindrang und die Baumwurzeln unter der Erde in Asche verwandelte. Die Folge: Dort, wo früher ein Stamm in den Himmel ragte, klafft nun ein Loch. Gefüllt mit Asche.
Es gibt Hoffnung
Ein Baum mit Symbolwirkung. Die Dorfbewohner haben eine junge Steineiche gepflanzt. Sie steht für einen Neuanfang. "Bei der Wiederaufforstung dürfen hier nur heimische Arten wie die Korkeiche angepflanzt werden“, mahnt Juan Romero. "Die Eukalyptusbäume müssen verschwinden." Dabei dürfe keine Zeit verloren werden. Die schweren Herbstregen bringen ein neues Problem mit sich: Erosion. Die Hänge liegen nackt da, es gibt keine Vegetation, die ein Abrutschen der Erde verhindert. Dennoch, es gibt Hoffnung: An vielen Stellen erobert sich die Natur ihr Territorium wieder zurück. Erste Gräser, Kräuter und Bäume sprießen wieder. "Die Natur gibt nie auf", sagt Juan.
Der Kampf des Bürgermeisters
Bürgermeister Juan Jesús Bermejo hat seit dem verhängnisvollen Tag im Juli, an dem das Feuer ausbrach, keine freie Minute mehr. Wichtigste Aufgabe für ihn ist nun, mit Politikern in Sevilla und Madrid möglichst hohe Entschädigungen für die Betroffenen auszuhandeln. Während des Feuers blieb er im Dorf. "Es war furchtbar, dieser Geruch und dieses Gefühl der Einsamkeit. Die Dorfbewohner waren ja schnell evakuiert worden. Bei einigen liefen zu Hause noch die Fernseher", erzählt er. Kurz nach dem Brand sagte er: "Das einzige, was uns bleibt, ist wohl zu gehen." Heute ist Bermejo wieder optimistischer. "Hier und da ist wieder etwas Grün zu sehen." Doch er weiß, ihm steht noch eine schwere Zeit bevor.
Die Macht des Feuers
Auch als die Flammen bereits erloschen waren, hielt sich der Rauch tagelang. "Es war wie nach einem Vulkanausbruch", erzählt einer älterer Herr aus Berrocal. "Die Asche rieselte vom Himmel herab, die Luft war ätzend vom Rauch." Die Löschmannschaften konnten nicht viel ausrichten. Das Wasser, das die Löschhubschrauber über dem Feuer ausgossen, verdampfte noch in der Luft. Die Feuerfront, die zeitweilig über 30 Kilometer breit war, walzte alles nieder.
Zorn und Hoffnung
"Fuegos nunca mas" - Nie wieder Feuer. So heißt die Initiative, die Juan Romero nach dem Brand ins Leben gerufen hat. Mitte August 2004 marschierten rund 2000 Menschen aus der Region in der größten Demonstration der Geschichte von Berrocal: Sie forderten die Öffentlichkeit und Politiker auf, ihre Region nicht zu vergessen. "Dieses Dorf wird sterben, wenn die Politiker uns nicht mit Geld unterstützen", sagt Romero. Er kritisiert die für Waldbrandbekämpfung zuständige Behörde Infoca, die dem andalusischen Umweltministerium zugeordnet ist. "Viele der Löschhubschrauber sind völlig überaltert, einige stammen noch aus dem Vietnamkrieg." Der Vorwurf wird von offizieller Seite zurückgewiesen.
Die Tragödie
Der Sachschaden des Feuers wird auf etwa 40 Millionen Euro geschätzt. Doch was sind Sachwerte gegen ein Menschenleben. Wenige Kilometer von Berrocal entfernt verbrannte ein älteres Ehepaar in seinem Auto. Die beiden hatten zu lange auf ihrem Grundstück ausgeharrt. Als sie fliehen wollten, war es zu spät, die Flammen hatten sie eingekreist. „"Das ist eine Tragödie", sagt der Bürgermeister. "Wir sind aber heilfroh, dass keine weiteren Opfer zu beklagen sind." Über 100 Menschen wurden mit Rauchvergiftungen ins Krankenhaus gebracht.
Nur das Schild ist noch grün
"Willkommen im Tal von Berrocal", grüßt das Straßenschild. Allerdings verirrten sich selbst vor der Katastrophe nur wenige Touristen in das etwa 80 Kilometer nordwestlich von der andalusischen Hauptstadt Sevilla gelegene Dorf. Die Fahrt dorthin ist kurvenreich, führt über kleine Straßen durch dünnbesiedeltes Gebiet. Doch die Besucher, die kamen, kamen gern. Und sie hielten oft an dem Aussichtspunkt an, um den Blick in die Weite schweifen zu lassen. Das Grün der dichten Kork- und Steineichenwälder erstreckte sich bis zum Horizont. Drei Monate nach dem großen Feuer ist nur schwarzbraune, nackte Erde geblieben. Verweilen und ausruhen will hier niemand mehr.
Im Gebiet der Kupferminen
Überreste einer alten Bahntrasse über den Fluss Riotinto kurz vor Berrocal: Was auf dem Foto gesund-tiefblau aussieht, ist in Wirklichkeit gelb-rötlich. Die Farbe des Flusses rührt von Erzauswaschungen her. In dem Gebiet gab es einst die größten Kupferminen der Welt, schon die Römer beuteten die reichen Vorkommen aus. Doch die Minen wurden vor ein paar Jahren geschlossen, ein schwerer Schlag für die Region. Also setzte man auf Tourismus, der aber nur langsam in Fahrt kam. Einen Schub erlebte er, als sich plötzlich die Weltraumagentur NASA für die giftige Brühe des Riotinto interessierte: Die Bedingungen im Fluss sollen denen auf dem Planten Mars ähnlich sein.
Lebensmüder Mut
Der 65-jährige Manuel Garcia blieb in der Nacht, als das Dorf evakuiert wurde. Er versteckte sich vor der Guardia Civil. "Ich wollte um jeden Preis mein Haus schützen", sagt er. Seine Ländereien brannten fast alle ab. Er verlor seine wertvollen Korkeichen und viele seiner Schweine. "In den ersten Tagen konnte ich weder essen noch trinken. Ich habe viel geweint. Ich musste an meine Eltern, Groß- und Urgroßeltern denken, wieviel Opfer die gebracht haben, um das Land zu pflegen", sagt er. Das Feuer brauchte nur ein paar Stunden um Manuels Land zu verbrennen.
Sommerhitze um Mitternacht
Als Manuel Garcia hörte, dass ein Feuer in der Region ausgebrochen war, eilte er hinauf auf seine Dachterrasse. "Ich sah die Flammen am Horizont in der Nähe vom Dorf Riotinto", erinnert er sich. "Ich rief meiner Frau zu: Das ist ein großes Feuer." Eine Stunde später hatten sich die Flammen dem Dorf genähert. Tag und Nacht waren die Feuerwehrleute im Einsatz. "Um halb drei Uhr nachts betrug die Temperatur im Dorf 33 Grad“, erinnert sich José Guirado, der den Einsatz leitete. Die Mühen der Feuerwehrleute haben sich dennoch gelohnt. Der Dorfkern wurde vom Feuer verschont, alle Bewohner blieben unversehrt.