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Das Ende der Gacaca-Prozesse in Ruanda

6. April 2010

In Ruanda fielen 1994 fast eine Million Menschen einem grausamen Völkermord zum Opfer. In Justizverfahren vor Dorfgerichten sollen sich die zerstrittenen Parteien versöhnen. Nun werden die letzten Akten geschlossen.

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Fünf Richter des Gacaca-Gerichtes sitzen gemeinsam an einem Tisch (Foto: DW)
Die fünf Gacaca-Richter hören sich die Anklage anBild: Simone Schlindwein

Es ist stickig und heiß in dem kleinen Gemeindesaal im Zentrum Kigalis. Alle Sitzbänke sind voll besetzt. Auf einer Tribüne sitzen fünf Männer und Frauen in bunten Roben, die Gemeinderichter in den traditionellen Gacaca-Gerichten. Hier, in diesen Dorfgerichten, wurde in den vergangenen Jahren der Völkermord von 1994 aufgearbeitet, in dem 800.000 Menschen auf grausame Weise abgeschlachtet wurden. 16 Jahre nach dem Genozid werden nun die Akten geschlossen. Dies ist einer der letzten Fälle, die verhandelt werden.

Blick in den Gerichtssaal, indem dei Gemeinde von Nyarugenge mit Verfahren folgt (Foto: DW)
Die Gemeinde von Nyarugenge ist bei den Verfahren anwesendBild: Simone Schlindwein

Hasinaporo Rwigara steht im feinen Anzug vor den Richtern und der Gemeinde und verliest seine Anklage: Der reiche Geschäftsmann, ein Tutsi, beschuldigt elf Männer, sein Warendepot geplündert zu haben. Damals, 1994, als radikale Hutu-Extremisten durch die Straßen zogen, um Tutsis zu töten oder das Hab und Gut derjenigen zu stehlen, die – wie Rwigara – geflohen waren. Er befand sich damals im Exil, in Europa, um dem Massenschlachten zu entgehen. Heute, 16 Jahre später, ist er zurück in seiner Heimat, um Gerechtigkeit zu finden.

Über eine Million Täter verurteilt

Rwigaras Fall ist einer von einer Million und zweihunderttausend Fällen, die in Ruanda verhandelt wurden. Eine unglaubliche Zahl. Fast eine Million Täter wurden verurteilt. Sie sitzen in überfüllten Gefängnissen oder sind zum Teil schon wieder entlassen. Sie sind zurück in ihren Dörfern, auf ihren Hügeln und leben Tür an Tür mit den Verwandten und Nachbarn ihrer Opfer.

Denis Bikesha ist einer der Direktoren der Gacaca-Kommission, die die über 12.000 Gacaca-Gerichte landesweit koordiniert. Er zieht eine positive Bilanz im Hinblick auf die fünf Aufgaben, die die Gacaca-Gerichte erfüllen sollten: Die Wahrheitsfindung, die Beschleunigung der Verfahren, die Versöhnung der Bevölkerung, die Beendigung einer Kultur der Straflosigkeit und die Erbringung des Beweises, dass Ruanda seine inneren Streitigkeiten selbst lösen kann. "Diese Mission haben wir erfüllt", sagt Bikesha.

Doch das war ein Gerichtsmarathon: Fünf Jahre haben im ganzen Land die rund 12.000 Gacaca-Gerichte mehrmals in der Woche getagt. Fast 170.000 Richter haben freiwillig ihre Zeit und ihren guten Willen geopfert. Vor normalen Gerichten wäre diese Zahl der Fälle in solch kurzer Zeit nicht möglich gewesen, sagt Bikesha. Bei der Frage, wo Ruanda heute stehe, ohne die Gacaca-Gerichte, schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen: "Wir lägen in Ruanda weit zurück. Denn die rasante Entwicklung unseres Landes basiert auf Versöhnung. Gacaca bot eine Plattform, die Wahrheit zu finden."

Die Wahrheit finden, um zu versöhnen

Ein Kläger steht vor dem Richterpult (Foto: DW)
Der Geschäftsmann Hasinaporo Rwigara trägt seine Anklage vorBild: Simone Schlindwein

In den traditionellen Dorfgerichten hat die Mehrheit der Mörder ihre grausamen Taten gestanden. Die Versöhnung der Dorfgemeinschaft sei nur möglich, wenn die Täter gestehen und um Verzeihung bitten, sagt Bikesha: "Ohne diese Versöhnung hätten wir immer noch die Spaltung in ethnische Lager und das würde die soziale Entwicklung behindern." Bei internationalen Menschenrechtsorganisationen sind die Gacaca-Gerichte umstritten. Sie entsprächen nicht den internationalen Standards, sagt Carina Tertsakian von Human Rights Watch in Ruanda. Sie hat viele Fälle erlebt, in denen Zeugen und Verteidigung unter Druck gesetzt und gezwungen wurden, bestimmte Dinge zu sagen, berichtet sie: "Wir haben Korruption beobachtet, wo Richter bezahlt wurden, gewisse Urteile zu verhängen." Unter diesen Bedingungen sei es schwer, tatsächlich die Wahrheit herauszufinden.

Über all diese Vorwürfe kann Deudonné Uwayezu nur den Kopf schütteln. Der 36-jährige ist der Gacaca-Richter von Karagarama, einer kleinen Siedlung, hoch oben auf einem Hügel – nicht weit von Kigali. Er hat als erster Richter in Ruanda seine Gacaca-Akten geschlossen. 660 Fälle hat er in der Gemeinde verhandelt, 660 Urteile gesprochen – es war eine gewaltige Aufgabe, sagt er. Immerhin sind bei dem Massaker in der Grundschule des Dorfes über 2.000 Menschen getötet worden, darunter auch seine Tante und deren Kinder, erzählt er: "Aber meine Aufgabe war es, die Täter zu richten. Ich musste neutral bleiben, sonst hätte ich meine Glaubwürdigkeit verloren. Ich denke, Gacaca hat uns Frieden gebracht", sagt er.

Gacaca - Richter Deudonné Uwayezu in seinem Fußballtrikot
Gacaca - Richter Deudonné Uwayezu in seinem FußballtrikotBild: Simone Schlindwein

Die Mörder sind zurück in den Dörfern

Ein Frieden, der befremdlich anmutet. Denn viele der Täter wurden bereits aus den Gefängnissen entlassen – und sie sind zurück. Sie leben wieder Tür an Tür mit den Angehörigen ihrer Opfer. Auch die Mörder von Uwayezus Tante sind zurück im Karagarama. Doch Angst vor Rache habe er nicht, sagt er – Dank Gacaca. "Wenn ich sie heute im Dorf treffe, dann können sie mir nichts anhaben. Jeder kennt die Wahrheit, das schützt uns vor deren Rache."

So wie in Karagarama, beginnt für die Ruander landesweit nun eine neue Zeit – ein Leben ohne die wöchentlichen Gacaca-Prozesse. Doch auch wenn die Akten nun geschlossen sind: Völkermord-Verbrechen verjähren nicht. Neue Fälle werden vor den ordentlichen Gerichten verhandelt. Und auch in den Dörfern gehe die Versöhnungsarbeit weiter – jeden Tag, erklärt Richter Uwayezu. Er trainiert nun die lokale Jugendfußballmannschaft. Er sagt, dies sei auch ein Weg die Menschen zusammenzubringen. Dann sprintet er davon - zum Fußballplatz.

Autorin: Simone Schlindwein

Redaktion: Stephanie Gebert