Das Maaßen-Debakel und die Fehler der SPD
20. September 2018"Herr Maaßen muss gehen und ich sage Euch: Er wird gehen!" Ein solcher Satz weckt Erwartungen und verpflichtet. Erst recht, wenn man Andrea Nahles heißt, Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) ist und diese Worte auf einer Kundgebung wenige Wochen vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern fallen. Wer so massiv die Entlassung des umstrittenen Verfassungsschutz-Präsidenten fordert, setzt sich selbst maximal unter Druck. Inzwischen weiß man, dass Hans-Georg Maaßen tatsächlich gehen muss.
Weil er aber zum Staatssekretär im Innenministerium befördert werden soll, spricht SPD-Jungstar Kevin Kühnert von einem Preis, der "zu hoch für den Fortbestand der Koalition" sei. Dieser Koalition mit Angela Merkels Christdemokraten (CDU) und Horst Seehofers Christsozialen (CSU) gehört die SPD mehr oder weniger widerwillig an. Sie kam im März 2018 erst nach einem Votum der SPD-Mitglieder zustande.
Das Gefühl von "Fußpilz" in der großen Koalition
Immerhin ein Drittel stimmte damals gegen eine Neuauflage der Großen Koalition. Die Fortsetzung des schwarz-roten Bündnisses hatte der Partei-Linke Ralf Stegner schon vorher als in etwa "so beliebt wie Fußpilz" empfunden. Diese Gefühlslage speiste sich aus zwei Faktoren: dem demütigenden 20-Prozent-Ergebnis bei der Bundestagswahl im September 2017 und der bitteren Erfahrung, als Juniorpartnerin unter Bundeskanzlerin Angela Merkel schleichend an Profil verloren zu haben. Deshalb war die SPD fest entschlossen, ihr Heil in der Opposition zu suchen. "Mit dem heutigen Abend endet unsere Zusammenarbeit mit der CDU und CSU", kündigte der gescheiterte Kanzler-Kandidat Martin Schulz in der Stunde seiner schwersten Niederlage an.
Die SPD brauche jetzt eine Erneuerung, fügte er hinzu, und diesen Prozess wolle er als "gerade erst neu gewählter Vorsitzender" gemeinsam mit den Mitgliedern vorantreiben. Erst im März 2017 hatte Schulz den damaligen Außenminister Sigmar Gabriel an der Partei-Spitze abgelöst. Unter seiner Führung wollte die SPD in der Opposition wieder zu sich selbst finden. Als künftige Regierung zeichnete sich ein Bündnis aus CDU/CSU, Grünen und Freien Demokraten (FDP) ab.
Die SPD war mit Kopf und Bauch auf Opposition eingestellt
Als die Gespräche über eine sogenannte Jamaika-Koalition überraschend scheiterten, sprang die SPD aus gefühlter staatspolitischer Verantwortung in die Bresche. Anerkennung und Respekt hat sie dafür kaum erhalten. Und weil sich nicht zuletzt die Partei-Oberen innerlich schon mit der Oppositionsrolle angefreundet hatten, fiel ihr das erneute Regieren von Anfang sichtbar schwer.
Die im April 2018 zur neuen SPD-Vorsitzenden gewählte Andrea Nahles nahm den Mund schon in ihrer Bewerbungsrede ziemlich voll: "Wir wollen keinen Stein auf dem anderen lassen, wenn es uns weiterbringt." Mit "uns" meinte sie in diesem Moment die SPD, nicht das Land. Unter ihrer Führung werde die Erneuerung der Partei neben der Regierungsverantwortung in der Koalition mit der Union nicht zu kurz kommen. "Es wird uns gelingen, Leute. Gemeinsam sind wir stark. Wir packen das. Das ist mein Versprechen."
Erst markige Sprüche, dann fast sprachlos
Damit hatte Nahles die Latte für sich und ihre Partei denkbar hoch gelegt. Als Oppositionsführerin wäre es ihr wahrscheinlich gelungen, sie zu überspringen. Aber die 48-Jährige ist nun mal SPD-Chefin und zugleich Vorsitzende der Bundestagsfraktion, die im Parlament Mehrheiten für die von ihr mitgetragene schwarz-rote Regierung organisieren muss. An dieser Zwickmühle leidet sie und mir ihr die ganze Partei - manchmal so sehr, dass die sonst um keinen markigen Spruch verlegene Nahles fast in Sprachlosigkeit verfällt.
