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Zum Tod von Irina Antonowa

2. Dezember 2020

Resolut im Auftreten und stets elegant - so kannte man sie. Bis 2013 leitete Irina Antonowa das Moskauer Puschkin-Museum. Ihr Lebensthema: die Beutekunst.

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Irina Antonowa mit dem Schauspieler Jeremy Irons
First Lady der russischen Museumswelt: Irina Antonowa 2007 mit dem Schauspieler Jeremy Irons nach der Eröffnung der Ausstellung "Drei Jahrhunderte amerikanischer Kunst" in MoskauBild: Anton Tushin/ITAR-TASS

Es ist der Abgang einer Monarchin: Russische wie internationale Medien wetteifern mit Würdigungen der am 30. November mit 98 Jahren verstorbenen Irina Alexandrowna Antonowa. Kulturminister, Museumsdirektoren und sogar Staatsoberhäupter kondolieren. Präsident Putin bezeichnet die Verstorbene als eine "einmalige historische Persönlichkeit", die russische Kulturministerin Olga Ljubimowa spricht zu Recht vom Fortgang einer "Legende".

Irina Antonowa Direktorin Moskauer Puschkin-Museum
Irina Antonowa (1922-2020)Bild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Gabriele Finaldi, Direktor der National Gallery in London, bezeichnet "Madame Antonowa" als eine "Naturgewalt" und räumt ein: "International bekannt war sie als eine schwierige Verhandlungspartnerin. Aber ihr Ziel war es stets, Beziehungen zur westlichen Museumswelt zu entwickeln. Und sie war ihren Mitarbeitern mit Leib und Seele ergeben." Eike Schmidt, deutschstämmiger Direktor der Uffizien-Galerie in Florenz, erinnert sich "mit Nostalgie" an die Zusammenarbeit und meint, er werde Antonowas "Ratschläge, Beobachtungen, Ideen und Argumente vermissen". Antonowa würde immer ein Vorbild bleiben, "nicht nur als Kollegin, sondern auch als Bürgerin".

Diplomatisch formuliert es auch Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: "Irina Antonowa war eine der eindrucksvollsten Persönlichkeiten der russischen Museumswelt. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie es für gerecht hielt, kriegsbedingt verbrachte Kulturgüter aus Deutschland als Entschädigung in Russland zu behalten. Jedoch war sie eine verlässliche Partnerin. Dafür danken wir ihr!"

Auf den Punkt bringt die gemischten Gefühle die jetzige Direktorin des Puschkin-Museums Irina Loschak: "Irina Alexandrowna war absolut furchtlos, in jeder Situation." 2013 löste Loschak Antonowa als Direktorin ab, die damals 91-jährige ging nicht ganz freiwillig und "nicht ganz": Für sie wurde der Posten der Ehrenpräsidentin des Museums erfunden, sie erschien weiterhin täglich im Museum.

Wer war aber diese Frau, die die ganze internationale Museumswelt das Fürchten lehrte, ohne es selbst zu kennen?

Ein Leben zwischen den Epochen

Irina Antonowa wurde am 20. März 1922 in der Familie eines Diplomaten, Alexander Antonow, und einer Musikerin, Ida Heifez, geboren. Von 1929 bis 1933 lebte die Familie in Berlin, Antonowas Vater war in der sowjetischen Handelsvertretung tätig. Im Gespräch mit der Autorin dieses Beitrages erzählte Irina Antonowa, wie sie als Kind die ersten Aufmärsche der Nazis in der deutschen Hauptstadt erlebt hat, wie sie in der Menschenmenge stand, die Adolf Hitler zujubelte, der sich im Fenster der Reichskanzlei zeigte. Es waren Erlebnisse, die sie geprägt haben.

Zurück in der Sowjetunion studierte Irina Antonowa nach der Schule Philologie und Kunstgeschichte. Während des Krieges war sie auch als Krankenschwester tätig. Auf die deutschen Befindlichkeiten in Sachen Beutekunst angesprochen, parierte sie 2016 im DW-Gespräch: "Ich habe während des Krieges als junge Krankenschwester amputierte Beine von jungen Soldaten wegtragen müssen, von Piloten, die bei Moskau abgeschossen wurden. Wir reden von unterschiedlichen Arten vom Schmerz." Auch das prägte.

Irina Antonowa mit Leonid Breschnew und einer Redierungsdelegation
Großmeisterin des Kompromisses: Irina Antonowa mit Leonid Breschnew und einer Regierungsdelegation vor dem "Tanz" von Henri Matisse Bild: Puschkin-Museum

Insgesamt hat Irina Antonowa acht Staatsoberhäupter im Kreml und 18 Kulturminister in der Sowjetunion und nach deren Zerfall im neuen Russland miterlebt. Und mit jedem wusste sie umzugehen. Sie startete ihre erfolgreiche Karriere in der Stalin-Zeit, wurde 1961, auf dem Höhepunkt der Chruschtschow-Tauwetterperiode, mit 39 Jahren die jüngste Direktorin in der Geschichte des Puschkin-Museums. In der Breschnew-Ära vollzog sie einen virtuosen Balance-Akt zwischen gemäßigter Revolution und Loyalität. So sah Leonid Breschnew in einer Puschkin-Ausstellung zum ersten Mal das "Schwarze Quadrat" von Malewitsch und Bilder französischer Impressionisten. Der Generalsekretär war etwas irritiert, aber die kluge Museumsdirektorin wusste ihn zu beschwichtigen, indem sie ihm als krönenden Abschluss des Rundganges Meisterwerke des sozialistischen Realismus präsentierte.

