Coronavirus sprengt die Lieferketten
26. Februar 2020"Die Unternehmen lernen jetzt, wie zerbrechlich das globale Produktionssystem wirklich ist", sagt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft im Gespräch mit der DW. Die Auswirkungen des Coronavirus auf die Wirtschaft erinnern den Ökonomen an den Zusammenbruch von Lehman Brothers Bank im Jahr 2008.
Damals wurde vielen Menschen plötzlich bewusst, dass das Finanzsystem sehr fragil ist. Als Folge hätten Unternehmen ihre Finanzstrukturen anders organisiert und seien seitdem viel weniger auf Bankkredite angewiesen. "Ähnliches könnte sich aus dem Coronavirus herauskristallisieren", so Felbermayr. Es gelte, Wertschöpfungsketten zu verkürzen, damit diese robuster würden. Produktionen müssten wieder nach Europa zurückverlagert werden.
Epidemie als "Game Changer"
Wirtschaftliche Auswirkungen hat die Epidemie vor allem durch die teils drastischen Maßnahmen, die Behörden oder Unternehmen ergreifen, um eine weitere Verbreitung etwa durch Reisebeschränkungen oder Werksschließungen zu verhindern. Darunter leiden insbesondere international tätige und vernetzte sowie exportabhängige Unternehmen.
Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sieht die Epidemie angesichts der Verwundbarkeit international verzahnter Lieferketten gar als "Game Changer" für die Globalisierung - ein Ereignis, das die bisherige Entwicklung völlig umkrempelt. Der Ausbruch und seine Folgen hätten eine "unverantwortliche und unvernünftige" Abhängigkeit von China offenbart.
Neu gedacht werden müssten nun die globalen Lieferbeziehungen insbesondere in der Gesundheits- und Autoindustrie, sagte Le Maire bei einem Besuch in der griechischen Hauptstadt Athen. "Wir können nicht weiterhin bei pharmazeutischen Wirkstoffen zu 80 bis 85 Prozent von China abhängig sein", fügte er hinzu.
Handelsexperte befürchtet Pleiten
Der Präsident der Europäischen Handelskammer in China, Jörg Wuttke, hält die wirtschaftlichen Folgen durch das Coronavirus für "weit krasser als die meisten vermuten". "Mich erreichen Hilfeschreie aus allen Ecken", sagte Wuttke in einem Interview. Viele in China tätige mittelständische Unternehmen trieben bereits auf den Bankrott zu.
Zahlreiche dieser Firmen hätten seit Wochen keine Einnahmen mehr. "Für große Konzerne ist das meist kein Problem", sagte Wuttke. "Aber viele Mittelständler kommen schon jetzt in die Bredouille."
Versorgung gefährdet
Bisher unterschätzt werden demnach auch die Folgen für die Versorgung in Deutschland. Allein die großen Reedereien Cosco und Maersk hätten in den vergangenen vier Wochen jeweils 70 Containerschiffe nicht auslaufen lassen. Da die Schiffe sechs Wochen unterwegs seien, kämen derzeit zwar immer noch Schiffe aus China an, "schon bald werden aber sehr viel weniger ankommen, dann werden in Europa etliche Produkte knapp werden", sagte der Handelskammer-Chef. Dies dürfte ab März besonders die Pharmabranche treffen, aber auch andere Bereiche.
Mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen wappnen sich derzeit deutsche Einkäufer, Logistiker und Manager von Lieferketten gegen die negativen Auswirkungen der Coronavirus-Epidemie in China. "In vielen der betroffenen Unternehmen werden Task-Force-Einheiten gebildet, die mögliche Störungen der Lieferketten schnell aufspüren und zeitnah beheben sollen", sagt der China-Beauftragte des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistig (BME), Riccardo Kurto im Interview mit der DW.
Notfallpläne für Lieferketten
"Einige Unternehmen berichteten uns, dass sie gemeinsam mit ihren chinesischen Lieferanten bestehende oder drohende Lieferengpässe in der Volksrepublik identifizieren und geeignete Notfallpläne entwickeln", so Kurto weiter. Dazu gehöre auch die genaue Analyse des Ausmaßes und der möglichen Dauer der Epidemie. "Entscheidend dabei ist, dass die chinesischen Behörden transparent über die Verbreitung des Virus informieren", erklärt Kurto.
Laut BME-Mitteilung erfuhr der Verband aus seinem Mitgliedernetzwerk in China, dass derzeit alternative Lieferquellen in anderen Teilen der Welt erschlossen werden. Dazu stünden die Firmen in engem Kontakt mit ihrer chinesischen Zuliefererbasis. Geschäftspartner des BME "erzählten uns, dass ihre Lagerbestände mittlerweile einen kritischen Punkt erreichen. Deshalb ordern sie fehlendes Produktionsmaterial vereinzelt von alternativen Lieferanten außerhalb Chinas - so beispielsweise von Zulieferbetrieben aus Europa", erläutert Kurto. Dieser Lösungsweg habe jedoch nicht zu unterschätzende Auswirkungen auf Logistik und Lieferkette der Auftraggeber, die es zu berücksichtigen gelte.
