Der fragwürdige Schmerzensmann
20. März 2004Wie verhalten sich die Kirchen in Deutschland zu dem Film? Sollen sie ihn begrüßen oder davor warnen? Sollen sie sich über die Werbung für die eigene Sache freuen oder führt der Film eher weg von christlichen Anliegen? Die katholische Kirche geht jedenfalls mit dem Film gelassener um als die Protestanten. Nicht zuletzt, weil die Zentrale in Rom die Marschrichtung vorgegeben hat. Hartnäckig hält sich das offiziell dementierte Gerücht, der Papst habe den Film gesehen und gesagt: "Es ist, wie es war." Eine offizielle Stellungnahme des Vatikans gibt es nicht. Allerdings bezeichnete der Präsident des Päpstlichen Medienrates, Erzbischof John Foley, den Film als "keineswegs antisemitisch". Das Sprachrohr des Papstes, Vatikansprecher Joaquin Navarro-Valls, sieht in "The Passion" eine filmische "Transkription" der Evangelien. Wenn der Film antisemitisch sei, seien es auch die Evangelien.
"Unter Umständen indirekt auf Nebengleisen"
Heißt das, Kritik am Film verbietet sich? Der Vatikan scheint in Mel Gibsons persönlicher Deutung der Leidensgeschichte Jesu ein Mittel zur Evangelisierung zu sehen. Nur so ist es zu verstehen, dass konservative Vertreter der katholischen Weltkirche "The Passion" vorab gute Noten erteilten. Die katholischen Bischöfe in Deutschland kritisierten den Film allerdings wegen der drastischen Gewaltdarstellungen. Kardinal Lehmann will zwar keinen direkten Antisemitismus in dem Film erkennen, dass er aber "ausgesprochen grausam und brutal und blutrünstig ist, das haben wir nicht verkennen können", sagt der Vorsitzende der Deutschen Bischofkonferenz. Diese explizite Gewaltanwendung könne dann "unter Umständen indirekt auf Nebengleisen" (Lehmann) antisemitische Gefühle hervorrufen.
Anders als die katholischen Bischöfe urteilt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Sie attestierte dem Film fehlende theologische Tiefe. Mel Gibson "bade in einer Schmerzensmann-Frömmigkeit", die alles Gewicht auf die Äußerlichkeit des Leidens lege.
Leiden und Kopfschmerzen
EKD-Ratsvorsitzender Wolfgang Huber hat den Film vorab schon gesehen. Von Kinovergnügen konnte dabei keine Rede sein: "Ich habe sehr gelitten unter der maßlosen Art, in der die Gewalt, die Jesus erleiden muss, gezeigt wird", sagte Huber der Deutschen Welle. Für ihn waren die Szenen der Folterung und Hinrichtung einfach zu viel. In der Nacht nach dem Kinobesuch bekam er erst einmal starke Kopfschmerzen.
Dabei fand er durchaus nicht alles schlecht an dem Film von Mel Gibson "Es gibt daneben auch anrührende und ergreifende Situationen. Ich finde die Rückblenden, die in den Film eingebaut sind, eigentlich sehr stark: auf Jesus als Kind, auf den Bergprediger, auf die Fußwaschungen, auf das letzten Abendmahl." Warum diese im Vergleich zu der Länge, in der die Geißelung, die Kreuztragung kurz dargestellt sind, will er hingegen nicht verstehen.
Einige der kurzen Rückblenden sind frei erfunden, zum Beispiel die Szene, in der Jesus als Tischler arbeitet. Sonst aber will der Film vor allem eines sein: authentisch. Dazu gehört auch der Gebrauch von Aramäisch und Latein. Dabei sind dem Regisseur allerdings einige Peinlichkeiten unterlaufen. Jesus und Pilatus sprechen beispielsweise Latein miteinander, das Jesus höchst wahrscheinlich nicht beherrschte.
Gewalt statt Theologie?
Huber kritisiert nicht, dass Jesu Leiden in dem Film dargestellt wird, sondern lediglich die überzogene Form und das Fehlen einer überzeugenden theologischen Aussage. Alle Aufmerksamkeit des Zuschauers werde absorbiert von dem Geschehen. Der Zuschauer empfinde nur noch Abscheu vor den Tätern, Abscheu vor der Grausamkeit von Folter und Hinrichtung. Das Entscheidende aber, der Erlösungsgedanke, komme dabei zu kurz: "Nicht nur gegenüber einer zeitgenössischen theologischen Einsicht ist der Film an dieser Stelle zu kurz, sondern gegenüber einer ganz langen und kontinuierlichen christlichen Tradition verfehlt er an dieser Stelle den entscheidenden Punkt", so Huber.
Vergleich zum Holocaust-Mahnmal
In dem Ansatz, dass die Größe des Leidens Jesu durch die Brutalität der Darstellung zum Ausdruck kommen müsse, sieht Wolfgang Huber ein Hauptübel des Films: "Das erinnert mich an den Versuch von Eisenmann, die Größe des Leidens im Holocaust durch die Ausmaße des Mahnmals in Berlin darstellen zu wollen. Im einen wie im anderen Fall halte ich das für, ich sage es drastisch, für Antworten auf den Größenwahn unserer eigenen Zeit. Und man sollte sich an dieser Stelle daran erinnern, dass es für diesen Größenwahn einen biblischen Namen gibt: Das Sein wollen wie Gott nennt die Bibel Sünde."
Der Film läuft ab 17. März 2004 in den deutschen Kinos