Druck auf NGOs in Russland
13. Juli 2012Die russischen Menschenrechtler staunten nicht schlecht, als das Parlament in Moskau in der letzten Woche vor der Sommerpause Gesetze wie am Fließband verabschiedet hatte. Darunter auch eine Regelung, die die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) erschweren dürfte. Am Freitag (13.07.2012) stimmten die Parlamentarier der Regierungspartei "Einiges Russland" für das umstrittene NGO-Gesetz gleich in der zweiten und dritten Lesung.
Kritische Stimmen in Russland und im Ausland ließ die Regierungsmehrheit offenbar kalt. "Es ist ein inakzeptabler Versuch, die russischen Nichtregierungsorganisationen zu diffamieren", hieß es vor wenigen Tagen in einer Erklärung des Koordinierungsrates des EU-Russland-Zivilgesellschaftsforums. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck sprach von einer "Kampfansage des Kremls an die eigene Gesellschaft". Experten waren empört. "Das ist skandalös, das ist so nicht akzeptabel", sagte Hans-Henning Schröder von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin im Gespräch mit der DW.
Die Kreml-Partei "Einiges Russland" will mit dem Gesetz die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen neu regeln. Bereits im Titel wird die Stoßrichtung klar: Es geht um NGOs, die "die Funktionen eines ausländischen Agenten erfüllen" sollen. Wer dabei an James-Bond-Filme denkt, liegt wohl nicht ganz falsch. Denn das Wort "Agent" verstehen die meisten Russen als Synonym für "Spion".
Diskreditierung von NGOs
In den Augen des russischen Gesetzgebers sind vom Westen finanzierte Nichtregierungsorganisationen offenbar ähnlich gefährlich wie ausländische Geheimdienste. So sehen es zumindest diejenigen Abgeordneten der Regierungspartei, die den Entwurf ausgearbeitet haben. Heutzutage sei es möglich, "durch NGOs die Verfassungsordnung eines Staates zu zerstören", sagte ein Abgeordneter vor der Abstimmung. Ein anderer nannte das Gesetz "eine leichte Form der Selbstverteidigung des russischen Staates und der russischen Staatlichkeit".
Das rund 20-seitige Papier schreibt vor, dass sich russische Nichtregierungsorganisationen, die Geld aus dem Ausland erhalten und sich politisch engagieren, in einem Sonderregister als "ausländische Agenten" erfassen lassen müssen. Diese Bezeichnung soll auch bei öffentlichen Auftritten, wie etwa bei Publikationen, sichtbar gemacht werden.
"Das wirkt negativ auf mehreren Ebenen", kritisiert Stefan Melle, Geschäftsführer beim Deutsch-Russischen Austausch in Berlin und Mitglied im Koordinierungsrat des EU-Russland-Zivilgesellschaftsforums. Das Gesetz würde die Arbeit der NGOs durch zusätzliche Bürokratie belasten. "Vor allem aber bringt es sie in Misskredit gegenüber der Gesellschaft, weil behauptet wird, dass sie ihre Tätigkeit nicht im eigenen Interesse und im Interesse der Bürger von Russland ausüben, sondern im Interesse irgendwelcher ausländischer Fördergeber", sagt Melle. Das sei "einfach nicht richtig".
Kritik von Menschenrechtlern und Experten
Wer die Registrierung als "ausländischer Agent" verweigert, riskiert eine hohe Geldstrafe. Behörden sollen außerdem Nichtregierungsorganisationen vorübergehend schließen können. Das schreckt Menschenrechtler wie Ljudmila Alexejewa von der Moskauer Helsinki Gruppe offenbar nicht ab. "Wir werden uns auf keinen Fall als ausländische Agenten registrieren lassen, weil wir keine sind", sagte Alexejewa. Ihre renommierte Organisation wird unter anderem von der Europäischen Union finanziert. "Sobald das Gesetz in Kraft tritt, hören wir auf, ausländische Finanzhilfen anzunehmen“, kündigte Alexejewa am Freitag an. Das wird voraussichtlich im Herbst der Fall sein.
Russische Menschenrechtler sehen in dem umstrittenen Gesetz eine gezielte "Diffamierung und faktische Vernichtung der größten unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen". Russland werde damit in eine Reihe mit Staaten wie Belarus oder Nordkorea gestellt, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von sieben NGOs, die sich für Menschenrechte engagieren.
Ähnlich sehen das Vertreter deutscher Nichtregierungsorganisationen, die in Russland arbeiten. "Dieses Gesetz ist ganz klar ein Versuch der Einschüchterung verschiedener Organisation", sagt Sascha Tamm, der bis vor kurzem das Moskauer Büro der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung leitete. "Wenn es zum Beispiel Kritik an Wahlfälschungen gibt, da ist, denke ich, eine der Hauptzielrichtungen, zu sagen: Das ist eigentlich vom Ausland bezahlt", vermutet Tamm.
"Spielräume der Opposition einengen"
Hans-Henning Schröder von der SWP in Berlin glaubt, das neue NGO-Gesetz habe mit der jüngsten Welle der Anti-Putin-Proteste in Russland zu tun. "Es gibt eine ganze Reihen von Initiativen, um Spielräume der Opposition einzuengen", sagt der Russland-Experte. Erst vor wenigen Wochen habe das russische Parlament das Versammlungsrecht eingeschenkt, sagt Schröder. Nun sollen NGOs wie "Golos", die Wahlfälschungen bei der Parlaments- und Präsidentenwahlen dokumentiert und angeprangert hatten, "mundtot gemacht werden", sagt der Politologe. Russlands Präsident Wladimir Putin und seine Umgebung haben "Schwierigkeiten, mit der neuen Situation, der Informationsbreite im Internet und mit der kritischen Masse in der urbanen Mittelschicht zurecht zu kommen", vermutet der Berliner Experte.
Sascha Tamm von der Naumann-Stiftung glaubt, dass das neue Gesetz vor allem diejenigen Schichten in der Bevölkerung ansprechen werde, "an die sich Putin gerne wendet: die sehr wenig über das Ausland wissen und die eine dumpfe Phobie gegen das Ausland haben". Bei den kritischen Eliten aber werde das Gesetz "keinen Erfolg" haben.