Das Kino und die Computerspiele
9. Juli 2013"Spiele haben es in den letzten zehn Jahren aus einer Subkultur heraus zu einem richtigen Kulturgut geschafft", sagt Florian Stadlbauer, Geschäftsführer der erfolgreichen Spieleentwicklungsfirma "Deck 13". Stadlbauer ist in diesem Jahr Gast beim 31. Filmfest München (28.06.-06.07.2013). Filmproduzenten seien in den letzten Jahren durch die fortschreitende Entwicklung auf das neue Medium aufmerksam geworden, meint Stadlbauer: "Mit der Reifung der Spieleindustrie hat sich die Filmwelt dafür interessiert."
Diana Iljine, seit dem vergangenen Jahr Leiterin des Filmfests, hat die neue Programmsektion "Games" in das Festival integriert, um Schnittstellen zwischen Kino und Spielen näher zu untersuchen. "Spiele haben optisch, erzählerisch und atmosphärisch viele Gemeinsamkeiten mit Filmen", sagt sie. Eine Filmreihe zum Thema, Vorträge und Workshops sorgen dafür, dass Vertreter beider Sparten zusammenkommen.
Das Vernetzen von Berufsgruppen der Kino- und der Spieleindustrie ist auch ein Hauptarbeitsfeld von Philipp Schall. Von Hause aus Filmproduzent, interessiert sich Schall schon lange für Computer- und Videospiele und wurde von Diana Iljine mit dem diesjährigen Programmschwerpunkt "Games" als Kurator betraut. Schall sieht zahlreiche Parallelen zwischen beiden Sparten, allerdings auch noch viel Spielraum für Kreativität.
Kreativer Austausch
Drehbuchautoren, die Texte für das Kino schrieben, können auch Spiele entwickeln, meint er. Auch andere kreative Berufsgruppen bei einer Filmproduktion wie Set-Designer könnten Jobs in der Spielentwicklung übernehmen. Zum Teil geschehe das auch schon. Im Bereich Musik sei das beispielsweise sehr ausgeprägt: "Ich kennen keinen Filmkomponisten, der nicht auch für Computer- und Videospiele komponiert." Gerade vor dem Hintergrund schwindender finanzieller Budgets im Bereich Kino- und Fernsehproduktion sieht Schall eine Chance für viele Kreative. Die Spieleindustrie hat sich in den letzten Jahren zu einem globalen, prosperierenden milliardenschweren Geschäft entwickelt.
Natürlich ging es beim Programm "Games" beim Münchner Filmfest nicht nur ums Geld und um Zukunftschancen für kreative Berufe. In einer Filmschau waren neun Werke zu sehen, die sich mehr oder weniger direkt mit der Welt der Computer und dem digitalen Wandel beschäftigten. Der Klassiker, von vielen auch liebevoll als "Mutter aller Games-Filme" bezeichnet, ist die Disney-Produktion "Tron" (siehe unser Artikelbild). In "Tron" wurden 1982 erstmals längere computeranimierte Sequenzen in die Handlung integriert. "Wargames" (1983) machte den Computer zu einem Hauptdarsteller: Erzählt wird die Geschichte eines jungen Computer-Freaks, der einen streng geheimen US-Computer hackt und sich plötzlich zwischen den Fronten der US-Militärs und der Sowjets sieht. Angesichts der Vorgänge um den inzwischen weltberühmten Whistleblower Edward Snowden ist "Wargames" ein hochaktueller Film.
Film und Spiel nähern sich an
"Tron" und "Wargames" sind Beispiele aus der Steinzeit der digitalen Welt. Neu dagegen ist ein Film wie "Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt" (2010), der Optik und Sujets von Computerspielen auf großer Leinwand variiert.
Dass der Spielfilmklassiker "Uhrwerk Orange" von Stanley Kubrick (1971) in der Reihe zu sehen war, ist zunächst eine Überraschung. Lange vor der digitalen Revolution produziert, spielen in dem Film Computer noch keine Rolle. Sieht man "Uhrwerk Orange" heute wieder, hat man aber den Eindruck, Zeuge eines komplexen Computerspiels auf großer Leinwand zu sein: "'Uhrwerk Orange' zeigt sehr genau die Mechaniken, wie soziale Systeme funktionieren, wie man seine Ziele erreichen kann oder auch nicht. Das ist in dem Film sehr klar strukturiert", sagt Philipp Schall.
Auf einer Wellenlänge
"Viele Kinofilme beziehen Inspirationen aus den verschiedenen Medienwelten, von Comics, Musik, Subkulturen, aber eben auch aus der Welt der Spiele", ist Florian Stadlbauer überzeugt. Umgekehrt funktioniere das auch. Spieleentwickler blickten sehr genau auf das, was aus den großen Hollywood-Studios komme.
Auch Patrick Rau, Spielentwickler aus Berlin ("kunst-stoff"), sieht viele Parallelen zwischen beiden Welten: "Es gibt zwei Aspekte: eine inhaltliche und eine technologische Beeinflussung." Gerade die technologische werde immer spannender, meint Rau und verweist auf das sogenannte "Second Screen-Prinzip". Da könne man als User zu Hause vor dem Fernsehschirm sitzen und mit Tablet oder Smartphone mit einer im Fernsehen gezeigten Sendung interagieren. Für viele Zuschauer mag das Zukunftsmusik sein. Doch Rau ist überzeugt, dass das einmal der Normalfall werden wird.
Zukunft für beide Sparten
Einen großen Unterschied beider Medien macht Rau aber auch aus. Im Kino oder vor dem TV-Gerät sei man in erster Linie passiver Zuschauer: "Man lehnt sich zurück, taucht in eine Welt ein, ohne etwas selbst machen zu müssen. Man muss sich nicht entscheiden." Das sei der entscheidende Punkt, meint Rau: "Nach einem anstrengenden Tag wollen viele Menschen keine Entscheidungen mehr treffen." Bei einem Spiel müsse man sich immer zwischen verschiedenen Möglichkeiten entscheiden. "Das muss kein Stress sein, kann aber in Stress ausarten.“
In München konnte man in vielen Gesprächen heraushören, wie sich Spieleentwickler und Kinoexperten die Zukunft vorstellen: Es wird auch in ein paar Jahren beide Sparten geben, die Kinoindustrie mit ihren mächtigen Studios und großen Budgets in Hollywood sowie die weiter wachsende Spieleindustrie. "Film und Games werden nicht verschwinden, sondern parallel bestehende Unterhaltungsformen sein", sagt Philipp Schall. Allerdings werde die Zusammenarbeit und der Austausch intensiver: "In Zukunft werden sich beide noch stärker befruchten."
Die aktuelle Ausgabe der Sendung KINO (5.7.) blickt ebenfalls zum Filmfest nach München. Im Mittelpunkt: die deutsche Regisseurin Caroline Link, die mit "Exit Marrakech" das Filmfest eröffnet und der britische Schauspieler Sir Michael Caine, der für sein Lebenswerk geehrt wird.