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Neue Ermittlungen im Fall Jalloh

Wolfgang Dick18. August 2016

Der inhaftierte Asylbewerber Oury Jalloh starb 2005 bei einem Brand in seiner Zelle in Dessau. Wie das Feuer entstand, wurde mehrfach untersucht. Jetzt wird erneut ermittelt. Nach mehr als elf Jahren.

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Mit Kerzen vor einer Zeichnung Oury Jallohs zum Gedenken Foto: picture-alliance/dpa/P. Endig
Bild: picture-alliance/dpa/P. Endig

Oury Jalloh ist 37 Jahre alt, als er bei einer Personenkontrolle festgenommen wird, mit zwei Promille Alkohol im Blut und von Kokain benommen. Weil sich der Mann aus Sierra Leone wehrt und seinen Ausweis nicht zeigen will, wird er an Händen und Füßen gefesselt und so auf eine Matratze alleine in eine sogenannte Gewahrsamszelle der Polizei gelegt. Dort soll Jalloh - trotz der Fessel - mit einem Feuerzeug die feuerfeste Matratze eigenhändig angezündet haben. Die Polizei erkennt das Feuer zu spät. Jalloh erliegt seinen Brandverletzungen. War der Brand die Tat Jallohs oder gar ein Eingriff der Polizisten?

Jahrelange Zweifel

Seitdem dieses Unglück bekannt wurde, gibt es Zweifel an dem Hergang der Ereignisse. Es entsteht ein Kampf um Beweise. In einem ersten Strafprozess wird zwar festgestellt, dass es keine Beteiligung Dritter an dem Feuerausbruch gab, dennoch wird nach etlichen juristischen Verfahren 2014 ein damals verantwortlicher Dienstgruppenleiter der Polizei wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er den Feueralarm nicht rechtzeitig beachtet haben soll.

Immer wieder treiben Bürger der "Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh" die Aufklärung voran, weil ihnen einiges merkwürdig erscheint. Zum Beispiel: Das Feuerzeug, das angeblich schon während des Brandes unter Oury Jalloh gelegen haben soll, tauchte erst später auf. Merkwürdig, dass es in der Zelle gewesen sein sollte. Eigentlich werden Inhaftierten alle Gegenstände abgenommen. Am Feuerzeug hätten auch Gewebe- oder Hautspuren Jallohs kleben müssen, was offenkundig nicht der Fall war. Die Matratze überhaupt zu entzünden und so heftig brennen zu lassen, wäre nur mit Brandbeschleunigern möglich gewesen, sagen Gutachter aus Großbritannien und Kanada im Laufe der Verfahren. Ein Experte für Giftstoffe erklärte, Jalloh wäre aufgrund seines Alkohol- und Drogenkonsums gar nicht in der Lage gewesen, das Feuerzeug zu bedienen.

Über private Spenden finanziert die Bürgerinitiative schließlich einen eigenen Brandgutachter aus Irland, den weißrussischen Sachverständigen Maxim Smirnou. Der benötigt ganze fünf Liter Benzin, um eine ähnliche Matratze wie die in der Zelle von Dessau zum Brennen zu bringen. Die Initiative reicht eine Strafanzeige ein: Sie sieht ihren Mordverdacht bestätigt.

Deutschland PK zu Gutachten zum Tod von Asylbewerber Oury Jalloh . Foto: picture-alliance/dpa/H. Hanschke
Journalisten sehen 2013 auf einer Pressekonferenz ein Video zu einem Gutachten, das die Feuerursache klären sollteBild: picture-alliance/dpa/J. Wolf

Neuer Brandversuch

Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau reagiert mit einem erneuten Auftrag einer Untersuchung. Mord verjährt nicht.

An diesem Donnerstag wird im Institut für Brand und Löschforschung in Dippoldiswalde alles noch einmal nachgestellt, was sich am 7. Januar 2005 ereignet haben soll. Mit einem neuen Brandversuch, durchgeführt von dem Sachverständigen Kurt Zollinger vom Forensischen Institut Zürich. Durch einen deutschsprachigen Fachmann soll jede Fehlinterpretation durch Übersetzungen vermieden und durch den Schweizer Experten eine höchstmögliche Unabhängigkeit des Urteils gewährleistet werden. Ausgang offen.

Spurenauswertung über Jahrzehnte möglich

Dass auch nach vielen Jahren Verfahren noch einmal aufgerollt werden, ist nichts Ungewöhnliches. Vor allem in Mordfällen geschieht dies immer wieder. So wurde zum Beispiel in München mit einer erneuten Spurenauswertung eines sorgfältig aufbewahrten Handabdrucks der Mord an einer Verkäuferin aufgeklärt. 25 Jahre nach der Tat. Über eine DNA-Analyse konnte ein Schreiner überführt werden, der eine 87 Jahre alte Dame erdrosselt hatte. Das Urteil erfolgte zehn Jahre nach seiner Tat.

Experten der Polizei, die über jahrzehntelange Erfahrung in der Spurensicherung verfügen, bestätigen, was Norbert Wierschem von der Bonner Polizei äußert: "Fachgerecht gesichert, halten DNA-Spuren unendlich lange." Es gibt allerdings ein paar Voraussetzungen, die auch den Fall Jalloh berühren.

Spurensicherung am Haus in Spezialanzügen Foto: picture-alliance/dpa/M. Kusch
Die Spurensicherung erfolgt immer durch Experten in Anzügen, die selbst keine Spuren hinterlassen sollenBild: picture-alliance/dpa/M. Kusch

Feuer vernichtet viele Spuren

DNA-Spuren müssen im trockenen Zustand gesichert und absolut trocken gelagert werden. Feuchtigkeit und jede Hitzeeinwirkung sind für DNA-Spuren tödlich. Dafür können in Brandschutt befindliche Spuren in speziellen Brandschutzbeuteln, die luftdicht verschweißt werden, ebenfalls lange für eine Auswertung gesichert werden. Zu beachten gäbe es allerdings die sogenannte Spuren-Konkurrenz. In Brandschutt müssen sich Ermittler häufig für eine Spur entscheiden, die sie konservieren wollen. Denn die Methode der Sicherung der einen könnte die Erfassung einer weiteren Spur behindern. Was im Fall Jalloh bei der Spurensicherung geschah, ist nicht im Detail veröffentlicht, beklagt die Bürgerinitiative.

Die alles entscheidende Frage ist schließlich immer wieder: "Welche Spuren sind tatrelevant?" Das kann im Laufe eines Verfahrens stets neu bewertet werden. Dann müssen die in den bei Mordfällen oder Mordverdachtsfällen in Asservatenkammern gelagerten Spuren neu gesucht und ausgewertet werden. Im Fall Jalloh dürfte es im Zuge der erneuten Untersuchungen auch darauf ankommen, ob doch noch Spuren eines Brandbeschleunigers auftauchen. Bisher wurden sie nicht gefunden. Feuer vernichtet viele Spuren.