In den liberalen Zeiten von Jelzin und Gorbatschow war die Direktorin des Puschkin-Museums unverzichtbar bei großen internationalen Ausstellungsprojekten wie etwa "Moskau-Berlin". Antonowa setzte sich aber auch für die Öffnung der Sowjetunion für westliche Kunst ein. Zu Sowjetzeiten organisierte sie die erste Kunstschau mit Arbeiten des Surrealisten Salvador Dalí. Auch waren es Antonowa und ihr Ehemann Jewsei Rotenberg, beide Fachleute für italienische Renaissance, die den legendären "Besuch" der "Mona Lisa" von Leonardo da Vinci in Moskau sowie große Ausstellungen von Caravaggio und Michelangelo organisierten. Den Neo-Imperialismus der Putin-Ära nutzte sie geschickt dafür aus, um auch ihr Haus in Moskau zu einem Imperium zu verwandeln: Im Umkreis des Puschkin-Hauptgebäudes entsteht seit einem Jahrzehnt ein ganzes Museumsviertel.

Das alles würde nach einem vollkommenen Leben in und für die Kultur klingen, wäre da nicht das Thema Beutekunst.

Irina Antonowa mit DW-Reporterin Anastassia Boutsko
Irina Antonowa mit DW-Reporterin Anastassia Boutsko 2016 beim Aufbau der Cranach-Ausstellung im Puschkin-MuseumBild: DW

Beutekunst: ein Dilemma ihres Lebens

Es stimmt zwar nicht, dass Irina Antonowa in einer der berüchtigten "Trophäen-Brigaden" der Roten Armee tätig war, die in Deutschland Kulturgüter sicherten und den Abtransport nach Russland veranlassten. Gegen dieses Gerücht hat sie sich lebenslang vehement gewehrt.

Es ist aber genauso sicher, dass die junge, deutschsprachige Puschkin-Mitarbeiterin Antonowa persönlich für den Empfang der Trophäen in Moskau zuständig war. So steht ihre Unterschrift auf der Empfangsbestätigung des Troja-Schatzes, als dieser aus Berlin am Flughafen Domodedowo in Moskau ankam. Neben zahlreichen weiteren "Kriegstrophäen" aus Deutschland (etwa Werken von Cranach und Dürer oder archäologischen Funden wie der Goldschatz aus Eberswalde) verschwand das "Schliemann-Gold" in den Geheimdepots des Puschkin-Museums.

Jahrzehntelang weigerte sich dessen Direktorin Antonowa, die Existenz dieser Depots zuzugeben. Erst Anfang der 2000er Jahre, als journalistische Recherchen und wissenschaftliche Nachforschungen (etwa die Auswertung der Transport-Listen) eindeutig das Gegenteil bewiesen, gab sie es zu und korrigierte ihre Position: Die russische Kulturwelt, von Nazi-Deutschland ausgeblutet, habe Recht auf "Kompensation", Beutekunst-Objekte seien ein "Pfand der Erinnerung".

Irina Antonowa mit dem Präsidenten Putin
Museumsimperium: Irina Antonowa zeigt Wladimir Putin das Projekt des künftigen Museumviertels um ihr HausBild: Puschkin-Museum

Politische Religion des Putinismus

Antonowas Einfluss auf den Prozess der Beutekunst-Verhandlungen zwischen Deutschland und Russland, die noch bis Anfang der 2000er Jahre auf einem guten Weg zu sein schienen, war verheerend. So zählt auch das russische Gesetz, das die im Krieg "verlagerten Kulturgüter" als Wiedergutmachung festschreibt, zu ihrem Vermächtnis.

"Keiner hat so viel dafür getan, dass die Beutekunst-Frage zum Instrument des politischen Kampfes wurde", meint im DW-Statement der renommierte Kunsthistoriker und Beutekunst-Fachmann Konstantin Akinscha. "Der Kulturkampf, den Antonowa in den 1990er Jahren startete, entwickelte sich zu einem Teil der politischen Religion des Putinismus."

So resolut sie jedoch im Auftreten war - es war Antonowa jedes Mal anzusehen, wie schmerzhaft es für sie war, über das Thema Beutekunst zu sprechen. "Ich habe mir diese Zeit und diese Situation nicht ausgesucht", so Antonowa in einem DW-Gespräch. Auch privat hatte Irina Alexandrowna an einer schweren Last zu tragen: Sie pflegte lebenslang ihren einzigen, an den Rollstuhl gefesselten Sohn Boris.

Man war sich irgendwie sicher, dass Irina Antonowa ihren 100. Geburtstag im März 2022 noch miterleben wird. Jedoch hat eine vor wenigen Tagen nachgewiesene Corona-Infektion andere, alterstypische Erkrankungen verschlimmert.

Mit Irina Alexandrowna Antonowa ist nun wohl die letzte Symbolfigur der Sowjet-Ära gegangen. Sie wünschte sich aber keinen Staatsakt, was angesichts der Pandemie sowieso kaum möglich wäre, und wird im engsten Kreis auf dem prominenten Nowodewitschi-Friedhof in Moskau neben ihrer Mutter und ihrem Mann beigesetzt.