Demokraten, Diktatoren und die Wirtschaft
10. Februar 2013Fürsprecher einer freiheitlichen Grundordnung könnten an der ökonomischen Entwicklung mancher lateinamerikanischer Staaten ihre Freude haben. Anhand ihrer Beispiele könnten sie nämlich darauf verweisen, dass politische Freiheiten und wirtschaftlicher Erfolg Hand in Hand gehen. So etwa haben zuletzt Costa Rica, Chile und Uruguay deutliche Erfolge in der Entwicklung ihres Landes erzielt. Diese Länder sind dem Index für Demokratische Entwicklung (IDD) 2012 zufolge die erfolgreichsten Volkswirtschaften der Region. In Afrika hingegen zählen Ghana, Botswana oder Südafrika zu den Vorzeigeländern. Experten trauen diesen Staaten mittelfristig ein jährliches reales Wachstum von sechs Prozent zu. "Demokratie wirkt sich auf menschliche Entwicklung aus, also zum Beispiel Gesundheit und Bildung", erklärt Jörg Faust, Leiter der Abteilung Regierungsführung und Demokratie am deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Das beobachte man auch in afrikanischen Staaten. "Diese Wirkung tritt inklusive wirtschaftlicher Entwicklung ein."
Lange Zeit wurde allgemein angenommen, dass die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes eng mit demokratischer Regierungsführung zusammenhänge. Demokratie garantiere politische und bürgerliche Freiheiten und das Recht auf politische Teilhabe. Dadurch schaffe sie Stabilität und ermögliche Bürgern und Unternehmen, Initiativen zu ergreifen. Dies seien wichtige Faktoren für Entwicklung. Allerdings gibt es auch viele Beispiele autoritär geführter Länder, die über längere Zeit beachtliche Wachstumsraten erreicht haben. Jörg Faust nennt als Beispiele Mexiko zwischen den 1940er und 60er Jahren oder China während der letzten zwei bis drei Dekaden. Auch einige afrikanische autoritäre Regime der Gegenwart, etwa Äthiopien und Ruanda, zählen dazu. "Diese Länder zeigen, dass es natürlich auch in autoritären Regimes möglich ist, Wachstum zu erreichen", so Faust.
Wirtschaftlicher Erfolg trotz autoritärer Regierungsführung
In China tut sich die Regierung schwer damit, unabhängige Initiativen und Verbände zu dulden. Ruandas Regierung ist dafür bekannt, ihre Kritiker ins Gefängnis zu sperren. Und Äthiopiens Regime sperrt die Internetseiten von Oppositionsgruppen. Dennoch erzielen diese autoritären Systeme eine signifikante wirtschaftliche Entwicklung. Mit Wachstumsraten von 8,1 beziehungsweise 9,7 Prozent liegen Ruanda und Äthiopien über der Durchschnittsrate von 4,6 Prozent für das subsaharische Afrika. Erstaunliche Zahlen, aber durchaus nachvollziehbar, erklärt Kouakou Koffi, Dozent für prospektive Analysen und Entwicklung an der Universität Witwatersrand in Südafrika. "Um ein Wirtschaftswachstum zu erzielen, braucht ein Land eine gewisse Disziplin. Und diese Disziplin benötigt eine eiserne Faust." Es gebe Länder, deren straffe Leitung ihnen dabei helfen könne, wirtschaftliche Prioritäten festzulegen - was deren Wirtschaft dann entgegenkomme.
Auch Jörg Faust vom deutschen Institut für Entwicklungspolitik kann erklären, warum einige autoritäre Staaten wirtschaftlich erfolgreich sind. Sie hätten es geschafft, eine gewisse politische Stabilität zu erreichen, die ein sichereres Umfeld für wirtschaftliche Entwicklung bietet. Ein weiterer Punkt sei Inklusivität. "Staaten wie Mexiko, China oder afrikanische Autokratien haben relativ große Parteien." Über diese erreichen sie Interessengruppen wie Bauern oder eine organisierte Arbeiterschaft. Auf diese Weise versuchten autoritäre Regime, die Belange großer Interessengruppen zu berücksichtigen. "Das kommt einer wirtschaftlichen Politik zugute, die einer breiteren Bevölkerungsschicht Rechnung trägt", erklärt Faust.
Zunehmende Ungleichheit
Fraglich ist jedoch, ob ein Großteil der Bevölkerung von diesem Wachstum tatsächlich profitiert. Orientieren sich Autokraten nicht zu stark am Wirtschaftswachstum und vernachlässigen dafür die Förderung von Bildung und Gesundheit? Faust sieht dies differenziert. "Es kommen Verbesserungen zustande im absoluten Niveau der menschlichen Entwicklung, was zum Beispiel Armutsreduzierung und Gesundheitsvorsorge anbelangt." Auf dem Index für menschliche Entwicklung, die unter anderem die Lebenserwartung, die Schulversorgung und die Armutsquote berücksichtigt, seien sogar Länder wie China, Äthiopien und Ruanda deutlich gestiegen.
Eines aber steht fest, sagt Faust. "Die Ungleichheit nimmt dramatisch zu." Das liege daran, dass in autoritären Regimen immer nur eine relativ kleine Gruppe von Akteuren profitiere - dies dann allerdings auf überproportionale Weise. Lyal White vom Gordon Institute of Business Science in Pretoria (GIBS) ist jedoch der Meinung, dass diese Entwicklung langfristig auch der gesamten Bevölkerung zugutekomme. "Die Bevölkerung profitiert - wenn auch vielleicht nicht so schnell, wie wir das gerne hätten. Es ist noch ein sehr langsamer Prozess."
Verbesserung der Menschenrechte ist dringender
Auch Koffi Kouakou von der Universität Witwatersrand weist darauf hin, dass die meisten Länder - die USA, England oder auch die anderen westeuropäischen Staaten - lange gebraucht haben, bis ein großer Bevölkerungsanteil vom Wirtschaftswachstum profitieren konnte. "Es gibt immer einen Anfang. Wenn das Wachstum in diesen Ländern länger dauert, dann gibt es die Chance, dass längerfristig die gesamte Bevölkerung davon profitiert", erklärt Kouakou.
Allerdings zählt der wirtschaftliche Fortschritt wenig im Vergleich zu der politischen Willkür, die autoritäre Staaten ihren Bürgern gegenüber ausüben. So sind Menschenrechtsverletzungen weiterhin an der Tagesordnung. Menschenrechtlern zufolge hat die äthiopische Regierung zehntausende Bürger vertrieben, um deren Land an ausländische Agrarinvestoren zu verpachten. In Ruanda wurde im Oktober letzten Jahres die Oppositionsführerin Victoire Ingabire zu acht Jahren Haft verurteilt. Fälle wie diese seien das größte Problem in autoritären Staaten, sagt Kouakou.
Autoritäre Regime mögen also im Hinblick auf das Wirtschaftswachstum erfolgreicher sein als zerrüttete Demokratien - aber der Bevölkerung solcher Staaten geht es darum noch lange nicht besser als den Bürgern demokratischer Länder.