Debatte um NS-Kunst im Museum
6. Oktober 2020Die Bauarbeiter staunten nicht schlecht, als sie Ende September im Garten des Berliner Kunsthauses Dahlem zwei Skulpturen des Bildhauers Arno Breker fanden. Breker war einer der führenden Bildhauer in der NS-Zeit und erhielt vom Regime viele Aufträge, darunter Skulpturen für den Eingang zur Neuen Reichskanzlei und des Olympiastadions von 1936. Trotz dieser Tatsache und seiner Mitgliedschaft in der Nazi-Partei gelang es Breker, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Karriere zu machen. 1991 verstarb er in Düsseldorf.
Das Kunsthaus Dahlem war von 1939 bis 1942 am Rande des Grunewalds eigens als Staatsatelier für Breker gebaut worden, den prominentesten Bildhauer der NS-Zeit. Nach dem Krieg bezogen sowjetische Besatzungstruppen für einige Wochen das Gebäude, ab Sommer 1945 diente es ein Jahr lang als Büro der US-Militärverwaltung. Später wurde das Haus der Stadt Berlin übergeben. Im Jahr 2015 entstand an dieser Stelle das Kunsthaus Dahlem, das sich der deutschen Nachkriegsmoderne widmet. Im Kunsthaus Dahlem geht man davon aus, dass die Marmorskulpturen von Arno Breker seit dem Abzug der amerikanischen Besatzungsmacht 1945 unter der Erde lagen.
Der Überraschungsfund
Eine Skulptur konnte als die verschollen geglaubte Marmorplastik "Romanichel" (siehe Artikelbild) identifiziert werden. Der überlebensgroße Männerkopf mit geschlossenen Augen ist das Porträt eines jungen Roma- oder Sinti-Mannes, dem Breker in den 1920er Jahren in Paris begegnete und der in zahlreichen seiner Arbeiten danach auftauchte. Warum Breker den "Romanichel" im Jahr 1940 herstellte, einer Zeit, in der Tausende von Roma und Sinti von den Nazis deportiert und in Konzentrationslagern ermordet wurden, ist bisher ungeklärt.
Die künstlerische Leiterin des Kunsthauses Dahlem, Dorothea Schöne, erklärte im DW-Interview, sie wolle die Skulpturen durch Podeste aufwerten, sondern sie lediglich auf den Holzpaletten präsentieren, die auch bei der Konservierung verwendet wurden. So sei klar, dass es sich einfach um "zwei gefundene Skulpturen" handelt. Sie wolle verhindern, dass der Ausstellungsraum zum Breker-Ausstellungsraum werde. "Breker ist umstritten. Ein größeres Museum könnte vielleicht besser mit dieser Vergangenheit umgehen, aber wir sind nicht dazu in der Lage, da wir nur bis zu 30 Werke zeigen können."
Tausende von Kunstwerken lagern in Depots
Kunst, die unter dem NS-Regime in Auftrag gegeben oder angekauft wurde, zählt zu den dunklen Kapiteln vieler deutscher Museums- und Galeriesammlungen. Institutionen haben es lange vermieden, solche zwielichtigen Werke auszustellen, um sich nicht den Vorwurf der Nazi-Verherrlichung einzuhandeln, oder, noch schlimmer, Neo-Nazi-Versammlungen zu provozieren.
Viele dieser Befürchtungen haben sich 1974 bestätigt, als die Ausstellung "Kunst im Dritten Reich - Dokumente der Unterwerfung" in Frankfurt am Main bereits vor ihrer Eröffnung auf Proteste, Petitionen und Kritik von beiden Seiten des politischen Spektrums stieß.
Fast fünf Jahrzehnte später lagern immer noch Tausende von Werken aus der NS-Zeit in den Museumsdepots. Die ausgestellten Werke von Arno Breker sind die jüngsten in einer Reihe von Ausstellungen, die auf eine neue Bereitschaft in Deutschland hindeuten, sich mit der Kunst der NS-Zeit kritisch auseinanderzusetzen. Das Deutsche Historische Museum in Berlin lagert 340 Gemälde sowie mehr als 7000 Druckgrafiken, die im Auftrag der Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs hergestellt wurden. Einige davon können online in einem Archiv von 12.550 Kunstwerken angesehen werden. Sie gehören zu den Werken der acht Nazi-finanzierten "Großen Deutschen Kunstausstellungen", die von 1937 bis 1944 in München stattfanden und dort zum Verkauf angeboten wurden.
Werke aus der Nazi-Zeit ausstellen - aber wie?
Eine ganze Reihe von Ausstellungen hat sich in den letzten Jahren dem Thema gestellt und damit begonnen, diese "problematischen" Werke zusammen mit den Biografien der Künstler, Einzelheiten ihrer Verwicklung in das Nazi-Regime und der spezifischen Geschichte der Werke öffentlich auszustellen.
Eine der ersten Ausstellungen dieser Art war "Tradition und Propaganda - eine Bestandsaufnahme", die 2013 im Museum im Kulturspeicher in Würzburg zu sehen war. Die Ausstellung thematisierte die Sammlungsgründung des Museums im Jahr 1941 im Nationalsozialismus und die zahlreichen Kunstwerke, die sich aus dieser Zeit noch im Bestand des Museums befinden, darunter Exemplare von Hermann Gradl und Ferdinand Spiegel und weitere, die auf den "Großen Deutschen Kunstausstellungen" angekauft wurden.
Andere Institutionen haben bei der Behandlung der Nazi-Verbindungen in ihren eigenen Sammlungen einen ähnlichen Ansatz gewählt: Im Jahr 2012 veranstaltete das Haus der Kunst in München, das Schauplatz der "Großen Deutschen Kunstausstellungen" war, "Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937-1955", und 2016 war der Hamburger Bahnhof Gastgeber der Ausstellung "Neue Galerie: Die Schwarzen Jahre, Geschichten einer Sammlung 1933-1945".
Noch bis zum 1. November ist im Kunstmuseum Stuttgart die Ausstellung "Der Traum vom Museum 'schwäbischer' Kunst" zu sehen, die sich mit den Anfängen des Museums im Nationalsozialismus und der Geschichte seiner Erwerbungen befasst.
Diskussion über den Umgang mit Kunst aus der Nazi-Zeit steht noch aus
Bisher beschränkte sich die Erforschung der Kunst aus der NS-Zeit auf Museen und Galerien, die die NS-Vergangenheit in ihren eigenen Sammlungen ausstellen. Eine breitere Debatte im Sinne einer "Vergangenheitsbewältigung" oder "Vergangenheitsaufarbeitung" steht noch aus.Mit einer neuen Generation von Kuratoren, Forschern, Kunsthistorikern und Galeriedirektoren an der Spitze besteht jedoch die Hoffnung, dass diese nun endlich stattfindet. "Wir beginnen, von einer jüngeren Generation zu profitieren, die nicht so emotional an diese Zeit gebunden ist", sagte Dorothea Schöne. "Sie gehen neutraler an das Thema heran.”
Die Skulpturen von Arno Breker sind noch bis zum 15. Januar 2021 im Kunsthaus Dahlem zu sehen.