"Maximale Intransparenz"
26. Juli 2013Seit Bekanntwerden des Prism-Programms durch die Enthüllungen Edward Snowdens berichten die deutschen Medien ununterbrochen darüber. Viele Intellektuelle und Kulturschaffende haben sich bislang aber eher in Schweigen gehüllt – bis jetzt: In einem offenen Brief, den die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 26.07. veröffentlichte, wenden sich 32 Schriftsteller an die deutsche Kanzlerin. Sie fordern die schnelle Aufklärung der Prism-Affäre – und setzen die Regierungschefin damit unter Druck. Sie schreiben:
Wir Bürger erfahren aus der Berichterstattung, dass ausländische Nachrichtendienste ohne konkrete Verdachtsmomente unsere Telefonate und elektronische Kommunikation abschöpfen. […] Damit ist der "gläserne Mensch" endgültig Wirklichkeit geworden.
Unterzeichner des Briefes sind unter anderem Juli Zeh, Moritz Rinke, Tilman Spengler, Ilija Trojanow, Katja Lange-Müller und Josef Haslinger. Der österreichische Schriftsteller Haslinger ist seit Mai 2013 Präsident der Schriftstellervereinigung P.E.N. Deutschland.
"Ein Recht auf maximale Intransparenz"
Es gebe "dringenden Aufklärungsbedarf", sagt Haslinger gegenüber der DW - es handele sich um den "größten Abhörskandal in der Geschichte der Bundesrepublik". Bei einer Rasterfahndung werde im Vorfeld immer groß diskutiert: "Darf es diesen gerichtlichen Beschluss über das Abhören von Anrufen oder die Kontrolle von E-Mails überhaupt geben?" Bei Prism scheine es nun, als wären diese Gesetze plötzlich außer Kraft gesetzt, moniert Haslinger: "Da wird diese Gesetzgebung torpediert und wir sehen uns einem Generalangriff ausgesetzt." In dem offenen Brief heißt es dazu:
Während unser Privatleben transparent gemacht wird, behaupten die Geheimdienste ein Recht auf maximale Intransparenz ihrer Methoden. Wir erleben einen historischen Angriff auf unseren demokratischen Rechtsstaat, nämlich die Umkehrung des Prinzips der Unschuldsvermutung hin zu einem millionenfachen Generalverdacht.
"Lächerlich" nennt Haslinger die Auftritte von Kanzleramtsminister Ronald Pofalla. Dieser hatte bestritten, dass die deutschen Geheimdienste ihre US-Kollegen rechtswidrig bei Abhöraktionen unterstützen. "Diese Informationen tauchen doch nicht einfach so auf. Das kann mir niemand weismachen, das glaube ich schlichtweg nicht." Merkel müsse endlich Klartext reden, fordert Haslinger: "Das Recht ist bei uns zu einer lahmen Ente geworden. Die Regierung verteidigt es nicht mit Zähnen und Klauen, sondern laviert herum."
Die Strategie der Kanzlerin: Abwarten
Wegen der nahenden Bundestagswahl verfolgten alle Parteien die Taktik, sich bloß nicht zu weit aus dem Fenster zu wagen. "Auch die SPD hat wahrscheinlich mehr gewusst. Sonst würde sie das doch im Wahlkampf viel stärker einsetzen. Aber die Geheimdienste arbeiten ja schon etwas länger."
Die Ereignisse vom 11. September 2001 hätten weltweit "Prozesse in Gang gesetzt, die viele so vielleicht nicht wollten", glaubt Haslinger. Hauptziel sei es gewesen, Terroranschläge wie 9/11 in Zukunft zu verhindern. Deshalb sei man vielleicht an der einen oder anderen Stelle zu nachgiebig gewesen und habe es mit den Gesetzen nicht so genau genommen. Die Geheimdienste bekamen weitreichende Befugnisse. "Und wenn man eine Schleuse einmal öffnet, ist sie irgendwann voll."
Die Verfasser des Briefes legen die Vermutung nahe, dass Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz von den abgehörten Informationen der NSA profitieren. Und dass die Kanzlerin deshalb eine Taktik des Abwartens verfolgt. Dazu heißt es:
Im gleichen Zusammenhang fassten Sie Ihr Vorgehen bei Aufklärung der Prism-Affäre in einem treffenden Satz zusammen: "Ich warte da lieber." Aber wir wollen nicht warten. […] Das Grundgesetz verpflichtet Sie, Schaden von deutschen Bundesbürgern abzuwenden. Frau Bundeskanzlerin, wie sieht Ihre Strategie aus?