Datenschutz und Demokratie
14. April 2012Deutsche Welle: Herr Baum, welche Bedeutung hat Ihrer Ansicht nach der Datenschutz für eine demokratisch verfasste Gesellschaft?
Gerhart Baum: Der Schutz der Privatheit ist ein Freiheitsthema. Wir haben nach Artikel 1 unseres Grundgesetzes Anspruch darauf, dass unsere Würde nicht angetastet wird. Eingriffe in die Privatsphäre sind Angriffe auf die Menschenwürde. Es sei denn, sie sind etwa bei der Kriminalitätsbekämpfung gerechtfertigt. Der Datenschutz ist also ein zentrales Thema, das unsere Freiheit unmittelbar betrifft.
Der Datenschutz wird durch die Digitalisierung auf die Probe gestellt. Die Digitalisierung ist eine Revolution, die unser ganzes Leben verändert. Das Netz ist Lebensraum. Es gibt neue Entfaltungs- und Kommunikationsmöglichkeiten. Das Internet ist aber auch eine Gefahr für die Privatheit. Eine Gefahr, die bereits eingetreten ist. Wir sind schon zum gläsernen Menschen geworden.
Sie haben in einem Artikel auf der Homepage des FoeBuD e.V., einem Verein, der sich für Bürger- und Freiheitsrechte einsetzt, geschrieben: "Die unkontrollierte Verwendung personenbezogener Daten tangiert und gefährdet letztendlich den demokratischen Charakter unserer Gesellschaft." Worin liegt die Gefahr, wenn der Staat über zu viele Daten seiner Bürger?
Der Staat ist relativ gut kontrollierbar – zumindest theoretisch. Da gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde einzulegen. Von dieser Möglichkeit habe ich mehrfach Gebrauch gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat zum Beispiel festgestellt, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen die Verfassung verstößt. Im Ergebnis ist der Privatraum besser und stärker geschützt worden.
Der staatliche Bereich macht dennoch immer wieder Sorgen, wie die Debatte über den Staatstrojaner, der das Abhören von Internettelefongesprächen ermöglicht, belegt. Das sind zum Teil sehr problematische Dinge. Aber es gibt eine öffentliche Diskussion und hier ist Abhilfe eher möglich.
Wo liegen die Gefahren von privater Seite? Inwiefern gefährdet die Privatwirtschaft die Demokratie?
Im privaten Bereich ist Abhilfe sehr schwierig, weil Anbieter wie Google, Facebook oder Amazon weltweit operierende Konzerne sind. Es ist eine Tatsache, dass die Spuren, die wir im Internet hinterlassen, für immer erhalten bleiben. Google hat etwa eine Milliarde Zugriffe pro Tag. Diese milliardenfache Datenflut bleibt bestehen. Sie wird verarbeitet. Es werden Persönlichkeitsprofile erstellt, die für kommerzielle und möglicherweise auch für andere Zwecke verwendet werden.
Wo sehen Sie dabei die konkrete Verantwortung des einzelnen Bürgers?
Der Staat muss Rahmen setzen für die Datenverarbeitung im privaten Bereich. Das muss in Deutschland vom Gesetzgeber und in Europa geschehen. Aber wir brauchen globale Absprachen über den Schutz der Privatheit.
Der Einzelne hat es natürlich zum Teil in der Hand, ob er Daten preisgibt oder nicht. Hier muss eine Verantwortung wachsen, gerade bei jüngeren Menschen, damit sie die Gefahren sehen und sich der Gefahren bewusst werden. Es gilt, Zurückhaltung zu üben. Manche sprechen schon von Datenaskese.
Es gibt allerdings einen großen Bereich, wo wir Daten hinterlassen, ob wir wollen oder nicht. Da haben wir gar keine eigene Entscheidung.
In den politischen Feuilletons ist seit einiger Zeit von einem Wandel der Demokratie die Rede. Die einen befürchten die sogenannte Postdemokratie, in der die tatsächliche Entscheidungsmacht an Expertenkommissionen und Wirtschaftseliten übergegangen ist. Andere sprechen aufgrund der neuen Möglichkeiten, die das Internet bietet, von einer zunehmenden Demokratisierung. Es ist von neuen Formen direkter Demokratie die Rede. Wie beurteilen Sie diese beiden Tendenzen?
Die Möglichkeit im Internet zu kommunizieren, gemeinsame Meinungen zu bündeln, das ist eine neue Dimension demokratischer Meinungsbildung. Aber sie ersetzt auf keinen Fall die repräsentative Demokratie! Wir können die Parlamente nicht ersetzen.
Es ist ja auch die Gefahr der Manipulation im Netz gegeben. Sie können ja zum Beispiel als "pressure group" im Netz Meinung hervorbringen oder auch bezahlen, die dann die Politik oder andere unter Druck setzen. Das Internet kann manipuliert werden. Man muss hier sehr aufpassen. Wie die Freiheitsbewegungen etwa im Iran und anderswo zeigen, nutzen die Machthaber gezielt das Internet, um ihre Gegner zu verfolgen.
Sehen Sie eine Gefahr, dass es unter den vor allem jüngeren Nutzern des Internets eine Art Verdrossenheit gegenüber der repräsentativen Demokratie gibt?
Das ist eine Gefahr, die ist aber nicht neu. Die Parteien haben kein großes Ansehen. Es gibt Parteienkritik, die hat es immer gegeben. Heute gibt es allerdings eine Verachtung der Parteien.
Ich bin schon dafür, dass man überlegt, wie man zu Elementen direkter Demokratie kommen kann, die etwas stärker sind als heute. Aber in kritischen Fragen, die einer Abwägung bedürfen, ist die Parlamentsentscheidung unverzichtbar. Man sollte generell mehr Mut haben zu mehr direkter Demokratie. Aber man darf sich auch nichts vormachen. Die direkte Demokratie trägt auch die Gefahr in sich, dass Minderheiten untergehen.
Gerhart Baum war von 1978 bis 1982 Innenminister der Bundesrepublik Deutschland. Sein besonderes Engagement gilt bis heute der Wahrung von Persönlichkeitsrechten. So setzt er sich seit Jahren für den Datenschutz und die damit verbundenen Bürger- und Freiheitsrechte ein. Mehrere Verfassungsbeschwerden gegen Telefonüberwachung, Online-Durchsuchungen und Vorratsdatenspeicherung hatten Erfolg. Baum ist 79 Jahre alt, lebt in Köln und veröffentlicht neben politischen Publikationen auch Artikel in verschiedenen Zeitungen.