Schreckgespenst Koalitionsbruch
26. Januar 2016Das könne er mit einem klaren Ja beantworten, sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert in der jüngsten Regierungspressekonferenz auf die Frage, ob die Regierung in der Flüchtlingsfrage noch handlungsfähig sei. Zweifel daran kommen aber nicht nur bei Journalisten in Berlin auf, nachdem die Koalition aus CDU, CSU und SPD seit Wochen über Verschärfungen im Asylrecht streitet, die eigentlich schon bis Ende letzten Jahres beschlossen werden sollten. Jetzt ist das sogenannte "Asylpaket II" erneut von der Tagesordnung des Kabinetts verschwunden, das an diesem Mittwoch tagt.
Hauptziel dieser geplanten Gesetzesänderungen soll die Reduzierung der Flüchtlingszahlen sein. Flüchtlinge mit geringer Bleibeperspektive würden künftig in "besonderen Aufnahmeeinrichtungen" mit "Residenzpflicht" untergebracht, um sie bei Ablehnung ihres Asylantrages schneller abschieben zu können. Als Abschiebehindernis sollen nur noch lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen gelten. Über beides herrscht Einigkeit in der Koalition.
Streit um Familiennachzug dauert an
Doch schon seit November vergangenen Jahres streiten die Koalitionspartner über einen anderen Punkt der geplanten Asylrechtsänderung: den Familiennachzug. Besonders die CSU, aber auch Teile der CDU wollen ihn begrenzen, während die SPD darauf besteht, dass beispielsweise Hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien ihre Angehörigen nachholen können. Nun heißt es, dass man sich bei einem Spitzentreffen an diesem Donnerstag endlich einigen und das "Asylpaket II" in der kommenden Woche ins Kabinett bringen wolle.
Doch der Riss in der Koalition in der Flüchtlingsfrage geht sehr viel tiefer. Die Regierung des Freistaates Bayern beschloss am Dienstag, einen Brief an Kanzlerin Merkel aufzusetzen, in dem sie ultimativ sofortige strenge Kontrollen und eine vollständige Registrierung an allen Grenzübergängen zu Österreich fordert, solange es keine europäische Lösung gebe und die Flüchtlinge nach Deutschland durchgewunken würden.
Außerdem besteht Bayern auf einer Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen für 2016 und die Zurückweisung aller Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten. Andernfalls droht der Freistaat mit einer Verfassungsklage in Karlsruhe.
Während man in München darauf verweist, dass es um einen Schritt auf der staatlichen Ebene zwischen dem Freistaat und dem Bund gehe, sieht SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in der angekündigten Verfassungsklage eine Klage von CSU-Chef Horst Seehofer gegen die CDU- Vorsitzende Angela Merkel. Das sei die "Ankündigung eines Koalitionsbruches".
Einen solchen Fall habe es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Es sei "ein Signal der CSU, dass diese Regierung nicht mehr einigungsfähig und in der Lage ist, Konflikte zu lösen. Das ist Wasser auf die Mühlen der rechten Parteien in diesem Land." Die rechtspopulistische AfD hat mittlerweile deutschlandweit zweistellige Umfragewerte.
Auf die Frage, ob die SPD wegen des Briefes aus Bayern nun die Koalition als beendet ansehe, entgegnete Oppermann "Nein". So sei das nicht gemeint. Aber vor "solchen Parteifreunden" (wie Seehofer, d.A.) müsse Merkel geschützt werden. Die CSU müsse sich entscheiden, ob sie Regierung oder Opposition sein wolle. Gleichzeitig forderte der SPD-Politiker, Merkel solle auch in ihrer Partei für Ordnung sorgen.
Rückzug der Kritiker?
Der vermeintliche Aufstand in der CDU-Bundestagsfraktion gegen die eigene Kanzlerin war da allerdings längst abgeblasen. Die Kritiker verzichteten auf die ursprünglich für diesen Dienstag geplante Abstimmung über den Flüchtlingskurs Merkels. Sie hatten nur etwa 100 der über 300 Unionsabgeordneten auf ihrer Seite.
Einer der Initiatoren, der CDU-Abgeordnete Armin Schuster, sagte, man habe trotzdem Wirkung erzielt. Er verwies auf einen neuen Plan von CDU-Vizechefin Julia Klöckner. Dieser sieht neben der von Merkel angestrebten gesamteuropäischen Reduzierung des Flüchtlingszustroms auch eine strengere Sicherung der deutschen Grenze und die Einrichtung von grenznahen Auffanglagern vor.
Beruhigend auf die Situation innerhalb der CDU wirken offenbar zwei Dinge: Einige Merkel-Kritiker erhalten Gegenwind aus ihren eigenen Wahlkreisen, besonders in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, wo am 13. März neue Landtage gewählt werden. Zum anderen gehen die Merkel-Kritiker offenbar von einer Kurskorrektur der Kanzlerin aus. Das sei vielleicht nur eine Frage der Zeit, sagte der Abgeordnete Schuster. Er glaube, dass die Bundeskanzlerin nationale Maßnahmen an der Grenze in ihrem Repertoire habe. Schuster: "Wir haben vielleicht unterschiedliche Geduldsfäden."