Die Geldblase
7. März 2012Die Zeiten, in denen die US-amerikanische Wirtschaft ein leuchtendes Beispiel der freien Marktwirtschaft waren, sind vorüber. Seit die Regierung die angeschlagene Autoindustrie retten musste und eine Reihe von Unternehmen verstaatlicht wurden, sind wichtige Teile der US-Wirtschaft unter der Kontrolle Washingtons.
Das beste Beispiel für freie Marktwirtschaft, das die USA heutzutage zu bieten haben, ist erstaunlicherweise die bevorstehende Präsidentschaftswahl.
Traditionell ist das US-Wahlsystem weit weniger reguliert, weniger von Parteihierarchien charakterisiert und lässt mehr Raum für den Einfluss potenter Geldgeber als es in anderen Industrienationen der Fall ist. Aber während bislang der Einfluss von Geld in den Wahlkampagnen doch wenigstens noch ein wenig in Grenzen gehalten wurde, so sind die meisten Vorschriften zur Finanzierung des Wahlkampfs im Laufe der Jahre mehr und mehr aufgeweicht worden.
Schrittweise Deregulierung
Die Deregulierung der Wahlkampffinanzierung fand schrittweise statt. Im Wesentlichen waren es drei richtungweisende Entscheidungen, die das gegenwärtige System geprägt haben.
Im Jahr 1976 entschied der Supreme Court im Fall Buckley gegen Valeo, direkte Spenden an Kandidaten zu begrenzen, erlaubte den Kandidaten jedoch zumindest ihr eigenes Vermögen unbegrenzt für ihre Kampagnen einzusetzen. Zudem wurde Unterstützern zugestanden, unbegrenzt Geld für Wahlkampagnen einzusetzen, solange diese nicht direkt mit dem entsprechenden Kandidaten abgesprochen waren.
In der wohl bekanntesten – und umstrittensten – Entscheidung entschied der Supreme Court im Jahr 2010 im Falle Citizens United gegen die Federal Election Commission (FEC), dass politische Spenden als eine Form der freien Meinungsäußerung gelten – und zwar nicht nur Spenden von Einzelnen, sondern auch von Unternehmen, Lobbygruppen oder Gewerkschaften. Die Entscheidung hat zur Folge, dass Wirtschaftsunternehmen und Gewerkschaften unbegrenzte Geldmengen für Wahlkampagnen einsetzen können – solange die Beträge nicht direkt an den Kandidaten gehen, sondern eben nur an Kampagnen, die den jeweiligen Kandidaten unterstützen.
Nur wenige Monate später wurde im Fall Speech Now gegen die FEC entschieden, dass unabhängige Gruppen das gleiche Recht besitzen, unbegrenzt Geld in den Wahlkampf zu pumpen, solange sie ihre Kampagnen nicht direkt mit dem von ihnen favorisierten Kandidaten absprechen. Die jüngste Erscheinung auf der Bühne der Wahlkampffinanzierung sind nun eben solche Gruppen, die sogenannten Super Political Action Committees oder kurz: Super-PACs.
Geld regiert die Welt
Die anstehende Präsidentschaftswahl wird das Experiment, bei dem sich zeigen wird, was passiert, wenn praktisch nur noch eine einzige Spielregel bleibt: 'Geld regiert die Welt.'
Man stelle sich vor, Bill Gates entschied sich, sein gesamtes Vermögen von 59 Milliarden US-Dollar in die Kampagne eines der Kandidaten zu stecken.
"Der Grund, warum er das vielleicht doch nicht machen würde, ist, dass dann bei jeder Wahlwerbung der Zusatz käme: 'bezahlt von Bill Gates'", erklärt Lloyd Mayer, Dekan an der juristischen Fakultät der Notre Dame Universität in Indiana.
Super-PACs hingegen bieten hier einen Umweg, die Geldquelle ein wenig zu verschleiern.
"Wenn er sein Geld beispielsweise an den pro-Romney Super-PAC 'Restore Our Future' gibt, dann erscheint bei den Anzeigen lediglich 'bezahlt von Restore Our Future', und dies klingt eben ein bisschen besser."