Zusätzliche Frachtflüge geplant
Unterdessen plant die Lufthansa, Europas umsatzstärkster Luftfahrtkonzern, zusätzlich Frachtflüge nach China. Zum Sonntag (1. März) werde das Angebot um einen Umlauf auf dann acht wöchentliche Frachtverbindungen ausgebaut, kündigte ein Sprecher der Lufthansa Cargo AG an.
Zunächst hatte der Konzern wegen des neuartigen Coronavirus für seine sämtlichen Fluggesellschaften die Passagierflüge zum chinesischen Festland gestrichen. Die Frachttochter Lufthansa Cargo hatte ein Minimalangebot von fünf Umläufen pro Woche aufrechterhalten und zuletzt auf sieben Hin- und Rückflüge aufgestockt. Das ist allerdings noch weit vom Normalmaß mit 15 Umläufen entfernt, zumal die Frachträume der Passagiermaschinen mindestens bis zum internationalen Flugplanwechsel am 28. März nicht zur Verfügung stehen. Die verbliebenen Cargo-Maschinen legen regelmäßig Zwischenlandungen im russischen Nowosibirsk ein, um längere Aufenthalte der Crews in China zu vermeiden.
Die von den Maßnahmen gegen das Coronavirus besonders hart getroffene Luftfracht könnte bei einem Wiederanlaufen der globalen Produktion allerdings auch zu den ersten Gewinnern gehören, wenn die unterbrochenen Lieferketten so schnell wie möglich wieder geschlossen werden müssen. "Grundsätzlich hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass auf längere Produktionspausen häufig Nachfragespitzen folgen", erklärte dazu der Cargo-Sprecher.
Autonachfrage sinkt drastisch
Die Autoindustrie - vor allem für Deutschland immens wichtig - ist durch den Brexit und den Handelskonflikt zwischen China und den USA ohnehin gebeutelt. Durch die dynamische Verbreitung des Coronavirus sei eine neue, äußerst schwer einschätzbare Gefahr entstanden, schreibt der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Es gehe nicht mehr um die Stabilität von Lieferketten, sondern "mehr und mehr um einen Nachfrageausfall in einer steigenden Dimension". Dudenhöffer rechnet als Folge der Coronavirus-Krise mit einem Einbruch des Weltautomarktes. Nur noch knapp 77 Millionen Fahrzeuge werden nach seinen Einschätzungen in diesem Jahr verkauft - rund 7,5 Millionen weniger als 2017.
Die deutsche Autobranche befürchtet außerdem laut einer Umfrage des Münchener Ifo-Instituts einen verstärkten Rückgang ihrer Exporte in den kommenden Monaten.
BIP wächst langsamer
Die Coronavirus-Epidemie dürfte die zuletzt stagnierende deutsche Wirtschaft nach Einschätzung der staatlichen Förderbank KfW bis zum Sommer weiter auf der Stelle treten lassen. "Aufgrund des Ausbruchs des Coronavirus in China dürfte sich die Stagnation im ersten Halbjahr zunächst fortsetzen", erklärte die Kreditanstalt Mit einem spürbaren Anziehen der Quartalswachstumsraten sei "erst wieder ab dem Sommer zu rechnen".
Für das gesamte Jahr 2020 erwartet KfW Research demnach einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes von nur noch 0,8 Prozent statt wie bislang 0,9 Prozent. Allerdings stützt sich diese Prognose auf die Annahme, dass die Epidemie schwerpunktmäßig auf China begrenzt bleibt und in einigen Wochen abflauen wird. Die Abwärtsrisiken wegen des Virus seien erheblich.
Alarmierende Ausbreitung des Virus auf andere Weltregionen
"Sollte die Corona-Epidemie länger andauern und auch andere Weltregionen stärker in Mitleidenschaft ziehen, werden gravierende Auswirkungen auf den Außenhandel und die Wertschöpfungsketten wahrscheinlicher, denen die deutsche Industrie besonders ausgesetzt ist", warnte KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. "Die Situation in Italien macht mir deshalb Sorgen."
Den Ausblick der Wirtschaft verdüstert vor allem, dass sich das Virus mittlerweile auch außerhalb Chinas zunehmend ausbreitet und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) inzwischen vor einer "möglichen Pandemie" warnte. Zwar habe die Epidemie in ihrem Ursprungsland China ihren Höhepunkt bereits überschritten, die plötzliche Zunahme der Infektionsfälle im Iran, in Italien und Südkorea sei aber "zutiefst besorgniserregend".