Im Gespräch
20. Mai 2008Das Gespräch war nicht geplant. Der Kalender des Dalai Lama war wie immer voller Termine. Seit mehr als 30 Jahren besucht das geistige und weltliche Oberhaupt der Tibeter fast in jedem Jahr Deutschland. Aber dieses Mal hatte er sich besonders viel vorgenommen. Er hat nicht nur öffentliche Veranstaltungen bestritten und Reden gehalten, sondern diesmal auch, was er sonst eher zögerlich tat, zahlreiche Interviews gegeben. Er versteht sich als der erste Diener seines Volkes. Zu Entspannungsangeboten sagt er stets "no time".
Diesmal nahm er sich ausgerechnet die Zeit für ein Gespräch mit einem guten Dutzend chinesisch-sprachiger Journalisten, als diese ihn am Montag (19.5.2008) in Berlin zu einem "direkten Dialog" aufsuchten. Es war das erste Mal, dass der tibetische Nobelpreisträger mit chinesischen Medienvertretern in Deutschland geredet hat, und das gleich zwei Stunden lang. Das war drei Mal so lang wie das Treffen mit Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, das so hohe politische Wellen in den Medien, der Gesellschaft und der Politik selbst geschlagen hat.
Chinesische Journalisten als Sprachrohr nach Peking
In den deutschen Medien nahm kaum jemand Notiz von dieser wichtigen Premiere. Während in unmittelbarer Nähe, direkt vor dem Adlon-Hotel, die letzten Vorbereitungen für die Veranstaltung mit ihm am Brandenburger Tor auf Hochtouren liefen, legte er in einem Hotelzimmer den überwiegend jungen Chinesen seine Autonomie-Vision und seine Hoffnung für die bevorstehende 7. Gesprächsrunde mit Peking dar. Er wollte, dass die chinesische Führung seine Worte hört: Neben einigen westlichen Medienvertretern waren viele Journalisten von offiziellen staatlichen Nachrichtenagenturen, Zeitungen und Fernsehen Chinas dabei.
Der Dalai Lama ist sich bewusst, dass er die Weltöffentlichkeit als Druckmittel gegenüber der chinesischen Regierung braucht. Und er weiß, dass dieses Mittel deshalb so unzuverlässig wirkt, weil es ereignisbezogen und emotionalgeladen ist. Allein moralische Unterstützung, auch wenn sie von Zeit zu Zeit sehr wirksam erscheint, reicht letzten Endes nicht, um zum eigentlichen Ziel zu kommen.
Ein umtriebiger Dalai Lama irritiert die chinesische Führung
Zu den Journalisten sagte der Tibeter, er habe zwei Hände ausgestreckt, eine für die internationale Gemeinschaft, die andere für die chinesische Führung. Wenn die Chinesen seine Hand nicht haben wollten, könne er sich nur auf die zweite verlassen. Der Haken dabei ist, dass die chinesische Führung umso irritierter reagiert, je umtriebiger der Dalai Lama weltweit von Regierungszimmer zu Regierungszimmer eilt. Damit sinkt aus ihrer Sicht seine Akzeptanz als Verhandlungspartner. Dabei weiß er besser als alle anderen, dass der einzige Schlüssel zur Lösung der Tibet-Frage in China liegt.
Er erklärte den chinesischen Journalisten, dass er keineswegs einer nebulösen "Großtibet-Illusion" nachhänge. Natürlich solle eine echte kulturelle Autonomie für alle Tibeter in China gelten, auch für diejenigen, die jetzt in den Nachbarprovinzen des tibetischen autonomen Gebietes leben. Man brauche die Grenzziehung zwischen den Provinzen nicht zu ändern, stattdessen könnten in diesen Provinzen autonome Bezirke eingerichtet werden. Noch drei Tagen zuvor hatte seine Heiligkeit in Bochum das Modell "Ein Land, zwei Systeme" angepriesen, wohl gemerkt: zwei politische Systeme. Schneller Sinneswandel? In der Systemfrage wird sich China keinen Kompromiss erlauben. Die Ängste um den Anfang vom Ende der territorialen Integrität sind groß. Die Bilder der zusammengebrochenen Sowjetunion und des zerstückelten Jugoslawiens sind stets gegenwärtig.
Chinesische Journalisten diskutieren mit dem obersten Tibeter
Der Dalai Lama wird gegenüber den Chinesen noch einige Überzeugungsarbeit leisten müssen. Die anwesenden Journalisten befürworteten seine Politik des "mittleren Weges". Man glaubte ihm, dass er nie mit dem Gedanken gespielt habe, alle Chinesen aus dem historisch von Tibetern besiedelten Gebiet zu vertreiben. Und dass seine Autonomie-Vorstellung für Tibet einschließt, der Zentralregierung die Zuständigkeit für Militär und Außenpolitik zu überlassen. Aber beim Blick auf die Verfassung der tibetischen Exilregierung war man schnell wieder ernüchtert. Darin wurde eindeutig die Eigenstaatlichkeit gefordert.
Die Tibet-Expertin und Politologin Stephanie Römer bezeichnet den Dalai Lama als Kristallisationsfigur, eine Person mit vielen Facetten. Ohne sein Wort gelte nichts in der Welt der Exil-Tibeter. Aber er sei zugleich auch ein Getriebener. "Die Politik kann er nicht allein machen." Doch solange seine Autorität als Exekutive und Legislative in einer Person (Charta der Tibeter im Exil) und seine moralische Kraft als Nobelpreisträger für Frieden weltweit anerkannt sind, gilt er als Gallionsfigur für alle kämpfenden Tibeter. Für Peking kann es keine ernsthafte Alternative zu Gesprächen mit ihm geben.
Ernst und zuversichtlich
Bei dem Treffen mit den chinesischen Journalisten wirkte der Dalai Lama ungleich ernster als bei seinen Fernseh-Auftritten, berichtete eine Teilnehmerin. Bei aller Ernsthaftigkeit war seine Zuversicht für die 7. Gesprächsrunde unverkennbar. Er sagte, dass er auf Chinas Staatspräsident Hu Jintao setze, da dieser den Dialog ernst nehme. Diesmal seien die Gespräche in aller Öffentlichkeit angekündigt worden, anders als früher. Der Erfolgsdruck sei damit gewachsen.