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Zum Tod der Philosophin Ágnes Heller

Paula Rösler
22. Juli 2019

Ágnes Heller überlebte den Holocaust nur knapp und widmete ihr Leben fortan der Philosophie. Die Ungarin trat in Hannah Arendts Fußstapfen und kämpfte noch mit 90 Jahren gegen Nationalismen.

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Ungarn Agnes Heller 2019
Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Auf die Frage nach dem größten Glück ihres Lebens sagte Ágnes Heller 2015 im Gespräch mit der DW: "geboren zu sein". Eine Antwort, die viel aussagt über das Denken und Handeln der ungarisch-jüdischen Philosophin. Denn auf ihre Geburt, so viel ist gewiss, hatte Heller keinen Einfluss. Im Leben aber, sagte Heller, habe man immer eine Wahl. Die Tochter jüdischer Eltern lernte früh, Entscheidungen zu treffen, ihre Zukunft zu gestalten, unter noch so widrigen Bedingungen. Die meisten ihrer Familienmitglieder fielen dem Holocaust zum Opfer. Ihr Vater, Rechtsanwalt und Widerstandskämpfer, starb 1945 in Auschwitz. Heller selbst entkam dem NS-Regime nur knapp, überlebte mit Glück und handelte Zeit ihres Lebens umso entschlossener.

Meisterschülerin unter György Lukács

Zwei Jahre nach Ende des Kriegs machte sie 1947 ihr Abitur, trat der Kommunistischen Partei bei und schrieb sich an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest für Physik und Chemie ein. Zur Philosophie kam Heller kurz darauf, wenn auch unerwartet. Eine Vorlesung des renommierten marxistischen Philosophen György Lukács (1885 – 1971) brachte sie dazu, das Studienfach zu wechseln und sich fortan der Philosophie und ungarischen Literatur zu widmen. Sie tat dies mit großem Erfolg, promovierte 1955 und wurde Assistentin des angesehenen Lukács.

Erst nach Australien, dann in die USA

Doch es wurde nicht ruhig in Hellers Leben. Nach dem ungarischen Volksaufstand von 1956 stellte sie sich gegen den sogenannten real existierenden Sozialismus - der die sowjetische Herrschaft über Osteuropa und damit ihre Heimat Ungarn einschloss - und wurde zur Dissidentin. Sie verlor ihre Stelle an der Universität und emigrierte schließlich 1977 nach jahrelangen Repressionen des damaligen kommunistischen Regimes nach Australien, wo sie an der La Trobe University in Melbourne Soziologie unterrichtete.

Agnes Heller: „Man hat immer eine Wahl“

1986 trat Heller die Nachfolge von Hannah Arendt am Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York an. Die beiden Professorinnen teilten nicht bloß die Erfahrung, sich in den von Männern dominierten Geisteswissenschaften Gehör und Anerkennung verschafft zu haben. Sie ähnelten sich darüber hinaus in ihrer Denkweise. So verstand sich auch Heller nie als Feministin, "weil ich keine Istin bin und nicht an Ismen glaube, Unabhängigkeit und Ismen gehen nicht zusammen", sagte sie damals der DW.

Die Unabhängigkeit stets gewahrt

Für Philosophie, so Heller, brauche man Freiheit. "Wenn man nicht frei ist und unabhängig, wenn man die Gedanken nicht frei entwickeln kann, kann man in der hohen Kultur nichts schaffen." Das sei der Grund, warum es neben ihr und Arendt lange Zeit so wenige Philosophinnen gegeben habe. Frauen seien in der Geschichte nie unabhängig gewesen. "Heute können Frauen in der hohen Kultur etwas erreichen, weil sie unabhängig sein können."

Und so verteidigte Heller ein Leben lang ihre Unabhängigkeit, verhalf sich dadurch selbst zu innerer Freiheit, auch wenn die äußeren Umstände für sie so oft alles andere als frei waren. 1989 kehrte Heller nach Ungarn zurück und wurde zu einer wichtigen Stimme im Einsatz für einen modernen Liberalismus. Sie sprach sich entschieden gegen den seit 2010 amtierenden rechtsnationalen, fremdenfeindlichen Ministerpräsidenten Viktor Orban aus, analysierte 2015 im DW-Interview: "Das stärkste Gift im 21. Jahrhundert ist substantieller Nationalismus."

Unermüdlich gegen den Faschismus

Für ihr gesellschaftspolitisches Engagement würdigte das Internationale Auschwitz Komitee die Philosophin posthum. "Sie analysierte den Hass mit präziser Klarheit, die aus ihren eigenen Erinnerungen an die Entwicklung des Faschismus in Europa gespeist war. Sie warnte vor diesem Hass und vor der Gleichgültigkeit angesichts dieses Hasses." Zu ihren Werken zählen unter anderem "Theorie der Gefühle" (1980), "Der Mensch der Renaissance" (1988), "Der Affe auf dem Fahrrad. Eine Lebensgeschichte" (1999) und "Paradox Europa" (2019).

Ágnes Heller (geboren am 12. Mai 1929 in Budapest) starb vergangenen Freitag im Alter von 90 Jahren. Wie die Ungarische Akademie der Wissenschaften (MTA) mitteilte, sei sie am Freitagabend nicht vom Schwimmen im Plattensee in Balatonalmadi zurückgekehrt.