Dem Virus einen Schritt voraus
12. Oktober 2005Auf dem Gänsehof Eskildsen im sächsischen Wermsdorf freuen sich rund 2500 Tiere auf ihr Futter. Bis zum Start der Weihnachtssaison Anfang November müssen sie sich sieben bis acht Kilo angefressen haben. Ihr Besitzer, Lorenz Eskildsen, kommt einmal monatlich mit der Diskussion um die Vogelgrippe in Berührung - immer, wenn der Tierarzt kommt. "Die Veterinäre nehmen regelmäßig Blutproben", sagt Eskildsen. "Und ihr Augenmerk gilt natürlich den Viren, die für die Geflügelpest verantwortlich sind." Die Tierärzte sollen die Vogelgrippe beobachten. Falls eines der Tiere von dem Virus befallen ist, wird man sie allesamt notschlachten. Das Virus soll an der Ausbreitung gehindert werden - damit es nicht mutiert und auf den Menschen überspringt. Für Eskildsen ist das Panikmache. Er hat jedenfalls keine Angst davor, an der Vogelgrippe zu erkranken. Die Einschränkungen des Gesetzgebers sind für ihn vor allem lästig - genauso wie die langsam einsetzende Zurückhaltung der Verbraucher beim Gänsekauf.
Gefährdung vor allem für Bauern
Anderswo ist man von der Harmlosigkeit des Virus nicht überzeugt. Rund 100 Kilometer westlich vom ländlichen Wermsdorf hat ein Team aus vier Virologen an der Universität Leipzig einen Schnelltest für den Vogelgrippe-Erreger im menschlichen Körper entwickelt. Die Gefahr sei zwar nicht akut, sagt der Chef der Forschergruppe, Professor Uwe-Gerd Liebert, aber man müsse wachsam sein. Nur Personen, die ständigen engen Kontakt mit infizierten Tieren haben, sind gefährdet. Ist der Sprung zwischen den Spezies jedoch erst einmal geschafft, kann es auch für den Menschen gefährlich werden, meint Liebert. "Die Symptome sind ganz ähnlich wie eine Grippe", erklärt der Virologe. "Das Problem ist, dass das menschliche Immunsystem nicht vorbereitet ist auf das neue Virus. Es gibt keine Abwehrstoffe."
Wie beim Hausarzt
Sechs Monate lang haben Liebert und sein Team an der Entwicklung eines Tests für das Vogelgrippe-Virus im menschlichen Organismus gearbeitet. Herausgekommen ist eine Untersuchungsmethode, die jeder Hausarzt durchführen kann: Ein Rachenabstrich wird ins Labor geschickt und dort untersucht. In knapp zwei Stunden ist das Ergebnis da. Liebert erläutert die Vorteile des Verfahrens: "Es gibt Medikamente, die gegen das menschliche Grippevirus gerichtet sind, und ein solches Medikament wird auch gegen das Vogelgrippe-Virus helfen. Allerdings muss man es innerhalb von 24 Stunden nach der Infektion geben. Gerade deshalb muss der Test schnell gehen." Den Test gibt es jetzt. Nun muss sich noch zeigen, wie zuverlässig er wirklich ist. Vier Wochen lang haben ihn die Forscher bereits erprobt - ein schwieriges Unterfangen bei weltweit rund 150 am Vogelgrippe-Virus erkrankten Patienten. Knapp 30 Blutproben hat das Team untersucht; der Test funktionierte in allen Fällen einwandfrei. "Was wir sicher sagen können ist, dass unser Test andere, menschliche Grippeviren nicht erfasst", sagt Liebert. "Aber wir wissen noch nicht, wie genau der Test die Vogelgrippe erkennt, also ob 100 von 100 Infizierten erkannt werden, oder nur 95 von 100."
Vorerst kein Interesse bei der Pharmaindustrie
Bevor der Test tatsächlich vom Hausarzt verwendet werden kann, muss sich die Pharmaindustrie einschalten und eine größere Studie finanzieren - die Möglichkeiten der Universität Leipzig sind fürs Erste ausgeschöpft. Noch mangelt es an Interesse, denn auch im Gesundheitsbereich greifen die Gesetze des Marktes. Zu wenige Menschen sind bisher am Vogelgrippe-Virus erkrankt, als dass sich die Vermarktung eines Schnelltests oder gar eines Impfstoffs lohnen würde. Für Liebert ist das kurzsichtig: "Grundsätzlich muss man sagen: Wenn die jetzigen Maßnahmen
nicht greifen, dann kann sich das Virus ausbreiten." Sein Schreckensszenario: "Das Virus wird sich möglicherweise durch drei, vier weitere Mutationen verändern, so dass es sich unter den Menschen rasant ausbreiten kann. Das ist jetzt eine Frage von Zufall. Man muss aber vorbereitet sein."