Hope: "Ohne Menuhin würde ich hier nicht sitzen"
22. April 2016Stargeiger Daniel Hope wurde 1973 in Durban, Südafrika geboren. Als er sechs Monate alt war, erhielt sein Vater, der bekannte Romanautor, Dichter und Antiapartheid-Aktivist Christopher Hope, nach langem Ringen ein Ausreisevisum. Die Familie ging erst nach Paris, schließlich nach London, wo Daniels Mutter Eleanor zunächst als Sekretärin für den berühmten Geiger und Dirigenten Yehudi Menuhin arbeitete. Später wurde sie seine langjährige Managerin.
Daniel Hope begann bereits mit vier Jahren mit dem Geigespiel. Sechs Jahre später trat er in London in das Royal College of Music ein, die letzte Station seines Studiums war die Royal Academy of Music, wo er mit Zakhar Bron arbeitete. Ab 1985 arbeitete Hope eng mit Menuhin zusammen: Sie gaben insgesamt mehr als 60 gemeinsame Konzerte. Menuhin war der musikalische Ziehvater von Hope, der mittlerweile weltweit mit den renommiertesten internationalen Orchestern und Dirigenten zusammenarbeitet. Hopes Aufnahmen erhielten zahlreiche Auszeichnungen, darunter sechs ECHO-Preise, einen Classical Brit Award, den Deutschen Schallplattenpreis und mehrere Grammy-Nominierungen.
DW: Herr Hope, Sie betonen immer wieder, dass Sie durch Yehudi Menuhin zum Geigenspiel gekommen sind. Wie kam das?
Daniel Hope: Yehudi Menuhin ist der Grund, weshalb ich Geiger geworden bin und das ganz klar, weil ich von der frühesten Kindheit an umgeben war von Geigen.
Ohne Menuhin würde ich hier nicht sitzen. Ohne diesen Job, den meine Mutter bekommen hat - es wäre für mich sehr schwierig gewesen. Wir landeten mittellos in London, wir hatten keine Staatsangehörigkeit mehr, wir mussten unsere Pässe in Südafrika abgeben - also, er hat sozusagen unsere Familie gerettet in jeder Hinsicht.
Sie sind schon als Kind mit ihrer Mutter in sein Haus gekommen. Welche Kindheitseindrücke haben Sie bis heute behalten können?
Er hat immer gesagt, ich sei ihm in den Schoss gefallen. Ich glaube, meine erste konkrete Erinnerung ist ab Drei, und das ist dann eher in seinem Haus in Gstaad, als in London. Wir waren jeden Sommer in Gstaad in den Bergen. Dort hatte er ein Festival und hat uns mitgenommen, also mich und meine ganze Familie.
Dort haben wir zwei Monate gewohnt - ein wunderschönes Haus direkt in den Bergen, mit einem unglaublichen Blick direkt auf den Gletscher mit einem riesigen Garten - und dort hatte meine Mutter auch ihr Büro.
Und dieses Haus war für mich ein Haus der Musik. Es wurde permanent gespielt, entweder von ihm oder von den vielen Gästen, die da kamen, um Musik zu machen. An einem Tag konntest Du einen Rostropowitsch oder einen Wilhelm Kempff erleben, am nächsten Tag einen Ravi Shankar oder einen Stéphane Grapelli.
Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen sich und Yehudi Menuhin?
Natürlich die bedingungslose Liebe zur Musik, da sind wir uns schon sehr ähnlich. Auch diese Lust zu entdecken: Menuhin war jemand, der ständig auf der Suche war, innerhalb seiner Interpretationen, innerhalb seines Lebens - das war für mich persönlich eine große Inspiration, gerade zu sehen, wie er zum Beispiel eine Partitur angeschaut hat, die er seit 60 Jahren kannte. Und es war, als ob er sie zum ersten Mal sieht. Und das war für mich eine große Lehre.
Wo sehen Sie denn Unterschiede zwischen sich und Yehudi Menuhin - über die Sie vielleicht auch ganz froh sind?
