Denkzettel oder Rückenwind?
10. Dezember 2015Angela Merkels Entscheidung, Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkriegsgebiet bisher unbegrenzt aufzunehmen, hat auf allen politischen Ebenen für Konflikte gesorgt. Nicht nur innerhalb der Europäischen Union oder zwischen den Parteien der Regierungskoalition in Berlin, sondern auch in Merkels eigener Partei, den Christdemokraten (CDU).
Noch vor wenigen Wochen sprachen Kommentatoren bereits von einem Aufstand in der Bundestagsfraktion von CDU und CSU. Im Berliner Regierungsviertel kursieren seitdem Gerüchte, Merkel werde noch vor dem Jahreswechsel entweder zurücktreten müssen oder dies selbst tun.
Druck von allen Seiten
Nun ist bereits Mitte Dezember und die Gemüter in der Fraktion haben sich ein wenig beruhigt. Beim CSU-Parteitag im Oktober hatte der Chef der Christsozialen die Kanzlerin auf offener Bühne düpiert. Das schloss die Reihen wieder. Die Bundestagsfraktion aber ist das eine, die Stimmung an der Basis dagegen weitaus schwieriger zu händeln. Doch darum wird es auf dem 28. CDU-Parteitag am 14. und 15. Dezember vor 1000 Delegierten aus den Städten und Kommunen gehen.
Noch immer strömen tausende Flüchtlinge ins Land. Das berührt vor allem die lokalen Politiker. Es gibt dort viele freiwilligen Helfer, aber auch viele Kritiker der Asylpolitik. Bei einer Regionalkonferenz in Sachsen Mitte Oktober war sogar ein Plakat mit der Aufschrift "Merkel entthronen" zu lesen.
Außerdem war Merkels Vorgehen eine Steilvorlage für die rechtspopulistische "Alternative für Deutschland", die im Osten Deutschlands inzwischen mühelos zweistellige Umfragewerte erreicht - auf Kosten der CDU. Dieses Stimmungsbild werden die Delegierten nach Karlsruhe mitbringen.
"Karlsruher Erklärung"
Die Kanzlerin will die Flucht nach vorn antreten: Am Donnerstag wurde vor der Presse ein kurzfristig verfasster Leitantrag des Parteivorstands mit dem Titel "Karlsruher Erklärung" vorgestellt. Der Antrag soll am Montagnachmittag nach der zentralen Rede Merkels mehrere Stunden ausführlich diskutiert werden. Danach wird abgestimmt. Merkel stellt in Karlsruhe sozusagen die "Vertrauensfrage".
Man hoffe, mit dem Antrag gut in den Parteitag und vor allem wieder gut aus dem Parteitag zu kommen, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere in Berlin - und gab damit wohl zu verstehen, wie nervös die CDU-Führung ist. Ziel müsse es sein, so de Maiziere weiter, die unterschiedlichen Meinungen in der Partei zu binden. Denn der Antrag wird nicht der einzige zur Flüchtlings- und Asylpolitik sein. Es liegt eine zweistellige Zahl von weiteren Anträgen zum Thema vor.
Streit um die Obergrenze
Der weitestgehende Antrag stammt von der Jungen Union (JU), der Nachwuchsorganisation der CDU. Die JU fordert darin eine Obergrenze, über die ein Runder Tisch beraten soll. Auf Frontalopposition aber will die JU auch nicht gehen.
JU-Vorsitzender Paul Ziemiak sagte im Vorfeld des Parteitags, dass von diesem zwei Signale ausgehen müssten: Dass die Partei geschlossen hinter Merkel steht, "und dass die Möglichkeiten in Deutschland endlich" seien. Über die rechtlichen Aspekte einer Obergrenze könne man diskutieren, faktisch aber gebe es eine solche in den Kommunen.
Merkel lehnt bisher eine zahlenmäßige Obergrenze ab - auch in der "Karlsruher Erklärung" fehlt das Wort. Andere Formulierungen seien besser, sagte de Maiziere dazu - wie "Überforderung vermeiden und Akzeptanz sichern".
Spannende Abstimmungen erwartet
Wie hoch wird die Zustimmung für die Anträge, die sich von Merkels Linie absetzen, ausfallen? Also: Wie ernst sind die Putsch-Gerüchte zu nehmen - oder sind sie nur emotionale Momentaufnahmen?
Ein anderer Antrag berührt die asylpolitische Grundfrage, ob Deutschland ein Einwanderungsgesetz braucht. Noch beim letzten Parteitag vor einem Jahr hatte ein Vorstoß dafür von CDU-Generalsekretär Peter Tauber für breite Ablehnung gesorgt. Dieses Mal sind die Vorzeichen andere: Der Antrag stammt aus dem Bundesvorstand und ist einer von drei grundsätzlichen Anträgen aus sogenannten Zukunftskommissionen. Dazu heißt es: Die bereits existierenden zahlreichen Gesetze zur Einwanderung sollten "widerspruchsfrei und besser miteinander verknüpft, in einem Gesetz zusammengeführt und im Ausland besser kommuniziert werden".
Bündel von Maßnahmen
Eine andere Baustelle sieht Merkel auf EU-Ebene. Hier will sie eine Verteilung der Flüchtlinge über die Mitgliedsstaaten durchdrücken. Bisher aber ist der Gegenwind sehr groß. Auch die geplante Einrichtung von Hotspots zur Registrierung an den EU-Außengrenzen kam bisher nicht zustande.
Merkels kleinteilige, auf Nachhaltigkeit bedachte Strategie findet sich auch in der "Karlsruher Erklärung" wieder. Es gibt eine Fülle von Maßnahmen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Und nicht den "einen Schalter, der zur Lösung der Flüchtlingskrise umgelegt werden kann, wie Generalsekretär Tauber erläuterte.
Die Zeit drängt. Geht es in Europa nicht bald voran, müssten wohl nationale Maßnahmen folgen. Merkel selbst hat schon mit dem Ende des Schengen-Abkommens gedroht. Damit droht der Antrag erneut, sollte die Sicherung der EU-Außengrenzen nicht funktionieren. Was das genau bedeuten würde, wollte der Bundesinnenminister jedoch nicht weiter ausführen, schließlich blicke man ja optimistisch in die Zukunft.