Der Doktor-Macher
6. August 2011Thomas Német ist ein Ghostwriter-Manager. Er raucht lange, dünne Zigaretten und sitzt in einem schicken Büro eines noblen Stadtteils von Zürich. Der blaue Anzug mit den silbernen Manschettenknöpfen sitzt perfekt. Eine Rolex schimmert unter dem blauen Anzugärmel hervor. Sein Büro ist gleichzeitig sein Zuhause, und das ist spärlich, aber edel eingerichtet. Drei impressionistische Werke verschönern die kahlen Wände. Ein lachender goldener Engel ist auf einem barocken Wandspiegel montiert.
Akademische Waffen für Betrüger
Einen Ghostwriter zu finden, der sich für ein Interview zur Verfügung stellt, ist nicht einfach. Zwar findet man viele solcher Unternehmen im Internet, äußern möchte sich dort aber keiner. Thomas Német ist anders: "Schlechte Werbung ist doch auch Werbung", sagt er lächelnd mit sächsischem Akzent. Er weiß: Wer auf seine Dienste zurückgreift, der ist sich bewusst, in einer gesetzlichen Grauzone zu handeln. Német selbst hat Philosophie studiert. Über das Internet hat er zu seiner ersten Anstellung als Ghostwriter gefunden. Ein bisschen selbst geschrieben und dann seine eigene Firma gegründet.
Heute hat er nach eigenen Angaben etwa 300 freie Mitarbeiter, einen Jahresumsatz von mindestens einer Million Euro und Kontaktbüros in Deutschland, Ungarn und Österreich. 90 Prozent seiner wissenschaftlichen Arbeiten gingen nach Deutschland. Német sagt, er hätte auch keine Probleme, als Waffenhändler zu arbeiten. Das könnte durchaus indirekt gemeint sein. Denn laut Német hat sein Unternehmen in den letzten sieben Jahren rund 5000 akademische Werke angefertigt und verkauft – Waffen für Betrüger auf dem Markt der Wissenschaft.
Geschäft mit Titeln ist Normalität
Hausarbeiten, Diplomarbeiten und Doktorarbeiten – ein Anruf oder eine Email genügen und Német sucht den passenden Ghostwriter für die Arbeit. Die größte Nachfrage, sagt er, käme von Studenten der Betriebswirtschaften, gefolgt von Juristen und Medizinern. Das Geschäft mit den Titeln ist für den Anfang 40-jährigen Normalität: "Bei uns wird eine Dienstleistung angefragt, und wir stellen sie dem Kunden, der sie bezahlen kann, zur Verfügung". Auch weise man stets daraufhin, dass der Kunde mit der Arbeit in einem juristisch korrekten Rahmen umzugehen habe. "Wenn er es nicht tut, muss er das auch selbst verantworten", ist Német überzeugt.
Die Eigenverantwortung des Kunden ist sein juristischer Joker. Gesetzlich zu belangen ist Német bisher nicht, denn das Schreiben einer Vorarbeit oder einer Arbeit zu Übungszwecken, so die offizielle Bezeichnung von Némets Diensten, ist kein Verbrechen. Erst wenn seine Kunden die Arbeit abgeben, machen sie sich strafbar: "Ich bin ein gutgläubiger Mensch, und ich bin nicht dafür zuständig, ein Psychoprofil meines Kunden anzulegen und dann zu entscheiden, ob ich ihm das Produkt geben kann oder eben nicht", sagt er verschmitzt.
Bis zu 50.000 Euro für den Doktor
Offiziell fertigt Némets Unternehmen auch keine Doktorarbeiten an. Lediglich "wissenschaftliche Werke von einer bis 500 Seiten." Circa 50 dieser längeren Werke verfasst sein Unternehmen im Jahr. Eine Doktorarbeit dauert mindestens ein Jahr und kann bis zu 50.000 Euro kosten. Je schneller es gehen muss, desto teurer die Arbeit. Die Bezahlung erfolgt unbürokratisch per Überweisung. Auch eine Ratenzahlung ist möglich. Auf die Frage, ob auch schon einmal ein Summa Cum Laude herausgesprungen sei, kann Német nur lachen. Er spricht nicht gerne über seine Kunden. Für die Verlierer der akademischen Welt gibt er sich wie ein verständnisvoller Vater: "Die stehen unter Stress, haben familiäre Probleme, stehen schon im Berufsleben oder haben eine Schreibblockade."
Plagiate, versichert Német, könnten bei ihm nicht passieren. Auf seiner Internetseite verkündet er: "An unseren Arbeiten beißen sich die Plagiatsjäger an den Unis und im Internet die Zähne aus." Német weiß, dass er mit der Angst vorm Versagen und dem gesellschaftlichen Druck gutes Geld verdient. "In den 70er Jahren hat man noch studiert, um Wissen zu erlangen. Ich will nicht sagen, dass das nicht mehr so ist, aber viele studieren heute nur noch, um diesen Zettel in der Tasche zu haben." Titel bedeuten ihm nichts. Was hätte er davon, wenn auf seinem Grabstein Doktor stünde? Für Thomas Német sind akademische Titel lediglich Produkte, die sich gut verkaufen: "Ob ich nun einen Doktortitel mit mir herumschleppe oder dafür 5000 Euro bekomme - ich nehme lieber die 5000 Euro und bin damit glücklich." Fast schon demütig schaut er dabei auf seinen goldenen Engel über dem Spiegel.
Autor: Nicolas Martin
Redaktion: Judith Hartl