Es gibt natürlich auch große Unterschiede zwischen uns. Menuhin war sein ganzes Leben im Prinzip auf Tournee. Also, von seinem siebten Lebensjahr bis zu seinem 80. Und er hatte überhaupt keine Kindheit.
Diesen Erfolg, den er hatte, das können wir uns gar nicht vorstellen. Zum Beispiel dass das Publikum bei einem Sieben- oder Achtjährigen so reagiert, so ausrastet, dass man die Polizei rufen muss, oder dass ein zwölfjähriger Menuhin in Berlin an einem Abend drei Violinkonzerte hintereinander spielt und Albert Einstein in seine Garderobe rennt, auf die Knie fällt und sagt: ‘Jetzt weiß ich, dass es einen Gott im Himmel gibt!‘. Und so einen Ruhm von der frühesten Kindheit an, hatte ich nie. Und darüber bin ich heilfroh, muss ich sagen.
Yehudi Menuhin war einerseits Musiker, also Geiger und Dirigent. Im Laufe der Jahrzehnte wurde er auch immer mehr zu einer Art Institution in Sachen Humanismus. Hat ihn das verändert?
Menuhin machte eine sehr große Krise durch. Das ging während des Krieges los. Menuhins Talent war so überwältigend, dass er nie darüber nachdenken musste, er konnte einfach spielen.
Und irgendwann kam dieser Punkt, wo er das hinterfragt hat und das führte zu einer großen Krise. Und es kamen noch eine große Ehekrise und Probleme mit beiden Händen hinzu. Das hat ihn wirklich physisch und psychisch sehr belastet. Er hat versucht, das auch dadurch zu verdrängen, indem er 300 Konzerte im Jahr für die Soldaten gespielt hat, für die Alliierten.
Und letztendlich glaube ich auch, die Erfahrung, die er 1945 mit Benjamin Britten in Bergen-Belsen gemacht hat - dieses Elend zu sehen -, das war für ihn, glaube ich, extrem schlimm.
Und ab diesem Moment hat er sich komplett verändert. Er hat sich geöffnet, er hat angefangen, eine große Liebe zur Politik zu entdecken, er hat den sozialen Kontext seines Musizierens verstanden und angefangen ihn aufzubauen. Er hat Vereine gegründet wie ‘Live Music Now‘, der Kranken oder Menschen hilft, die nicht die Chance haben, Musik zu erleben.
Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht, das Edward-Elgar-Violinkonzert, das Sie auch zum Jubiläum in Berlin spielen werden?
Wenn ich ein Werk aussuchen müsste, das so maßgeblich mit Menuhin verbunden ist, wäre es das Elgar-Violinkonzert. Seine legendäre Aufnahme ist einfach gigantisch. Niemand kann das besser spielen. Das war ein großes Lieblingsstück von mir schon von frühester Kindheit an. Und ganz besonders in diesem Stück gibt es keine Passage, in der ich nicht an ihn denke.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Stücke für Ihre Tribute-CD zusammengestellt?
Dieses Album ist sehr persönlich. Ich habe nur Werke ausgesucht, bei denen es eine direkte Verbindung gibt zwischen mir und Menuhin. Das heißt: Entweder sind es die Werke, die wir gemeinsam gespielt haben - die Duos von Bartok, das Vivaldi-Doppelkonzert - oder es sind Werke, die ich viel mit ihm studiert habe oder die er dirigiert hat, wie zum Beispiel im Fall von dem wunderbaren Mendelssohn-Konzert in d-Moll.
Und auf der anderen Seite war es mir sehr wichtig zu versuchen, den Menschen von heute, die ihn vieleicht nicht kennen, zu zeigen, wie vielfältig er war. Deshalb ist diese CD sehr bunt gemischt mit Musikstilen, genauso wie er buntgemischt war.
Das Interview führte Holm Weber
Das Edward-Elgar-Violinkonzert wird bei einer Veranstaltung am 22. April im Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin gespielt.