Und die Chefin sieht mit
19. Mai 2009Die Chefin sieht ihre Mitarbeiter nicht – hat aber trotzdem alles im Blick: In der Übersetzungsagentur "Wohanka & Partner" wird auch zu Hause gearbeitet. Unternehmerin Barbara Wohanka ist mit ihrem Konzept "Mutmacherin der Nation".
Traditionelles und flexibles Arbeiten – mit dieser Mischung hat es eine Unternehmerin aus Bayern zur "Mutmacherin der Nation" geschafft. Sie sammelt Preise für ihre moderne Übersetzungsagentur "Wohanka", weil sie damit die Schulden ihres Mannes in Höhe von einer halben Million Euro abgetragen hat. Jetzt macht sie Millionenumsätze. Ihre Mitarbeiter sind mobil – und fest angestellt. Sie sitzen in Sheffield, Utrecht oder Leipzig in Großraumbüros, oder zu Hause.
Das Wohnzimmer als Übersetzungsbüro
Heute ist einer der Tage, an dem Marie Cermann eine E-Mail mit dem Text "kann heute nicht" an ihre Chefin schreibt. Sie räumt Spielzeug aus einem Kinderreisebett, ihre Tochter brabbelt vergnügt. Normalerweise bringe ihr Mann die Kinder früh in den Kindergarten, erzählt sie. Aber wenn das wie heute nicht ginge, schicke die Übersetzungsagentur die Aufträge per E-Mail. "Wenn es kleine sind, dann mache ich die so zwischendurch, und ich hab Glück, dass meine Kinder gut und viel schlafen", erzählt Marie Cermann.
Wenn die jüngste Tochter zahnt, wird sie ins Büro ausquartiert, um ihre Schwester nicht beim Schlafen zu stören. Der Raum ist eng: Schreibtisch, Bücher, Regal und das Kinderbett füllen ihn komplett aus. Cerrmann hat zwei kleine Mädchen, die gerade anderthalb Stunden geschlafen haben: Zeit genug, um eine Urkunde aus dem Portugiesischen ins Deutsche zu übersetzen.
Eigentlich müsste sie in der Niederlassung von Wohanka und Kollegen in Leipzig arbeiten. Aber wenn ihre beiden Kinder krank sind, klappt sie ihren Laptop zu Hause auf. Sie wohnt vier Autostunden vom Hauptsitz der Übersetzungsagentur "Wohanka und Kollegen" entfernt, der im niederbayrischen Geisenhausen liegt.
Die Chefin liest mit
In Geisnhausen sitzt Barbara Wohanka, die Chefin der Agentur. Gerade wirft sie einen letzten Blick auf den Text von Marie Cerrmann. Die große, ruhige Mittfünfzigerin hält in Geisenhausen die Fäden zusammen. Neben dem Übersetzungsbüro in Leipzig hat sie noch Niederlassungen in Großbritannien, Frankreich und in den Niederlanden. Diese Büros werden ergänzt durch Heimarbeitsplätze – wie der von Marie Cerrmann. Dass sie bei erfahrenen Mitarbeitern Heimarbeit ermöglicht ist der Kern ihrer Geschäftsidee. Es seien vor allem Mütter oder Väter, die bei den Kindern zu Hause seien, und die dann nachts arbeiteten, oder am Abend übersetzten. Denjenigen würden Systeme eingerichtet, durch die sie auch von zu Hause aus arbeiten könnten. Das Ganze laufe über einen verschlüsselten Kanal im Internet, erzählt die Unternehmerin.
Barbara Wohanka hat auf die neueste Technik gesetzt; ohne diese hätte ihre Geisenhausener Firma nicht in dem Maße wachsen können. In dem Fünftausend-Seelen-Ort befindet sich weitab von jeder Großstadt der firmeneigene Server – ein blechernes Hirn aus Bits und Bytes. Eine dreiviertel Million Euro haben Einrichtung, Technik und Softwarelizenzen gekostet. Gut angelegtes Geld, denn so können Wohankas Übersetzer auch unkompliziert länderübergreifende Teams bilden.
Obwohl ihre 100 festangestellten Mitarbeiter an verschiedenen Orten sitzen, behält Wohanka den Überblick, denn alle arbeiten auf dem gemeinsamen Server. Das sei nötig, "weil wir dadurch natürlich auch alle Aufträge im Haus bearbeiten können, auch wenn der Mitarbeiter in der Niederlassung in Sheffield sitzt", so Wahanka. " Wir und die Korrektoren können zentral darauf zugreifen und für den Kunden ist gewährleistet, dass die Aufträge in einem geschlossenem System bearbeitet werden, aus dem nichts nach außen dringen kann."
Telearbeit nicht günstiger
Ein Klick und Barbara Wohanka sieht, woran Marie Cermann zu Hause bei ihren Kindern in Leipzig gerade arbeitet. Oder wie viele Zeilen die junge Mutter an einem Tag schafft. Büroplätze spart Wohanka mit der Telearbeit kaum: Sie hat nur sechs komplette Heimarbeitsplätze. Die anderen Übersetzer arbeiten in den Niederlassungen. Diese Heimarbeitsplätze seien etwa zehn Prozent teurer als normale Arbeitsplätze, schätzt Wohanka. Das sei zu vernachlässigen.
Stärker ins Gewicht falle hingegen das Extra an Kommunikation: Bei Heimarbeit müssten E-Mails und Telefonate präzise ausfallen, sonst seien Missverständnisse vorprogrammiert. Grundsätzlich fahre sie alle drei Wochen in jedes Büro, um dort mit den Mitarbeitern wie auch den Kunden Gespräche zu, "um einfach zu sehen, ob dort alles in Ordnung ist", sagt sie. Drei Wochen sei ein idealer Rhythmus, weil der Posteingang dann ideal bearbeitet werden könne.
Die Technik macht Barbara Wohankas Firmenmodell möglich. Den Menschen aber ersetzt sie nicht.
Autorin: Anja Neubert
Redaktion: Mareike Röwekamp