Das Auto: Vom Statussymbol zum Nutzgegenstand
23. März 2017Für Christian Eichler ist sein Fahrrad das wichtigste Transportmittel. Und auch das einzige: "Ich habe keinen Führerschein gemacht, dafür gab es bisher für mich einfach keinen Grund. Ich habe immer in größeren Städten gewohnt, da brauche ich kein Auto." Wenn der 28-Jährige doch mal etwas transportieren muss, ruft er Freunde an, das hat bisher immer geklappt.
Den aktuellsten Zahlen des Instituts für Demoskopie Allensbach (IfD) zufolge liegt Eichler mit seiner Führerschein- und Autolosigkeit voll im Trend: Immer weniger junge Menschen setzen sich in Deutschland hinters Steuer. Während beispielsweise 2005 rund 73 Prozent der 25- bis 29-Jährigen Auto fuhren, waren es 2016 nur noch 60 Prozent. Das Auto als Jugendtraum, den man mit dem ersten Ausbildungsgehalt abbezahlt, hat anscheinend ausgedient. Oder?
Stadt und Land, zwei unterschiedliche Welten
Michael Sommer, Projektleiter am Allensbacher Institut, relativiert: "Dass das Auto immer unwichtiger ist, gilt vor allem für junge Menschen in den Städten. Auf dem Land dagegen bleibt seine Bedeutung mindestens gleich." Denn in der Großstadt gebe es zahlreiche Alternativen: Gegenüber ÖPNV und Fahrrad wird ein eigener PKW angesichts Parkplatznot, Staus und hoher Kosten immer unattraktiver. Und falls man doch hier und da mal ein Auto braucht, gibt es Mietwagen oder Carsharing.
Im ländlichen Raum dagegen geht ohne Auto nicht viel, außer man möchte jedes Mal 15 Kilometer zum Supermarkt radeln. Oder sein Leben nach dem spärlichen Fahrplan des Busses ausrichten, der dreimal am Tag an der örtlichen Haltestelle hält.
Faszination Auto ist Vergangenheit
So weit die praktische Nutzung des Autos. Aber was ist mit der gesellschaftlichen Bedeutung, dem Auto als Statussymbol, als persönlichkeitserweiterndes Produkt, dem man einen emotionalen Stellenwert beimisst? Der Wirtschaftssoziologie Holger Rust hat sich in seiner Forschung bereits mehrfach dem Verhältnis junger Menschen zu Autos gewidmet: "In den Wirtschaftswunderjahren war die individuelle Motorisierung so etwas wie das eingelöste Versprechen der Nachkriegsdemokratie. Beruflicher und persönlicher Erfolg zeigten sich in der Wahl des Autos. Über die Jahrzehnte hat das Auto dann als Statussymbol langsam seine Bedeutung verloren."
In den 1950er Jahren habe jeder kleine Junge erkannt, um welches Fabrikat und Baujahr es sich bei einem Auto handele, wie viel PS es habe, so Rust weiter. Von einer solchen Faszination sei man im Jahr 2016 weit entfernt. Die Zahlen des Allensbacher Instituts geben dem Soziologen Recht: Interessierten sich im Jahr 2000 noch 44 Prozent der 18- bis 29-jährigen Männer für das Thema Auto, waren es 2016 nur noch 31 Prozent.
Kein gesichertes Einkommen, andere Prioritäten
Rust sagt, dass auch die veränderten finanziellen Möglichkeiten junger Menschen mit für ihr Desinteresse verantwortlich sind: "Sie steigen heute relativ spät in das Berufsleben ein. Und auch dann gibt es oft nur befristete Verträge." Liegen die Möglichkeiten, sich ein eigenes Auto zu leisten, so fern, ist auch eine Beschäftigung damit müßig.
Außerdem gibt es, anders als früher, neben dem Auto eine Vielzahl anderer Produkte, die als Statussymbol fungieren können. Junge Menschen offenbarten ihre Millieuzugehörigkeit heutzutage eher über ein Smartphone, ein bestimmtes Fahrrad oder die Einrichtung ihrer Wohnung, so Rust. Wichtig sei zudem nicht mehr so sehr das einzelne Produkt, sondern die Kombination: "Man kann einen Anzug mit einem Kapuzen-Shirt kombinieren und so das Luxuriöse daran ironisieren. Auch der Trend zum Alten und scheinbar Kaputten unter jungen Leuten, zum Beispiel bei Küchen oder Fahrrädern, ist letztlich nichts anders als ein Statement. Die Selbstverständigung über Produkte ist differenzierter als je zuvor."
Jugendtraum nein, Nutzgegenstand ja
Viele junge Deutsche haben in Bezug auf das Auto keine besonders emotionale Haltung mehr, im Marketing spricht man auch von geringerem "Involvement". Doch brauchen tun es früher oder später trotzdem noch viele, zum Beispiel Sebastian Paus aus Barlo, einem abgelegenen Stadtteil der Kleinstadt Bocholt in Nordrhein-Westfalen. Das Hobby des 19-Jährigen ist Springreiten, für den Reitunterricht und Turniere muss sein Pferd jede Woche von A nach B transportiert werden. Deshalb hat der Abiturient bereits ein eigenes Auto, das er auch für den Weg zur acht Kilometer entfernten Schule nutzt.
Auch Kinder sind oftmals ein Grund, um sich einen PKW anzuschaffen: Mit dem Fahrrad oder dem Bus zur Kita, zum Arzt oder in den Urlaub ist dann doch nicht mehr so praktisch.
Je größer und teuer das Auto, desto höher der soziale Status, das gilt heute sicherlich nicht mehr. Aber die Bedeutung des Autos für den Einzelnen hängt von den Lebensumständen ab: So sehen sowohl gleichaltrige Menschen in verschiedenen Milieus das Auto unterschiedlich, als auch Menschen aus gleichen Milieus, aber in unterschiedlichen Lebensphasen.
Auch Christian Eichler glaubt, dass er irgendwann den Führerschein nachholen wird: "Vielleicht brauche ich das ja mal für den Job und auch fürs Reisen ist es praktischer. Aber ein eigenes Auto gäbe es wohl erst mal nicht, ich würde eher Carsharing nutzen."