Als sich im Frühsommer Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer ihren wieder einmal aufflammenden Streit über die Flüchtlingspolitik lieferten, war von der SPD auffällig wenig zu hören. Dabei wäre es eine gute Gelegenheit gewesen, die angekündigte Profilschärfung trotz Regierungsbeteiligung voranzutreiben. Am Ende stimmte die SPD dem zwischen CDU und CSU gefundenen Kompromiss für Seehofers Masterplan Migration zu, um die Koalition zu retten. In den eigenen Reihen verfestigte sich dadurch bei Vielen der Eindruck, wieder einmal über den Tisch gezogen worden zu sein.
Nahles hat sich in der Causa Maaßen selbst ein Bein gestellt
Dieser Fehler wiederholte sich nun auf noch extremere Weise in der Affäre um Verfassungsschutz-Präsident Maaßen. Der gravierende Unterschied: Beim Streit um den Masterplan Migration war Nahles entgegen ihrem Naturell anfangs zu kleinlaut, dieses Mal jedoch zu vorlaut. Mit ihrer ultimativen Forderung, Maaßen abzusetzen, hat sie sich selbst ein Bein gestellt. Für dessen Beförderung zum Staatssekretär in Seehofers Innenministerium mit ihrem Einverständnis einen SPD-Staatssekretär zu opfern, grenzt in den Augen der Genossen fast schon an Verrat.
Wie auch immer diese Geschichte für Nahles ausgeht - spätestens jetzt ist sie eine schwer angeschlagene Partei- und Fraktionschefin. Immer mehr hochrangige Sozialdemokraten verlangen, die formal vom Bundeskabinett zu beschließende Ernennung Maaßens doch noch zu verhindern. Am kommenden Montag will sich der SPD-Vorstand mit dem Thema beschäftigen. Nahles räumte inzwischen ein, die große Koalition sei wegen des Streits um Maaßen in einem "wirklich schwierigen Fahrwasser" und sie gebe "wieder kein gutes Bild" ab.
Martin Schulz verschwand nach 13 Monaten in der Versenkung
Diese Einschätzung gilt aber auch für die SPD-Vorsitzende selbst. Sie könne nicht verhehlen, dass es eine neue Debatte in der SPD über den Verbleib in der großen Koalition gebe, sagte sie nach einem Treffen mit der bayrischen Landtagsfraktion ihrer Partei in München. Im Freistaat wird Mitte Oktober gewählt und die SPD muss mit einem miserablen Ergebnis rechnen. In Umfragen liegt sie nur knapp über zehn Prozent. Auch bundesweit hält der Abwärtstrend an, seit Monaten rangiert die Partei unterhalb der 20-Prozent-Marke.
Der vollmundig angekündigte Erneuerungsprozess ist längst zur Worthülse verkommen, weil die SPD ihren Worten kaum Taten folgen lässt, sondern sich von ihren konservativen Koalitionären vorführen lässt. Wenn das so weiter geht, könnte Nahles ein ähnliches Schicksal erleiden wie ihr Vorgänger Schulz. Dem kurzen Hype um seine Person im Frühjahr 2017 folgte die deprimierende Niederlage bei der Bundestagswahl. Nur 13 Monate nach seiner 100-Prozent-Wahl zum SPD-Vorsitzenden folgte der Sturz. Nahles ist gerade einmal fünf Monate im Amt.
Die Fehler-Diagnose blieb folgenlos
Als sie sich für den Partei-Vorsitz bewarb, räumte sie Fehler im Bundestagswahlkampf ein. Die SPD habe zwar gesagt, was das Ziel sei, nämlich mehr Gerechtigkeit. Es sei aber versäumt worden, den Weg zu diesem Ziel aufzuzeigen. "Das Ziel zu benennen, aber den Weg im vagen zu belassen, das geht nicht", sagte Nahles im April. Das werde sich nun ändern. Diese Diagnose klingt wie eine Beschreibung der aktuellen Situation nach sechs Monaten in der großen Koalition. Anscheinend hat die SPD nichts aus ihren Fehlern gelernt.