Bislang hat zwar Bill Gates weder politische Ambitionen geäußert, noch einen der Super-PACs unterstützt – bei anderen Milliardären jedoch sieht es anders aus. Casino-Tycoon Sheldon Adelson beispielsweise hat 10 Millionen Dollar an den Super-PAC gespendet, der hinter Newt Gingrich steht. Damit ist Adelson quasi die treibende Kraft, die es Gingrich finanziell ermöglicht, überhaupt noch im Rennen zu bleiben.
Der Gründer von Paypal und Facebook-Instvestor Peter Thiel hat 2,6 Millionen Dollar in Ron Paul's Super-PAC gesteckt, während Fundmanager Foster Friess Rick Santorum's Super-PAC mit einer Million Dollar unterstützt.
Rekordausgaben
Nach Angaben des sogenannten "PAC-Tracker" der unabhängigen gemeinnützigen Organisation ProPublica haben alleine die prominentesten der mehr als 300 Super-PACs bislang mehr als 112 Millionen Dollar zusammengetrieben. Und dies noch inmitten der Vorwahlen der Republikaner, lange vor dem eigentlichen Showdown zwischen Obama und einem republikanischen Herausforderer. Die meisten der großen Unternehmen, Lobbygruppen und Gewerkschaften haben sich bislang noch zurückgehalten und werden ihre Geldkoffer erst dann öffnen, wenn der richtige Wahlkampf beginnt.
Nach Schätzungen des Center for Responsive Politics wird der Wahlkampf dieses Jahr mit mehr als sechs Millarden Dollar der teuerste in der Geschichte der USA sein – ein Betrag, der höher ist als beispielsweise das gesamte Bruttosozialprodukt des ostafrikanischen Staats Ruanda.
Doch die Verteidiger der Deregulierung argumentieren, dass dieses Mehr an Geld und Geldgebern zu mehr Debatten und Vielfalt führt, zu mehr Anzeigen, die den Bürgern ein besseres Bild vermitteln, welche Kandidaten zur Wahl stehen.
Zudem lässt sich gerade im aktuellen republikanischen Vorwahlkampf argumentieren, dass ohne die Super-PACs das Rennen schon längst entschieden wäre: Keiner der übrigen Kandidaten könnte mit dem Geld Mitt Romneys mithalten. Die Super-PACs sorgen zumindest nach dieser Argumentationslinie also dafür, dass es im Wahlkampf gerechter vor sich geht, dass mehr Chancengleichheit besteht.
"Aber es sind nur wenige, die diese Sichtweise vertreten", sagt Mayer. "Die meisten Menschen sind vielmehr besorgt, dass das viele Geld das System korrumpiert."
Es ist kaum nachweisbar, ob das viele Geld der Super-PACs am Ende zu einer politischen Gegenleistung führt, sobald der entsprechende Kandidat ins Amt gewählt wird. Andererseits, so Mayer, lege der gesunde Menschenverstand doch nahe, dass die Unsummen an Geld wohl kaum ohne Hintergedanken und erwartete Gegenleistung investiert werden.
Und auch das Argument, dass Super-PACs zu mehr Chancengleichheit führen, lassen Kritiker nicht gelten. Vielmehr führe das Geld dazu, dass reiche Geldgeber oder Gruppen eine unverhältnismäßig starke Stimme bekommen – im Gegensatz zu den vielen kleinen Geldgebern und Unterstützern.
Wachsende Empörung
Einer der führenden Kritiker der Super-PACs ist Trevor Potter, ehemals Chef der FEC. Spätestens seit er dem TV-Satiriker Stephen Colbert dabei half, mit einem eigenen Super-PAC das marode System auf die Schippe zu nehmen, ist Potter unter den Kritikern zu einer Art Berühmtheit aufgestiegen. Er ist überzeugt, dass die meisten Amerikaner die Mär vom unabhängigen Super-PAC schlicht nicht glauben: "Jeder mit dem ich spreche ist empört und sagt, es sei reiner Unsinn zu behaupten, Super-PACs seien unabhängig."
