Denise Ho, Ikone der Hongkonger Proteste
18. August 2019Am Rand der Demonstrationen in Hongkong konnte man in den letzten Tagen manchmal eine skurrile Szene beobachten: eine Autogrammstunde, bei der schwarz gekleidete Demonstranten einer ebenfalls schwarz gekleideten, hochgewachsenen Frau ihre Schutzbrillen oder Handys zum Signieren hinhalten. Denise Ho ist eine der bekanntesten Popsängerinnen der Stadt. Vor fünf Jahren hat sie den chinesischen Millionenmarkt für ihr Gewissen eingetauscht. Seitdem ist sie eins der Gesichter von Hongkongs Demokratiebewegung.
Ho wurde 1977 in Hongkong geboren. Als sie 11 Jahre alt war, wanderten ihre Eltern nach Kanada aus. Es war die erste Emigrationswelle aus Hongkong, hervorgerufen durch einen Vertrag zwischen Großbritannien und China. Hongkong war damals eine britische Kolonie. Doch beide Länder hatten vereinbart, dass die Stadt 1997 an China zurückfallen sollte. Viele Hongkonger hatten Angst, Freiheit und Wohlstand zu verlieren. Denise Hos Familie verschlug es nach Montreal. Dort begeisterte sich die Jugendliche Denise für die Popmusik ihrer Heimatstadt. Besonders die melancholischen Balladen von Anita Mui, damals einer der größten Stars der Szene, taten es ihr an. "Das war meine Verbindung zu Hongkong, auch wenn ich weit weg war".
Weltweit erfolgreiche Kulturexporte aus Hongkong
Die achtziger und neunziger Jahre waren Hongkongs kulturelle Blütezeit. Jackie Chans Actionfilme zogen ein weltweites Massenpublikum in die Kinos, die melancholischen Halbweltgestalten aus Wong Kar-wais Filmen begeisterten die westliche Arthouse-Szene, und die Popmusik von Anita Mui oder später Faye Wong schepperte von der Inneren Mongolei bis Singapur aus den übersteuerten Lautsprechern der Karaokebars. Cantopop, benannt nach dem kantonesischen Dialekt, der in Hongkong gesprochen wird, setzte Trends für ganz Asien. Besonders in Festland-China, wo die Kulturrevolution erst wenige Jahre zurücklag, eroberten die Stars aus Hongkong die Herzen der Massen mit ihrer Musik, die von menschlichen Sehnsüchten statt von revolutionären Errungenschaften handelte.
Mit 19 kehrte Denise Ho zurück nach Hongkong, um an einem Talentwettbewerb im Fernsehen teilzunehmen. Sie gewann, blieb in der Stadt und begann, eng mit ihrem Idol Anita Mui zusammenzuarbeiten. Bald wurde sie selbst zu einem Star der Szene. Doch die Stadt begann sich zu verändern. Auf dem chinesischen Festland war eine mächtige Unterhaltungsindustrie entstanden. Die Volksrepublik brachte ihre eigene Popkultur hervor - kompatibel mit den Moralvorstellungen und politischen Tabus der kommunistischen Partei. Auch Hongkonger Schauspieler, Regisseure und Musiker zog es auf den milliardenschweren Festlandmarkt. Die Kreativszene der Stadt verschmolz immer mehr mit der chinesischen - und büßte dadurch ihre Einzigartigkeit ein. "Kreativität verändert sich, wenn man sich an die Zensur halten muss", sagt Ho.
Auf der schwarzen Liste
Ho haftet schon lange ein unangepasstes Image an. Ihre Musik kommt oft rauer daher als der klassische Cantopop. Und 2012 war sie die erste Popsängerin in Hongkong, die sich als lesbisch outete. Doch eine Rebellin, die die Regeln des Unterhaltungsmarktes sprengt, war sie nicht. Auch sie feierte Erfolge auf dem Festlandmarkt. 2010 brachte sie ihr erstes Album in Mandarin heraus, dem Chinesisch, das in der Volksrepublik und in Taiwan gesprochen wird. Dann, im Jahr 2014, legte die Regenschirmbewegung Hongkong für Wochen lahm. Denise Ho erklärte ihre Unterstützung für die jungen Demonstranten, trat in einem Solidaritätskonzert auf. In China wurde ihre Musik danach auf eine schwarze Liste gesetzt. Ihre Lieder verschwanden von sämtlichen Streamingdiensten. Sie habe gewusst, dass das das Ende ihrer Karriere auf dem chinesischen Festland bedeutete, sagt sie. "Aber wenn das Volk eine solche Krise durchmacht, dann muss man sich entscheiden."
Denn China verlangt von Stars, die auf dem Festland erfolgreich sein wollen, dass sie sich bedingungslos der Parteilinie unterordnen. Schon ein Klick in sozialen Medien kann das Karriere-Aus bedeuten. Im vergangenen Juni setzte Hongkonger Schauspielerin Charmaine Sheh ein Like unter ein Foto der Massendemonstrationen. Kurz darauf brach in den kontrollierten chinesischen Netzwerken ein Shitstorm über die Schauspielerin herein. Sie sei "schockiert", was sie da eigentlich geliked habe, entschuldigte sie sich schnell. "Ich liebe Hongkong, und ich liebe China." Ob die Kommunistische Partei und die nationalistische Internetszene ihre Entschuldigung als "aufrichtig" akzeptieren und ihr wieder die Gnade des Marktzugangs gewähren, wird sich noch herausstellen.
Im Alleingang
Denise Ho sagt heute, sie könne sich nicht mehr vorstellen, ein Leben zu leben, wo sie über die Folgen jedes Likes nachdenken muss. Doch ihr Bekenntnis zur Demokratiebewegung stellte ihre Existenz als Musikerin auf eine harte Probe. Sponsoren sprangen ab, ihr Plattenlabel beendete die Zusammenarbeit. Sie musste nun ihre Musik selbst produzieren, musste Marketingstrategien entwickeln und Konzerte planen. "Ich musste erst lernen, wie viel Verwaltungsaufwand hinter einer erfolgreichen Karriere steht", sagt sie. "Die erste Zeit war hart." Eine Fabriketage in einem Außenbezirk von Hongkong ist jetzt Büro, Proberaum und Tonstudio zugleich.
Fünf Mitarbeiterinnen sitzen dort um einen großen hölzernen Bürotisch. Ein Teekessel mit einer Kräutermischung köchelt in der Küche vor sich hin und verbreitet einen leichten Zimtduft. Denise Ho beugt sich mit einer Mitarbeiterin über den Plan eines Konzertsaales. Das Coliseum ist der größte Veranstaltungsort in der Stadt. Erst einmal ist es ihr seit 2014 bisher gelungen, dort ein Konzert zu veranstalten. Fünfmal wurde ihre Buchung abgewiesen. Der Konzertsaal gehört der Stadt, Gründe für die Absage wurden ihr nicht genannt.
Doch trotz solcher Schwierigkeiten kann sie regelmäßig auftreten. Ihre Kompromisslosigkeit hat ihr eine treue Fanbasis verschafft. Ihre Konzerte sind gut besucht. Tickets und Alben vermarktet sie direkt über das Internet. "Es läuft jetzt gut für mich. Ich bin ein Beispiel dafür, dass man ohne den chinesischen Markt überleben kann."