Wegfrieren für später
16. Oktober 2014Es ist eine ungewöhnliche Sozialleistung. Und vermutlich keine vollkommen uneigennützige.
Das US-Unternehmen Facebook übernimmt die Kosten für das Entnehmen und Einlagern von Eizellen, sollten sich ihre Mitarbeiterinnen dazu entschließen. Das berichtete der US-Fernsehsender NBC News. Ein Pressesprecher des Unternehmens bestätigte gegenüber einer US-amerikanischen Nachrichtenagentur, dass Facebook diese Regelung im Januar eingeführt habe. Auch der US-Konzern Apple soll planen, das Einfrieren von Eizellen ab dem kommenden Januar zu finanzieren.
Mit diesem Angebot wollten die Unternehmen den Anteil ihrer weiblichen Mitarbeiter erhöhen, heißt es im Fernsehbericht. Die Firmen möchten ihren Angestellten demnach die Gelegenheit bieten, sich zunächst auf ihre berufliche Karriere zu konzentrieren und erst später Kinder zu bekommen.
Wegfrieren für später
Das Einfrieren von Eizellen war ursprünglich für Krebspatientinnen gedacht, die eine Chemotherapie oder eine Bestrahlung brauchen. Diese lebensrettenden Maßnahmen schädigen Eizellen und können eine Frau unfruchtbar machen. Indem man Eizellen der Frau vor der Krebsbehandlung entnimmt und einfriert, soll es ihr möglich gemacht werden, auch nach der Behandlung noch Kinder zu bekommen.
Heutzutage nutzen Frauen diese Methode aber auch aus anderen Gründen: etwa, weil sie den Partner fürs Leben noch nicht gefunden haben. Oder weil sie vor der Familienplanung erst Karriere machen möchten. Ein solches vorsorgliches Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund nennt sich "Social Freezing."
Eine Frau, die sich dazu entschließt, bekommt mehrere Wochen lang Hormonspritzen, die ihre Eistöcke dazu bringen, mehrere Eizellen gleichzeitig heranreifen zu lassen. Anschließend wird ihr ein Medikament verabreicht, das den Eisprung auslöst. In einem kleinen Eingriff entnimmt ihr der Arzt die Eizellen mit einer Spritze, die er über die Scheide einführt.
Die Eizellen werden unmittelbar nach der Entnahme eingefroren, zusammen mit Substanzen, die verhindern, dass sich in ihnen Eiskristalle bilden. Spitze Eiskristalle würden die Zellen nämlich zerstören.
Entscheidet sich die Frau schließlich dazu, dass es an der Zeit ist, schwanger zu werden, taut der Arzt die Eizellen auf und führt eine künstliche Befruchtung durch.
Erfolgsrate noch unbekannt
Nicht alle Eizellen überstehen das lange Eingefrorensein und Wiederauftauen. Ob sie sich anschließend noch befruchten lassen, hängt auch davon ab, wie alt die Frau war, als man ihr die Eizellen entnommen hat, sagt Katrin van der Ven, Oberärztin am Zentrum für Geburtshilfe und Frauenheilkunde des Uniklinikums Bonn im DW-Interview: "je jünger desto besser". Die besten Erfolgsaussichten hätten Frauen, die sich vor dem 30. Lebensjahr zu diesem Schritt entschließen.
Um die Eizellen einzufrieren, verwenden Ärzte heutzutage eine Methode namens Vitrifizierung. Dabei werden zu den Eizellen Anti-Eis-Bildner dazugegeben und die Mischung wird sehr schnell heruntergekühlt. "So eingefrorene Eizellen haben die gleichen Befruchtungsraten wie frische Eizellen", sagt van der Ven. Aber sie betont, dass es derzeit noch keine Langzeitstudien gebe, da die Methode noch relativ jung ist. "Es ist eine vielversprechende Methode, aber über die Langzeitchancen können wir noch keine Aussagen machen."
Keine Garantie
Auch eine künstliche Befruchtung, kurz IVF genannt, bietet keine hundertprozentige Gewähr, schwanger zu werden. Laut Deutschem IVF-Register für das Jahr 2012 waren 93 Prozent aller Befruchtungen im Labor erfolgreich und der Embryo konnte in die Gebärmutter der Frau übertragen werden. 15 Prozent aller resultierenden Schwangerschaften allerdings endeten mit einer Fehlgeburt.
Ob eine Frau ein gesundes Kind empfangen und zur Welt bringen kann, hängt auch davon ab, wie alt der Vater ist, sagt van der Ven. "Man hat zunehmend Daten, dass bestimmte genetische Erkrankungen häufiger sind, wenn der Vater alt ist."
Eizellen einzufrieren reicht also möglicherweise nicht aus - denn der potentielle Vater altert genauso wie die Frau.
"Eine gute Option"
Katrin van der Ven hat selbst zwei Kinder und hat viele Jahre darum gekämpft, Familie und Karriere unter einen Hut zu bringen. Es war hart, erzählt sie. Social freezing ist "keine optimale Lösung", sagt sie, aber "es stellt für Betroffene im Augenblick eine gute Option dar". Sie geht sogar so weit zu sagen, dass eine Frau, die gleichzeitig Kinder und viel Erfolg im Beruf haben möchte, "heutzutage keine andere Option hat."
Aus einem Kann könnte ein Muss werden
Ethiker Joachim Boldt, stellvertretender Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg, befürchtet, dass das Angebot der US-Firmen irgendwann zu einer Erwartungshaltung führen könnte. Wenn eine Frau doch mit Mitte 20 ein Kind bekommen möchte, könnten die Firmenchefs sagen: "Wir bezahlen doch dafür, dass sie ihren Kinderwunsch nach hinten verschiebt - warum tut sie das dann nicht?" Am Ende wäre eine Frau dann vielleicht gezwungen, ihre Eizellen für später einzufrieren, wenn sie in diesem Unternehmen Erfolg haben will, sagt Boldt im DW-Interview.
"Wir müssen aufpassen"
Die alles entscheidende Frage ist laut Boldt, ob ein gesellschaftliches Problem vollständig auf den Schultern der Frau lasten sollte: "Dass Frauen Beruf und Familie nicht vereinbaren können, ist ein gesellschaftliches Problem". Ein Problem, betont er, das die skandinavischen Länder vorbildlich und gerecht gelöst haben. Dort sei die Kinderbetreuung extrem gut organisiert und Teilzeitarbeit viel besser akzeptiert als in anderen Ländern. "In Deutschland glaubt man hingegen, jemand, der nur Teilzeit arbeitet, sei nicht bereit, sich voll einzusetzen."
Mitarbeiterinnen dafür zu bezahlen, ihre Eizellen einfrieren zu lassen, sei eine vermeintlich einfache Lösung, die aber den Blick aufs große Ganze versperren könnte: nämlich dass es nötig sei, eine gesellschaftliche Lösung zu finden, sagt Boldt. "Social Freezing ist nicht per se schlecht, aber wir müssen aufpassen."