Das Elektroauto muss noch die Kurve kriegen
27. Dezember 2020"COVID-19 wird der Autoindustrie länger erhalten bleiben als das Virus", sagt Ferdinand Dudenhöffer, Chef des CAR-Center Automotive Research in Duisburg gegenüber der DW. Damit spielt der Autoexperte auf die stark steigende Verschuldung der Volkswirtschaften in Folge der Corona-Pandemie an. Das Geld zur Schuldentilgung fehle deshalb noch sehr lange an anderer Stelle. Sein Fazit: "Der Automarkt wird längerfristig schwach sein in Europa."
Bereits vor Ausbruch der Coronakrise wuchs der Druck auf die Branche. Elektrifizierung und Digitalisierung erfordern hohe Investitionen. Die Unternehmen reagieren mit Sparprogrammen und Stellenabbau. Bei den Kunden steigt die Verunsicherung. Für welche Antriebsart sollen sie sich bei Anschaffung eines neuen Fahrzeugs entscheiden? Elektroautos sind teuer, Batterietechnik und Ladeinfrastruktur noch längst nicht ausgereift. Der Verbrennungsmotor erscheint als Auslaufmodell im Widerspruch zum Klimaschutz.
Dann der Konjunktureinbruch aufgrund der Corona-Pandemie: Nach Berechnungen des CAR-Centers werden die Neuwagen-Verkäufe in Deutschland 2020 insgesamt wohl um mehr als 20 Prozent niedriger ausfallen als im Vorjahr. Das heißt aber nicht, dass die Leute auf ein eigenes Auto verzichten. Nach Angaben des Kraftfahrtbundesamtes waren zum 1.Oktober 2020 knapp 48,2 Millionen Pkw angemeldet - rund 460.000 mehr als zu Jahresbeginn. Ältere Fahrzeuge werden also länger gefahren als in der Vorkrisenzeit.
Staatliche Subventionen sollen helfen
Damit dieser Trend sich nicht weiter verfestigt und um die Transformation zur Elektromobilität zu beschleunigen, will die Politik gegenhalten. Immerhin ist der Automobilsektor für Deutschland eine Schlüsselindustrie mit direkt oder indirekt gut zwei Millionen Arbeitsplätzen. So wurden die Prämien von bis zu 9000 Euro für den Kauf von Elektro- und Hybridautos bis Ende 2025 verlängert.
Die durch den Transformationsprozess gebeutelte Zulieferindustrie soll ab Januar durch ein milliardenschweres Programm gestützt werden, was den Übergang zu umweltfreundlichen Antrieben und die Datenverarbeitung im Auto vorantreiben soll.
Als weiteres Kernthema gilt die Förderung der Digitalisierung in der Produktion und die Vernetzung von Fahrzeugen. Dafür will der Bund einen Zukunftsfonds mit einem Finanzvolumen von einer Milliarde Euro für finanzschwache Betriebe einrichten.
Elektroautos im Nischendasein
"Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der die Elektromobilität tatsächlich aus ihrer Nische kommt", sagt Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach gegenüber der DW. "2021 werden rund 15 Prozent der Neuzulassungen in Deutschland Elektrofahrzeuge sein. Das ist eine sehr relevante Größe."
Bratzel glaubt, dass aufgrund der staatlichen Hilfen das Thema Elektrofahrzeuge in der Öffentlichkeit immer mehr Akzeptanz findet. "Neben der Höhe der Förderung ist es auch ein Signal aus der Politik, dass es keinen Zuschuss mehr für Verbrenner gibt. Elektromobilität steht künftig an erster Stelle."
Upgrade des Ladenetzes stockt
Ein großes Problem dabei ist der Ausbau des Ladenetzes. Noch sind zwei Drittel der gut 48 Millionen Pkw auf Deutschlands Straßen Benziner, 31 Prozent sind Diesel, nur 223.000 werden voll-batterie-elektrisch angetrieben (Stichtag 1. Oktober 2020).
Bei den bestehenden bundesweit 33.000 öffentlichen Ladepunkten kämen auf einen Ladepunkt gerade mal sieben vollelektrische Autos, rechnet Autoexperte Dudenhöffer vor. Damit könne man eine Ladestation nicht ökonomisch betreiben, erklärt der Betriebswirt. Der Wunsch der Autobauer, schnell mehr öffentliche Ladepunkte einzurichten, sei zwar nachvollziehbar, aber für Energieanbieter weniger handfest.
Öffentliche Förderung hinderlich
Paradoxerweise seien es gerade die üppig fließenden staatlichen Subventionen, die einen sinnvollen und schnelleren Ausbau des Ladenetzes behindern, glaubt Dudenhöffer. Manche Städte ließen subventionierte Ladesäulen dort errichten, wo gerade Platz sei - und zwar lediglich aus Imagegründen und nicht an Orten, an denen sie wirklich gebraucht würden.
Gäbe es - wie kürzlich in Großbritannien verkündet - auch in Deutschland ein Verkaufsverbot für Pkw mit Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2030, würden sich die Energieerzeuger selbständig und ohne Subventionen bereits jetzt einen Konkurrenzkampf um die besten Plätze für öffentliche Ladestationen liefern. Denn dort würden zukünftig die höchsten Einnahmen erzielt.
"Unser Problem in Deutschland ist es", formuliert Dudenhöffer im DW-Gespräch salopp, "nicht politisch den Ordnungsrahmen zu gestalten, sondern Probleme mit Steuergeldern zuzuschütten".
Ausbau der Stromnetze
Stefan Bratzel sieht in der Entwicklung der Ladestruktur ein "Marathon-Thema". Neben der Errichtung von Ladestationen müssten auch die Stromnetze so ausgebaut werden, dass sie der Belastung standhalten, wenn in Ballungsgebieten viele Anwohner gleichzeitig ihre Fahrzeuge aufladen wollen.
Wichtig für den Durchbruch der Elektromobilität sei, dass gerade in Stadtgebieten, wo nicht jeder Autofahrer eine eigene Garage mit Wallbox besitzt, öffentliche Schnell-Ladestationen eingerichtet würden. Dort müsse es möglich sein, ein Auto innerhalb einer Viertelstunde für mehr als 150 Kilometer Reichweite aufzuladen.
"Ich glaube, dass wir in den 2030er Jahren eine Zeit erleben werden, in der der Verbrennungsmotor immer mehr zu einer Randerscheinung wird", steckt Bratzel den Zeitrahmen für die kommende Entwicklung der Elektromobilität ab.
Autonomes Fahren soll kommen
Mit dieser Entwicklung einher geht das autonome Fahren - immer noch ein höchst umstrittenes Thema, bei dem neben vielen technischen Problemen auch noch die ethischen und rechtlichen Fragen geklärt werden müssen. Wer haftet, wenn ein Software-gesteuertes Auto ohne Fahrer in einen Unfall verwickelt wird?
Was die technische Seite anbelangt, hat Ferdinand Dudenhöffer einen klaren Favoriten. "Wie beim batterie-elektrischen Fahren bringt Tesla auch beim autonomen Fahren die Welt in Bewegung."
Tesla-Chef Elon Musk, mittlerweile zweitreichster Mensch der Welt und unter anderem Besitzer eines Autobauers, der bereits zweieinhalbmal so viel wert ist wie VW, Daimler und BMW zusammen, wurde vor nicht allzu langer Zeit noch für seine Pläne belächelt.
Musk antwortete kürzlich in einem großen Interview mit der Welt am Sonntag auf die Frage, wann seine Systeme zum autonomen Fahren ausgereift wären: "Ich bin zuversichtlich, dass Tesla nächstes Jahr (das höchste) Level 5 erreicht. Extrem zuversichtlich. 100 Prozent."