Corona und der Neustart eines vergessenen Amts
29. März 2021Totgesagte leben länger. Speziell, wenn ihr Geschäft das Überleben ist. Das gilt zumindest für die Bundesbehörde mit dem sperrigen Namen "Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe", kurz BBK. Über 50 Jahre ist das Amt alt, geschaffen in der Zeit des Kalten Krieges. Anfang 2001 wurde es schon mal aufgelöst. Nur um 2004 als BBK wieder aufzuerstehen - und anschließend lange in Vergessenheit zu geraten. Untergangsszenarien hatten keine Konjunktur. Aber das BBK ist ein Amt, das routinemäßig mit dem Schlimmsten rechnet, das Katastrophen an die Wand malt, das apokalyptische Szenarien durchspielt.Um vorbereitet zu sein.
Sogar eine Pandemie hatte man schon durchgespielt, 2007 in einer großen Übung. Und bereits 2012 hatten die Experten des BBK in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut eine umfassende Risikoanalyse erstellt, die sich wie die Blaupause zur Corona-Pandemie liest: Das Szenario beschreibt eine von Asien ausgehende, weltweite Verbreitung eines neuen Virus. Deutschland wird von drei Infektionswellen mit dem fiktiven "Modi-SARS-Virus" geschüttelt. Unter anderem werden Engpässe für die Versorgung mit Arzneimitteln, Schutzausrüstung und Desinfektionsmitteln vorausgesagt – zutreffend, wie sich im Frühjahr 2020 zeigte. Aber da waren die Warnungen verhallt, die aufwendig erstellte Studie in Schubladen verschwunden.
Wer trägt die Verantwortung?
Warum, das zeigt die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag vom vergangenen Juli. Die Parlamentarier wollten wissen, inwieweit die Bundesregierung nach der Risikoanalyse von 2012 Schritte eingeleitet habe, um die Versorgung der Bevölkerung mit Schutzmitteln sicherzustellen. Die Bundesregierung zog sich kühl aus der Verantwortung: Es lägen ihr "keine Erkenntnisse über etwaige getroffene Maßnahmen der Länder (…) im Rahmen ihrer Zuständigkeit für den Gesundheits- und Katastrophenschutz vor".
Mit dem Verweis auf die unterschiedlichen Kompetenzen von Bund und Ländern ist der zentrale Problempunkt umrissen: Laut Grundgesetz ist der Bund nur im Spannungs- und Verteidigungsfall für den Schutz der Bevölkerung zuständig. Der Katastrophenschutz und dazugehörige Vorsorgemaßnahmen fallen in die Zuständigkeit der Länder.
Das Ergebnis ist eine paradoxe Lage: Mit dem BBK gibt es eine Katastrophenschutzbehörde, wie geschaffen für die größte Herausforderung nach dem Zweiten Weltkrieg, wie die Kanzlerin die Corona-Krise nannte. Aber das Amt hat kaum Kompetenzen. Weshalb die Frage auftauchte: Was machen denn eigentlich die rund 400 Mitarbeiter des BBK? Wozu genau werden die 18 Helikopter gebraucht? Die Rede vom "vergessenen Amt" machte die Runde.
Neuaufstellung mit acht-Punkte-Plan
Das will sich jetzt in Erinnerung bringen. Jedenfalls wenn es nach Armin Schuster geht. Der CDU-Innenpolitiker ist seit letztem Herbst Präsident des BBK. Mitte März stellte der Ex-Polizist gemeinsam mit Innenminister Horst Seehofer seine Pläne für eine Neuausrichtung seiner Behörde vor. Dabei kündigte Schuster eine "Offensive für den Bevölkerungsschutz" an. Acht Punkte umfasst sein Konzept für die Neuaufstellung. Und der BBK-Chef hat es eilig mit der Umsetzung: "Wir wollen angesichts der aktuellen Lage noch in dieser Legislaturperiode zu ersten sichtbaren Veränderungen kommen, also für sicher drei oder vier Projekte schnell mit der Umsetzung beginnen", kündigt Schuster im DW-Gespräch an. "Mir ist es wichtig, dass wir schon einiges angestoßen haben, bevor das Hauptaugenmerk auf die Bundestagswahlen, Koalitionsverhandlungen und die neue Regierungsbildung fallen wird." Die Wahl steht im September 2021 an. Wichtigstes Ziel des obersten Katastrophenschützers: "Das BBK viel stärker im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern, als die Krisenmanagement-Behörde zum Anfassen".
