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Politik

Ungehorsam nicht erlaubt

Kersten Knipp | Khaled Salameh
8. Oktober 2018

Auch nach Tagen ist der Verbleib des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi ungeklärt. In Teilen der arabischen Welt wird der Fall als Botschaft der saudischen Regierung an ihre Kritiker verstanden.

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Jamal Khashoggi saudischer Journalist
Dschamal Chaschukdschi auf einer Pressekonferenz Ende 2014Bild: picture-alliance/dpa/H. Jamali

Er galt nicht als Oppositioneller, sondern als kritischer Kommentator der Politik seines Heimatlandes. Der Journalist Jamal Khashoggi warb für den Ausbau der Bürgerrechte, auch und insbesondere für die der Frauen. Er äußerte sich kritisch über den Krieg, den sein Land im Jemen führte. Und er hielt den Konflikt mit dem benachbarten Katar nicht für unüberwindlich.

Dennoch hatte er offenbar den Eindruck, dass selbst solche Äußerungen die Regierung in Riad über die Maßen reizen könnte: Aus Furcht, verhaftet zu werden, ging er im September 2017 in die Vereinigten Staaten. Nun ist Khashoggi verschwunden: Seit er am 2. Oktober dieses Jahres das saudische Konsulat in Istanbul betrat, fehlt von ihm jede Spur.

Über Khashoggis Verbleib werde in den Sozialen Medien derzeit ein regelrechter Propagandakrieg geführt, sagt Sebastian Sons, Saudi-Arabien-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP): "Die Fronten verlaufen zwischen denen, die die bisherigen Informationen als wahr ansehen und denen, die überzeugt sind, dass dahinter eine türkische und katarische beziehungsweise eine saudische Verschwörung stecke."

"Der Vorfall sollte niemanden überraschen"

Dass es auch Tage nach seinem Verschwinden noch völlig unklar ist, wo Khashoggi sein könnte, nährt die Befürchtungen, er könne entführt oder sogar getötet worden sein. Yahya Asiri, Vorsitzender der in London ansässigen Menschenrechtsorganisation ALQST ("Gerechtigkeit") indes mahnt, den Fall nüchtern betrachten: "Der Vorfall sollte niemanden überraschen. Denn dass die Machthaber auch auf Unterdrückung setzen, konnte man von Anfang an erwarten". Er hoffe, so Asiri im DW-Gespräch, dass sich Menschenrechtler weltweit von dem Fall nicht übermäßig beeindrucken ließen - "denn das würde den Einfluss der saudischen Machthaber nur zusätzlich erhöhen."

Saudischer Journalist in Türkei verschwunden
Am Tag nach Jamal Khashoggis Verschwinden ist die Straße zum saudischen Konsulat in Istanbul gesperrtBild: picture-alliance/dpa/AP/L. Pitarakis

Weithin wird das Verschwinden Khashoggis als Signal der saudischen Machthaber an ihre Kritiker verstanden. Im saudischen Königreich gebe es für Stimmen, die etwas anderes als Gehorsam artikulierten, keinen Platz, heißt es in der dem katarischen Sender "Al-Dschasira" verbundenen Zeitung "Al-Arabi Al-Jadid". "Entführungen und Tötungen gehören seit langem zum saudischen Inventar, allerdings beschränkten sie sich bislang auf Gegner innerhalb des Königreichs. Das aber scheint sich derzeit zu ändern."

Ähnlich sieht es der saudische Prinz Khaled bin Farhan Al Saud, der in Deutschland politisches Asyl genießt. Der Fall Jamal Khashoggi zeige, dass die Regierung immer größere Bereiche der Politik zu kontrollieren versuche. "Der Staat ist diktatorisch und unterdrückerisch. Die Behörden dulden nicht einmal zurückhaltend geäußerte Kritik, selbst, wenn sie von jemandem kommt, der mit ihnen flirtet, wie es Khashoggi bisweilen tat", so Prinz Khaled im DW-Interview.

Unklare Grenzen der Kritik

Kritiker der saudischen Regierung wandelten auf einem schmalen Grad, sagt auch Sebastian Sons von der DGAP. Es komme sehr darauf an, in welchem Bereich die Kritik stattfinde: "Mohammed bin Salman zeigt sich offen denjenigen Stimmen gegenüber, die für weitere wirtschaftliche Modernisierung und in gewissem Rahmen auch die gesellschaftliche Öffnung plädieren. Sobald es allerdings um Kritik an seiner Person oder seinem politischen Kurs geht, stößt die Kritik rasch an ihre Grenzen."

Saudi Arabien |  Prince Mohammed bin Salman "Vision 2030"
Starker Mann ohne Sinn für Kritik an der eigenen Person: der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman Bild: Getty Images/AFP/F. Nureldine

Dies mache es für viele saudische Staatsbürger sehr schwierig, die Entwicklung ihres Landes öffentlich zu kommentieren. "Freunde und Bekannte in Saudi-Arabien sagen mir, sie wüssten mittlerweile nicht mehr genau, wann man eigentlich rote Linien übertritt."

Verunsichert seien sie auch durch die Verhaftungswelle im November 2017. Damals wurden Mitglieder der Königsfamilie unter dem Vorwurf der Korruption verhaftet. "Dass der Kronprinz auch führende Vertreter des Establishments nicht schone, hat ihm gerade bei der jungen Bevölkerung einiges Ansehen gebracht. Zugleich werden so aber die Grenzen der Meinungsäußerung in Saudi-Arabien nochmal enger gezogen." Nicht ausgeschlossen, dass eben dies die Strategie ist: die Grenzen der Kritik fließend zu halten - und dadurch unter der Hand zu verengen.

"Der Arm der Staatssicherheit ist lang"

Noch ist der Verbleib von Khashoggi unklar. Dennoch sieht der in der arabischen Welt weithin bekannte Chefredakteur der Internet-Zeitung "Rai Al-Youm", Abdel Bari Atwan, den Fall bereits als Botschaft des saudischen Staates an seine Kritiker und Opponenten. Mit ihm hätten die saudischen Behörden einen in der arabischen Welt wie auch international sehr bekannten Journalisten entführt. "Das dahinter stehende Ziel ist klar: Es geht darum, saudische Dissidenten einzuschüchtern und eine Nachricht an alle Kritiker zu Hause und im Ausland zu schicken, dass die Arme der Staatssicherheit sehr weit reichen."

Genau so sieht es auch der im deutschen Exil lebende Prinz Khaled bin Farhan Al Saud. Er nimmt an, dass sich die saudische Staatsführung durch ihre guten Kontakte zu Donald Trump zu ihrem aggressiven Kurs zusätzlich ermutigt fühlt. "Auf dieser Grundlage lässt Saudi-Arabien wissen, dass es überall in der Welt tun kann, was es will und alle Normen und Gesetze verletzen kann."

Die düsteren Vermutungen ließen sich widerlegen, wenn Khashoggi wieder auftauchte. Vorerst allerdings bleibt er verschwunden.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika