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Das Ende der E-Mail in Korea

Konstantin Klein30. November 2004

Das Ende der E-Mail im Zeitalter der Spamflut ist schon oft vorhergesagt worden: zu viel Werbemüll macht Mailboxen unbrauchbar. Doch es gibt auch andere Gründe, warum E-Mail aus der Mode kommen könnte.

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Es ist alles eine Frage des Standpunktes. In ihrer kleinen, aber todschicken Eigentumswohnung, irgendwo in Deutschland, gehört Oma Kasulke zur Avantgarde ihrer Altersklasse; schließlich benutzt sie einen Computer, surft im Netz und betreibt einen regen E-Mail-Verkehr, unter anderem mit ihrem Enkel Kevin Kasulke, der ihr das alles beigebracht hat.

Nehmen wir aber nun einmal an, so ganz theoretisch, dass Oma Kasulkes Eigentumswohnung nicht irgendwo zwischen Garmisch und Flensburg liegt, sondern zwischen Busan und Janggok. Und bevor Sie jetzt Ihren alten Diercke-Schulatlas hervorkramen müssen: das sind zwei Städte in Südkorea.

E-Mail ist für alte Leute

In Südkorea nämlich würde Oma Kasulke, die dann aber vermutlich anders hieße, immer noch viele E-Mails von ihrem Enkel bekommen (der dann vermutlich auch nicht Kevin hieße). Kevin aber - oder eben sein südkoreanisches Gegenstück - würde nach dem Abschicken der E-Mail an Oma ganz rasch sein Mail-Programm wieder schließen, denn: E-Mail ist was für alte Leute.

Das ist das etwas überraschende Ergebnis einer Untersuchung von Lee Ok-hwa, einem koreanischen Universitätsprofessor. Er hat mehr als 2000 Gymnasiasten und Studenten befragt, und zwei Drittel der Befragten hatten geantwortet, kaum noch - wenn überhaupt - E-Mail als Kommunikationsmedium zu nutzen. Stattdessen bevorzugen sie Unterhaltungen über Instant-Messaging-Dienste wie AIM oder ICQ, SMS von Handy zu Handy oder die Kommunikation über Weblogs (die in Korea auch "Ein-Mann-Medien" genannt werden). Die Abrufzahlen großer Internet-Anbieter des Landes bestätigen den Trend: Während die Zahl der verschickten Mails um bis zu 20 Prozent gesunken ist, stieg die Zahl der monatlichen SMS seit Oktober 2003 um 40 Prozent, und ein populärer Webloghoster meldet, dass sich die Nutzung seiner Dienste im gleichen Zeitraum versechsundzwanzigfacht hat.

Die Oma schüttelt den Kopf

Dies alles liest Oma Kasulke kopfschüttelnd (ja, die Oma liest auch Zeitungsartikel aus Südkorea, wenn sie interessant sind - immer noch besser als die "Goldene Frau mit Eichenlaub und Diamanten", oder wie das Käseblatt nochmal heißt!) und macht sich Gedanken. Ist E-Mail wirklich schon so langsam, langweilig, hausaufgabenartig, dass in einem fernen Land Menschen wie ihr Enkel lieber SMSen verschicken?

Offenbar, so vermutet Professor Lee, kommen IM und SMS in ihrer Schnelligkeit und Knappheit den Bedürfnissen junger Koreaner näher als die gute alte E-Mail. Asiatisch-höflich verweist der Professor dabei nicht auf die kurze Aufmerksamkeitsspanne der Nach-MTV-Generation, sondern fabuliert, nein: formuliert es so, dass junge Koreaner es einfach nicht aushalten, ihre Gefühle nicht sofort auszudrücken und ausgedrückt zu bekommen.

Die Oma und der Zeitgeist

Seufzend klickt Oma Kasulke den Artikel vom Schirm, schließt ihr E-Mail-Programm und greift nach dem Handy, das sie als drahtlose Oma natürlich auch besitzt. Und sie beginnt, eine SMS an ihren Enkel in die Tastatur zu tippen, und sie kichert leise: Der wird sich noch wundern! Von wegen: Alte Menschen können nur E-Mail...