Das Recht auf Reparierbarkeit
16. November 2020Schlank sein: ein begehrtes Schönheitsmerkmal für Smartphones, Tablets und Laptops. Erkauft wird die extreme Schlankheit meist durch erschwerte Reparierbarkeit. "In neuen Modellen sind die Akkus oft verklebt - genau wie die Displays, bei denen der Kleber für Wasserdichtheit sorgt. Mit dem Kleber gehen die Hersteller außerdem einen Design-Kompromiss mit niedrigem Kostenpunkt ein: Reparierbarkeit hat in der Designphase in der Regel keine Priorität, schlankes Design beispielsweise schon. Das lässt sich mit verschraubten Teilen schlechter realisieren", sagt Dorothea Kessler, Kommunikationsmanagerin von iFixit Europe in Stuttgart. iFixit ist eine weltweite Online-Community von über eine Million Tüftlern und Technikern, die das Recht auf Reparatur hochhalten.
Kaum kommt ein neues Gadget auf den Markt, stürzen sie sich drauf, zerlegen es und versuchen, es dann erneut in Gang zu bringen. Für Reparaturfreundlichkeit gibt es Punkte von 1 bis 10. Fairphones der zweiten und dritten Generation holen beispielsweise die maximale Punktzahl: Die Marke legt viel Wert auf einfache Reparierbarkeit. Für alle nicht einzeln austauschbare Komponenten, für festgeklebte Akkus und Glasabdeckungen sowie für Schrauben, die sich nur mit Spezialwerkzeug drehen lassen, gibt es Punktabzug.
"Mit dem Reparierbarkeits-Index möchten wir auf die Notwendigkeit von Reparatur in einem nachhaltigen Kreislaufwirtschaftssystem aufmerksam machen und eine Hilfe für Kaufentscheidungen geben", sagt Dorothea Kessler.
Wie lässt sich Klebstoff wieder lösen?
Einfach zu reparierende Geräte sind derzeit ein Nischenprodukt. Gerade die aktuellen Flaggschiff-Smartphones holen sich sehr schlechte Bewertungen von iFixit. Neben der schlanken Optik spielen andere Gründe eine Rolle, unter anderem für das reparatur- und wartungsunfreundliche Verkleben.
"Unsere Kunden haben bisher vor allem Wert auf Haltbarkeit gelegt: Ein versehentliches Lösen musste um jeden Preis verhindert werden", beschreibt Matthias Stollberg das Dilemma. Stollberg leitet die Unternehmenskommunikation bei Delo, einem der weltweit führenden Produzenten von Elektronik-Klebstoffen. "Häufig muss Klebstoff noch weitere Anforderungen erfüllen: zum Beispiel stromleitend und transparent sein. Ein zusätzlicher Löse-Mechanismus wäre die Quadratur des Kreises." Entkleben sei bislang vor allem für größere Komponenten wie Displays und Akkus im Gespräch, aber nicht für Kleinstbauteile wie die Kameras in Handys, die an 30 Stellen geklebt werden.
Delo arbeite an Lösungsansätzen für das reparaturfreundliche Kleben. Dabei gebe es jedoch enge Grenzen, so Stollberg. Die naheliegende Methode sei die mechanische: ein Abschälen oder ein dünner Draht, idealerweise in Kombination mit Wärme, um den Kleber wieder zu verflüssigen. Letzteres funktioniere bei Glas und Metall, weniger bei Kunststoff.
Mittelfristig sei ein Entkleben durch Wasser-, Säure- oder Lösungsmitteleinwirkung denkbar. Darunter würden jedoch der Feuchtigkeitsschutz beziehungsweise der Umwelt- und Arbeitsschutz leiden. Langfristig könnten auch UV-Licht, Laser, Ultraschall oder Infrarot-Strahlung zum gezielten Einsatz kommen.
Kostenlose Anleitungen zum Selbermachen
Neben dem Produktdesign spiele auch die Software eine immer größere Rolle, so die iFixit-Sprecherin: "Oft werden Software-Updates schon nach wenigen Jahren eingestellt oder Reparaturen führen zu Software-Einschränkungen, wie beim neuen iPhone 12. Dadurch werden viele Smartphones obsolet, deren Hardware noch einwandfrei funktioniert oder reparabel ist".
Ein weiteres Problem ist der Zugang zu Reparaturwissen und Geräteinformationen sowie zu hochwertigen und fair bepreisten Ersatzteilen. Die Elektronik-Produzenten verweisen auf ihr geistiges Eigentum und auf Sicherheitsgründe, wenn sie nur lizenzierte Reparateure mit Originalkomponenten, Handbüchern, Diagnosemöglichkeiten und Spezialwerkzeug ausstatten wollen. Selbst unabhängige Profi-Werkstätten, erst recht Repair-Cafés oder Endverbraucher, haben kaum Zugang dazu.
iFixit glaubt an das Recht für Jedermann, Schäden am Eigentum selbst zu beseitigen und stellt kostenlose Anleitungen dafür ins Netz. Diese werden von Freiwilligen verfasst und zeigen Schritt für Schritt, mit Fotos und Werkzeugangaben, wie man genau vorgehen muss. Knapp 70.000 Anleitungen für verschiedene Elektro- und Elektronikgeräte in mehreren Sprachen gibt es bereits. Die Plattform finanziert sich unter anderem durch den Verkauf von selbstentwickelten Werkzeug-Sets und Ersatzteilen.
Frankreich führt "Réparabilité"-Ampel ein
Thomas Ebert, der beim Umweltbundesamt (UBA) unter anderem für das Thema Ökodesign zuständig ist, sieht in Sachen mangelhafter Reparierbarkeit ein gewisses Marktversagen. Deshalb sei die Politik nun gefragt. Eine Vorstudie zum Ökodesign von Smartphones und Tablets als Grundlage einer möglichen Produktverordnung der EU sei in Arbeit: Dabei sollten seiner Ansicht nach unter anderem Ersatzteile definiert werden, die verfügbar und mit herkömmlichen Werkzeugen reparierbar wären. Nur so ließe sich ein "Recht auf Reparatur", einschließlich Software-Updates, wie es die EU-Kommission im neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft beschreibt, realisieren.
Diskutiert werde in der EU auch ein Reparatur-Scoring, ähnlich dem Index von iFixit, aber für alle Elektro- und Elektronikgeräte. "Wichtig ist, dass die Hersteller zu einem einheitlichen Ergebnis kommen, wie sie die Reparierbarkeit ihrer Produkte ermitteln, und dass die Behörden es überprüfen können." Frankreich presche nun vor und führe ab dem 1. Januar ein eigenes Scoring ein, so der UBA-Experte.
Ein Schraubenschlüssel-Symbol zeigt auf einer Scala von 0 (rot) bis 10 (grün) an, wie einfach ein Schadensfall behoben werden kann. Bis ein Reparatur-Label auf allen entsprechenden Produkten prangt und EU-weit Verbrauchern Orientierung biete, würden nach Eberts Ansicht noch einige Jahre vergehen. Es sei denn, das französische Vorbild erzeuge einen entsprechend starken Druck, um auch andere Länder zu motivieren.