Demokratische Standards in Gefahr
9. Oktober 2018In zahlreichen Industrieländern haben sich demokratische und rechtsstaatliche Standards erheblich verschlechtert. Ein von der Bertelsmann Stiftung vorgestellter Ländervergleich der 41 Industrienationen in der OECD und der Europäischen Union zeigt, dass sich viele der westlichen Staaten in den Trend einer "weltweit abnehmenden Demokratiequalität" einreihen. Deutschland landet in diesem Gesamtranking auf dem fünften Platz. Spitzenreiter ist Schweden, gefolgt von Finnland, Norwegen und Dänemark. Position sechs belegt die Schweiz.
Insgesamt 26 Länder zeigen laut der Studie im Vergleich zu 2014 eine tendenzielle Verschlechterung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen. Besonders negativ entwickelt haben sich demnach Staaten wie Ungarn, Polen, Mexiko und die Türkei.
Aber auch ein Land wie die USA, für das die Werte der Demokratie und Freiheit eigentlich zum "unverbrüchlichen Kern des eigenen Verständnisses" gehörten, habe zuletzt recht deutlich an Demokratiequalität eingebüßt, halten die Autoren fest. Ein Präsident, der etwa die Medien als "Feinde" bezeichne und nicht deren unabhängige Kontrollfunktion anerkenne und wertschätze, "ist beschämend und eine Gefahr für Demokratie und Freiheit", heißt es weiter.
"Das Leitbild der liberalen Demokratie gerät auch in der OECD und EU zunehmend unter Druck, in manchen Ländern sind zentrale demokratische und rechtsstaatliche Standards - wie etwa die Medienfreiheit - bereits schwer beschädigt", bilanziert Daniel Schraad-Tischler, Projektleiter und Mitautor der Studie.
Polen, Ungarn und die Türkei
Sehr bedenklich sei zudem, dass in Staaten mit abnehmender Demokratie- und Regierungsqualität nicht automatisch auch das Vertrauen der Bürger in die politische Führung abnehme. So lasse sich beispielsweise in Polen, Ungarn und der Türkei eine Zunahme des Vertrauens in die jeweilige Regierung beobachten. "Diese Entwicklung verdeutlicht, dass in einigen Ländern fundamentale demokratische Grundwerte bei einem Teil der Bevölkerung nicht ausreichend verankert sind", macht Schraad-Tischler deutlich.
Doch auch in Deutschland und den skandinavischen Ländern wächst der Studie zufolge die parteipolitische Polarisierung und erschwert langfristig orientierte Reformen. In der Bundesrepublik habe die Polarisierung zwischen "Links" und "Rechts" insbesondere mit dem Erstarken der AfD klar zugenommen.
Zu beobachten sei ferner in vielen Ländern "eine Art Dauerwahlkampf", erläutert Schraad-Tischler. Regierungen schafften es nicht mehr ausreichend, ihre Vorhaben klar zu kommunizieren und sich in Sachfragen zu einigen. Dies wird auch als Problem in Deutschland ausgemacht.
Dass mit den USA ausgerechnet die größte Volkswirtschaft der Welt bereits in allen drei Teilindizes der Untersuchung - Demokratie, Regierung und Politikperformance - um neun Plätze im Vergleich zur Erhebung von 2014 abgerutscht ist, spreche Bände und lasse nicht viel Gutes für die Zukunft erahnen, schreiben die Autoren weiter.
Vorbildfunktion Frankreich
Sie weisen zugleich darauf hin, dass es aber durchaus auch einzelne positive Entwicklungen gibt, die als Vorbild für andere Staaten gelten könnten. Erwähnt wird in dem Zusammenhang Frankreich, das sich unter dem neuen Präsidenten Emmanuel Macron ausgesprochen positiv entwickelt habe.
Der jetzt vorgelegte Ländervergleich (Sustainable Governance Indicator 2018) untersucht Staaten in Bezug auf ihre Demokratiestandards, die Qualität der Regierungsführung und Qualität der Politikergebnisse in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Mit dem Index analysiert die Bertelsmann Stiftung seit 2011 regelmäßig die Zukunftsfähigkeit der Mitgliedsstaaten in der EU und in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).
se/AR (epd, rtr, bertelsmann, sgi-network.org)