Clan-Kriminalität: Realität und Vorurteil
24. August 2021"Der Remmo-Clan ist eine vor allem in Deutschland ansässige Großfamilie mit arabischem Migrationshintergrund, die teilweise der Clan-Kriminalität zugerechnet wird." So beginnt der ausführliche Eintrag im Internet-Lexikon "Wikipedia". In Deutschland hat der Name Remmo spätestens seit dem spektakulären Einbruch in das weltberühmte "Grüne Gewölbe" in Dresden (Sachsen) im November 2019 Hochkonjunktur. Immer wieder gibt es in diesem Zusammenhang Schlagzeilen wie in der Boulevard-Zeitung "BZ" am 19. August 2021: "Mitglied des Remmo-Clans in Berlin festgenommen."
Wer so heißt, hat ein Problem, auch wenn er weder kriminell noch irgendwie mit dem Tatverdächtigen verwandt ist. "Es wird viel geschrieben über diese Familie, aber in der Realität haben wir mehrere Remmo-Familien", sagt der Politologe Mahmoud Jaraba. Er forscht seit vielen Jahren zum Phänomen sogenannter Clans und Großfamilien und hat jetzt für den Mediendienst Integration in Berlin eine Studie erstellt. Das Beispiel Remmo hält er für typisch: Es sei "hochproblematisch", Lagebilder über Kriminalität auf der Basis von Familiennamen zu erstellen oder der nationalen Herkunft: arabisch, kurdisch, türkisch.
Auch die Kriminologin Daniela Hunold lehnt Klassifizierungen wie "Clan" oder "Großfamilie" ab. Das führe zu einer Fokussierung auf eine bestimmte ethnische Gruppe und sei tendenziell diskriminierend. Wenn man sich des Begriffes "Clan" mit einer gewissen Offenheit bediene, könne man ihn auf alle möglichen Strukturen beziehen - ohne ethnische Komponente. "Man könnte auch die Familie Schlecker als Clan bezeichnen, die in bestimmte kriminelle Handlungen verwickelt war."
Clan-Familie Schlecker?
Der Unternehmer Anton Schlecker, Gründer einer internationalen Drogerie-Kette, wurde 2017 wegen vorsätzlichen Bankrotts zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Seine Kinder Lars und Meike mussten für 33 Monate ins Gefängnis, aus dem sie im Juni 2021 vorzeitig entlassen wurden. Die unrühmliche Geschichte der gescheiterten Drogerie-Familie Schlecker dürfte jedoch kaum negative Folgen für Menschen haben, die lediglich denselben, sehr deutsch klingenden Namen haben, aber ansonsten völlig unbescholten sind.
Bei einem migrantisch anmutenden Namen wie Remmo in Verbindung mit dem Stigma "Clan" oder "Großfamilie" sieht das hingegen ganz anders aus. Alexander Werner, Lehrbeauftragter für Kriminologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen, nennt ein anderes Beispiel: Der Name Miri stehe für organisierte Kriminalität – "was ein bisschen so klingt, dass die ganzen Familien kriminell seien". Kriminaloberkommissar Werner warnt deshalb vor medialen "Schnellschüssen" und zitiert eine Schlagzeile: "Schüsse in Berlin – wieder Streit unter Clans." Die sei mehrmals von Massenmedien aufgegriffen worden. Am Ende sei der Täter, der sich gestellt habe, ein "Bio-Deutscher" gewesen.
"Ich bin kriminell"
Alexander Werner und Daniela Hunold verschließen aber keineswegs die Augen vor familiären Strukturen in kriminellen Milieus mit Migrationsgeschichte. Das gilt auch für Mahmoud Jaraba, der in seiner Studie Klartext spricht: "Ich traf Personen, die in kriminelle Aktivitäten involviert sind oder diese sogar als ihren Beruf ansehen." Sie sagten stolz: "Ich bin kriminell." Schutzgelderpressung sei für einige vergleichbar mit der Arbeit von Sicherheitsfirmen, die ebenfalls Schutz gegen Geld anböten.
Vor allem zeige seine Forschung aber, dass in der Gemeinschaft von Großfamilien nur eine kleine Minderheit kriminelle Einstellungen habe. Sie ziehe durch ihre Aktivitäten jedoch immer wieder die Aufmerksamkeit der Medien und des Staates auf sich. Daher entstehe eine "deutliche Diskrepanz zwischen tatsächlich straffällig gewordenen Angehörigen der Großfamilien und der medialen sowie polizeilichen Reaktion und Einordnung".
Warum ein Berliner mit libanesischem Namen nicht zur Polizei ging
Alexander Werner bestätigt diesen Befund. Der Oberkommissar und Hochschullehrer widerspricht auch dem Klischee von weit verbreiteter Abschottung sogenannter Clans und Großfamilien. Er glaube, dass die immer weiter abnehme. Die Kooperation mit der Polizei entwickelt sich nach seinen Beobachtungen im Bundesland Nordrhein-Westfalen ebenfalls positiv: "Wir haben fast jeden Tag Anzeigen von Menschen aus der Community gegen andere Menschen aus der Community." Es gebe also schon Zeugen aus dem gleichen Milieu.
Mohammed Chahrour von der Berliner Initiative "Kein Generalverdacht!" freut sich im Gespräch mit der DW über die aktuelle Studie, sieht aber noch viel Luft nach oben. Was es bedeuten kann, aufgrund äußerer Merkmale in eine Schublade gesteckt zu werden, hat er als Teenager am eigenen Leib erfahren. Damals, sagt der heute 27-Jährige, habe er sich für eine Karriere bei der Polizei interessiert. Das habe er aber gelassen, weil man ihm nahegelegt habe, "dass ich meinen Namen ändern oder in anderes Bundesland gehen müsste".
Von Diskriminierungen hört Chahrour in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit ständig. Darüber berichtete er auch im Mai, als in Berlin der Grundrechte-Report 2021 präsentiert wurde – eine kritische Bestandsaufnahme über Ideal und Wirklichkeit der Verfassung in Deutschland. Von der nun vorgelegten "Clan"-Studie erhofft sich Chahrour "politische Konsequenzen". Denn jetzt gebe es eine wissenschaftliche Basis zu einer "sehr von Bauchgefühlen und Stimmungen aufgeladenen Debatte". Der Begriff "Clan" stehe auf "tönernen Füßen" und das ganze Konzept sei "unwahrscheinlich schwammig", sagt der in Berlin geborene Sohn libanesischer Bürgerkriegs-Flüchtlinge.