Immerhin neun Millionen Deutsche tragen das BBK schon in ihrer Hosentasche: Sie haben die Warn-App "NINA" heruntergeladen. Die warnt nicht nur vor Hochwasser oder Unwettern, sondern bringt auch Informationen zum Infektionsgeschehen und die lokal aktuell geltenden Corona-Regeln aufs Handy. Die Grünen-Abgeordete Irene Mihalic sieht im Ausbau der Warn-App den größten Beitrag des BBK zur Pandemie-Bekämpfung. In einem schriftlichen Statement auf Anfrage der DW bedauert sie zugleich, dass die Fähigkeiten des BBK in der Pandemie "kaum genutzt wurden". "Ich hätte mir gewünscht, dass das BBK mehr Verantwortung hätte übernehmen dürfen", schreibt die Grünen-Innenpolitikerin.
Umfassendes Lagebild
Vielleicht kommt das BBK in der Corona-Krise noch mit dem geplanten "Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz" zum Zuge. Armin Schuster hat hohe Erwartungen: "Wir gehen davon aus und arbeiten darauf hin, dass wir damit ein deutlich umfassenderes Lagebild produzieren können, und zwar ein integratives Lagebild über alle Fähigkeiten, Reserven und Einsatzsituationen aller Beteiligten, ob im Bund, den Ländern und Kommunen oder den Hilfsorganisationen".
An so einem umfassenden Lagebild mangelt es bislang. Eine Vielzahl von Akteuren arbeitet auf den unterschiedlichen Ebenen und in verschiedensten Behörden nebeneinander her. Das BBK will sie an einen Tisch bringen. Am BBK-Sitz in Bonn gibt es bereits ein gut ausgestattetes Lagezentrum. Das könnte die Keimzelle bilden für das geplante Kompetenzzentrum. Von dem sich Schuster auch verspricht, "dass wir bei der Umsetzung von Maßnahmen vom Bund über die Länder bis zu den Kommunen ein konzertierteres Vorgehen erzeugen können".
Grünen-Innenexpertin Mihalic unterstützt zwar grundsätzlich die Initiative Schusters, beklagt aber den weiterhin "engen Zuständigkeitsrahmen". Sie fordert, der Bund müsse auch formal Verantwortung für den Katastrophenschutz übernehmen. "Genau eine solche Konstruktion kennen wir übrigens vom Bundeskriminalamt im polizeilichen Bereich", erklärt Mihalic.
"Höchste Zeit für Relevanz"
Auch Innenpolitikerin Sandra Bubendorfer-Licht von der oppositionellen FDP-Fraktion konstatiert, "es wird höchste Zeit, dass das BBK eine Relevanz bekommt". In einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der DW fordert sie, "das BBK muss endlich seine Rolle als Zentralstelle finden". Zwar habe das föderale System in Deutschland wirkliche Stärken, "aber wenn es um Schnelligkeit, Effektivität und Schlagkraft geht, brauchen wir Koordinierung und jemanden, der den Hut auf hat".
So weit darf der BBK-Chef nicht gehen - jedenfalls nicht ohne eine Grundgesetzänderung, die dem Bund mehr Kompetenzen in der Katastrophenhilfe gibt. Einstweilen setzt Schuster auf guten Willen. Das BBK wolle Netzwerkmotor, Impulsgeber, Koordinator sein, sagt er bei der Vorstellung seiner Pläne. Ein Grundsatz sei: "In der Krise Köpfe kennen".
Im Übrigen sei für ihn der Kern des Problems gar nicht so sehr die Rechtslage. Der liege "eher in der Frage: Ist das BBK mit seiner Kompetenz hinreichend bekannt und hat es ausreichend Akzeptanz?" Denn schon jetzt darf das BBK auch im Katastrophenfall tätig werden. Allerdings nur, wenn es von den Ländern oder anderen Ministerien angefordert wird im Rahmen der Amtshilfe. "All das, was wir für den Spannungs- und Verteidigungsfall durchdenken und vorbereiten, ist natürlich zu einem ganz hohen Maß auch für einen Waldbrand, für eine Naturkatastrophe oder für eine Pandemie anwendbar. Es wäre also Unsinn, dieses Know-How nicht zu nutzen", erklärt Schuster.
Immerhin das Gesundheitsministerium hat inzwischen Amtshilfe durch das BBK angefordert: Gemeinsam arbeitet man am Aufbau einer nationalen Reserve Gesundheitsschutz. Die hätte man zwar auch schon nach den Warnungen aus der Risikoanalyse 2012 anlegen können. Aber besser spät als nie.