Kurz vorm Abheben
23. November 2014Stellen Sie sich vor, Sie müssten jeden Tag 300 Kilometer zur Arbeitsstelle pendeln, von Hannover nach Berlin - und wieder zurück. Mit einem fliegenden Auto würden Sie nicht einmal zwei Stunden brauchen.
Insgesamt 17 Projekte weltweit wollen diese futuristische Idee in die Realität umsetzen - darunter das EU-Projekt MyCopter. Sechs europäische Universitäten und Forschungsinstitute sind beteiligt, darunter das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum in Braunschweig, das Karlsruher Institut für Technologie und das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen. Die EU förderte das Projekt mit 3,4 Millionen Euro.
Vier Jahre lang untersuchten Forscher von MyCopter Techniken und Konzepte für Alltags-Luftgefährte. Unter anderem haben sie ein Lenkrad entwickelt, mit dem sich ein Hubschrauber wie ein Auto steuern lässt.
"Die Piloten haben gesagt: eigentlich gar nicht schlecht", sagte Stefan Levedag vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik. Bislang wurde das Lenkrad in der Simulation getestet, gerade wird es zu Testzwecken in einen richtigen Helikopter eingebaut.
Schon nah dran
Alle 17 Projekte rund ums fliegende Auto haben dasselbe Ziel: ein Gefährt zu bauen, das sowohl auf der Straße als auch in der Luft einsetzbar ist. Daran arbeitet auch AeroMobil, eine Firma in Bratislava, der Hauptstadt der Slowakei. Auf der internationalen Zukunftskonferenz Pioneers Festival im Oktober in Wien hat das Unternehmen seinen neuesten Prototypen vorgestellt, das AeroMobil 3.0. Es hat bereits erfolgreich Tests auf der Straße und in der Luft absolviert und soll nur einen Schritt entfernt sein von dem finalen Modell, das dann auf den Markt kommen könnte.
AeroMobil-Mitarbeiter Stefan Vadocz sagt, Menschen versuchten bereits seit fast hundert Jahren fliegende Autos zu bauen - rund um die Welt. "Aber unseres ist etwas anders: es wurde von Anfang an als gewöhnliches Auto und als gewöhnliches Flugzeug designed." Das Besondere sei, dass man zwischen beiden Objekten umschalten könne.
Sportwagen mit Flügeln
Das AeroMobil 3.0 sieht aus wie ein Luxus-Sportwagen. Es hat Flügel und Räder aus Kompositmaterialien und ansonsten alles, was man bei einem fliegende Auto erwarten würde: Luftfahrtelektronik, Autopilot und einen Rettungsfallschirm. Es braucht gewöhnliches Benzin - und wie ein Flugzeug, kann es starten und landen - auf einer befestigten Oberfläche oder sogar auf einem Grasstreifen.
"Ein Auto und ein Flugzeug zu kombinieren ist keine leichte Aufgabe", sagt Stefan Vadocz. "Ein Auto sollte schwer sein und ist in Relation viel breiter als ein Flugzeug." Ein Flugzeug hingegen sollte möglichst leicht sein. "Dass man zwischen beiden umschalten kann, erlaubt es, sowohl ein vollwertiges Auto als auch ein vollwertiges Flugzeug zu haben."
Hohe Hürden
Nach einigen erfolgreichen Tests und der Präsentation auf dem Wiener Pioneers Festival gibt es für die Erbauer von AeroMobil 3.0 jetzt vor allem eines zu erledigen: Papierkram. Das fliegende Auto benötigt europäische Zulassungen - für die Straße und für die Luft.
Jan Lesinsky, Professor für Transporttechnik und Automobile an der Slowakischen Technischen Universität Bratislava, ist begeistert von der Technik, die hinter fliegenden Autos steckt. Aber er erwartet nicht, dass AeroMobil die erforderlichen Zulassungen bekommt - geschweige denn, dass fliegende Autos schon bald eine Art des Massentransports werden.
"Die Idee, einfach abzuheben, wenn man in einen Stau gerät, klingt toll", sagt er. "Aber was passiert, wenn fliegende Autos - sagen wir mal - zehn Prozent des Verkehrs ausmachen? Wenn die Autos sich im Luftverkehr zwischen 20 und 100 Meter Höhe bewegten, bräuchte man sehr klare Sicherheitsregeln."
Die Besitzer müssten zudem gleichzeitig fähige Autofahrer und Piloten sein. Und Fahrer und eine Art Tower müssten sich organisiert miteinander verständigen können, um zu entscheiden, wer wo lang fährt. "Ich bin definitiv kein Pessimist, wenn es um solche Projekt geht", sagt Lesinsky, "aber ich denke, es ist sehr unwahrscheinlich, dass wir in naher Zukunft überall fliegende Autos sehen werden."
Auch Stefan Levedag vom DLR sagt: "Das fliegende Auto werden wir auf sehr lange absehbare Zeit sicherlich nicht sehen."
Nur für die Reichen
Die meisten Menschen würden sich ein fliegendes Auto sowieso nicht leisten können, meint Lesinky. Auch Stefan Vadocz von AeroMobil gibt zu, dass ihr Gefährt ein Luxusprodukt sei: "Erwarten Sie, dass der Preis zwischen dem für einen Sportwagen und dem für ein Sportflugzeug liegt, also mehrere hunderttausend Euro."
Es gebe bereits Interessenten, sagt Vadocz, aber derzeit nähmen sie noch keine Bestellungen an. "Aber wir sind sehr froh, dass die Welt interessiert ist, unser Gefährt zu kaufen, und wir werden uns möglichst schnell um alle Zulassungen und Regulierungen kümmern." In einigen Jahren könnte es soweit sein, sagt er.
Falls AeroMobil tatsächlich die notwendigen Genehmigungen bekommt, werden wir fliegende Autos schneller zu Gesicht bekommen, als einige denken. Allerdings wird es für die meisten vermutlich dabei bleiben, die Gefährte von der Erde aus zu beobachten: "Was ist denn das da: ein Vogel oder ein Flugzeug?" - "Nein, das ist ein fliegendes Auto!"