Die meisten warnen vor der Gefahr der Korruption, solange die Spender, die die Super-PACs mit Millionen von Dollar versorgen, sich unbehelligt mit dem entsprechenden Kandidaten treffen können, fügt Potter hinzu.
"Für die meisten Amerikaner ist das genau die Art von Korruption, der wir doch eigentlich ein Ende setzen wollten, als verboten wurde, dass einzelne Geldgeber unbegrenzte Mittel an einen Kandidaten geben."
Nach den Bestimmungen der FEC dürfen Kandidaten kein Geld für einen Super-PAC mobilisieren und sich nicht mit dem Super-PAC "koordinieren". Erlaubt ist jedoch, dass ein Kandidat sich zu einem Super-PAC bekennt oder auf Veranstaltungen des ihn unterstützenden PACs auftritt.
Daher, so Potter, sei es juristisch kein Problem, wenn Mitt Romney bei einem Treffen der Geldgeber des ihn unterstützenden Super-PACs auftaucht und sich dort sogar bei den Spendern für ihre Arbeit bedankt.
"Wir wissen beispielsweise, dass einer der Hauptsponsoren des Pro-Santorum-Super-PACs mit Senator Santorum gemeinsam unterwegs ist und auch mit ihm auf Wahlkampfveranstaltungen auftritt", erklärt Potter.
"Wir wissen auch, dass Newt Gingrich in Las Vegas war und sich dort unter vier Augen mit eben jener Person getroffen hat, die seinen Super-PAC mit 10 Millionen Dollar unterstützt. Es lässt sich also nur schwer behaupten, dass diese Gruppen wirklich unabhängig sind."
Wettrüsten
Doch es wäre vorschnell, hier alleine die Republikaner als Verantwortliche für die fragwürdige Kampagnenfinanzierung ausmachen zu wollen.
Sicher, im Allgemeinen neigen die konservativen Republikaner eher zu weniger Regulierung und die Demokraten zu mehr. Und doch war der frühere republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain bis vor Kurzem beispielsweise noch einer der größten Befürworter einer Reform der Kampagnenfinanzierung.
Präsident Obama hingegen hat seine Position zu Super-PACs im Laufe der Zeit geändert. Während er diese zuvor gern öffentlich verurteilt hat, so nutzt sein Lager mittlerweile die gleiche Methode, um Geld für den Wahlkampf aufzubringen.
"Es hat sich zu einem klassischen Wettrüsten entwickelt", erklärt Potter. "Keiner will einseitig abrüsten, so dass es einer gemeinsamen Vereinbarung bedürfte, um die Entwicklung zu stoppen. Aber vor den Wahlen rechne ich nicht mit einem solchen Deal."
Was also ist der beste Weg, um die Gesetzeslage zur Wahlkampffinanzierung zu ändern? Der Weg durch die gerichtlichen Instanzen ist lang und das Ergebnis alles andere als gewiss. Der politische Weg durch den US-Kongress ist ebenso langsam - und würde zudem aller Wahrscheinlichkeit nach von zahlreichen Seiten erschwert werden.
Ein handfester Skandal?
Der zynische Schluss vieler Experten ist, dass der sicherste und schnellste Weg ein handfester Skandal wäre. Ganz wie im Finanzsektor wäre ein drastisches Erdbeben vonnöten, um über breites öffentliches Interesse und massiven Druck eine Reform zu erzwingen.
Es wäre nicht das erste Mal. Richard Nixons Watergateskandal beispielsweise drehte sich im Kern auch um die Finanzierung des Wahlkampfs. Es ging nicht nur um angezapfte Telefonleitungen, Einbrüche und Verschleierung, sondern auch um zwielichtige Geldspenden und geheime Geldflüsse in Nixons Wahlkampagne.
Das Ergebnis war der Federal Election Campaign Act von 1974 - ein Gesetz, das den gesamten Wahlkampf umkrempelte und zu einer öffentlichen Kampagnenfinanzierung führte.
Autor: Michael Knigge / ai
Redaktion: Rob Mudge