1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Der Irak und seine Geisterarmee

Kersten Knipp1. Dezember 2014

Ein Korruptionsskandal erschüttert das irakische Militär. Es überwies Gehälter an zehntausende Soldaten, die gar nicht existierten. Der Fall erklärt auch die Niederlage im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat".

https://p.dw.com/p/1DxmR
Irakes Militär im Kampf gegen den "Islamischen Staat", 31.8. 2014 (Foto: Reuters)
Bild: REUTERS

Im Juni 2014 machte das irakische Militär keine gute Figur. Im Kampf um die Stadt Mossul gaben sich 60.000 Soldaten den rund 1.200 Kämpfern der Terrorgruppe "Islamischer Staat" ohne nennenswerte Gegenwehr geschlagen. Wie im Sturm schossen die Milizen heran und schlugen mit ihrer hochmodernen Ausrüstung die Soldaten in die Flucht.

Für die irakische Armee war das nicht nur eine verheerende militärische Niederlage, sondern auch ein herber Ansehensverlust. Die Soldaten verloren gegen einen Gegner, den sie in Sachen Mannschaftsstärke um ein Vielfaches überragten.

So schien es jedenfalls bislang. Doch am Wochenende gab der irakische Premierminister Haider al-Abadi im irakischen Parlament eine Erklärung ab, die möglicherweise auch die Schlacht um Mossul in einem anderen Licht erscheinen lässt. Waren die regulären irakischen Soldaten den Milizen zahlenmäßig tatsächlich haushoch überlegen? Oder war ihre Zahl viel kleiner als angenommen?

Der irakische Premier Haider al-Abadi, 20.10.2014 (Foto: AFP / Getty Images)
Will Korruption bekämpfen: Premier Haider al-AbadiBild: AFP/Getty Images

Zu dieser Vermutung geben die Zahlen Anlass, die Al-Abadi nun präsentierte. Demnach führt das Verteidigungsministerium rund 50.000 Kämpfer in seinen Listen, die reine Karteileichen sind. Bei einer offiziellen Truppenstärke von rund 170.000 bestünde ein knappes Drittel aus "Geistersoldaten" - so werden im irakischen Arabisch Soldaten genannt, deren Namen erfunden wurden oder die bereits verstorben sind, denen aber dennoch weiterhin Bezüge überwiesen werden.

Gigantische Betrugssummen

Die betrügerischen Summen, die auf diese Weise zustande kommen, sind gigantisch. Im irakischen Militär erhält ein einfacher Rekrut zu Beginn seiner Dienstzeit ein Mindestgehalt von rund 600 US-Dollar. Die Einkommen höherer Ränge liegen entsprechend darüber. Berücksichtigt man die Gehaltssteigerungen, ergeben die zu Unrecht überwiesenen Bezüge zusammen einen Betrag von mindestens 380 Millionen Dollar. "Der Betrag könnte aber bis um das Dreifache steigen", erklärt der irakische Politiker Hamid al-Mutlaq, Mitglied des irakischen Verteidigungsausschusses, in einem Interview mit der "Washington Post". Es sei nämlich durchaus möglich, dass weitere Namenslisten nicht existierender Soldaten gefunden würden. "Die irakischen Kassen sind geplündert worden." Nutznießer waren offenbar überwiegend irakische Offiziere. In ihren Papieren gaben sie viel mehr Namen an, als sie in ihren Rängen tatsächlich führten.

Milizen des "Islamischen Staats" in Mossul, 23.6. 2014 (Foto: AP)
Triumph in Mossul: Milizen des "Islamischen Staates"Bild: ap

Gefüllt haben diese Kassen zu großen Teilen die amerikanischen Steuerzahler: Zwischen dem Beginn der US-Invasion 2003 bis zum Abzug der Amerikaner im Jahr 2011 investierten die Vereinigten Staaten rund 20 Milliarden Dollar in Ausrüstung und Training der irakischen Armee. Im kommenden Jahr wollte Washington weitere 1,2 Milliarden US-Dollar überweisen.

Korruptionsvorwürfe gegen Ex-Premier Al-Maliki

"Die Geistersoldaten waren einer der Gründe für den schockierenden Zusammenbruch der irakischen Armee im Kampf mit dem Islamischen Staat", erklärt der irakische Politiker Mohamed Othman al-Khalidi im Gespräch mit dem Internet-Magazin "Al Monitor".

Bereits während der Amtszeit des bis August 2014 regierenden Premiers Nuri al-Maliki waren immer wieder Korruptionsvorwürfe erhoben worden - nicht nur gegen das irakische Militär, sondern auch gegen die Regierung. Das Kabinett Al-Maliki musste sich zudem vorhalten lassen, es betreibe eine einseitige Politik zugunsten der irakischen Schiiten - und treibe die sunnitische Bevölkerung auf diese Weise in die Arme des ebenfalls sunnitischen "Islamischen Staates".

Schwache Kampfmoral

"Wenn sich die Regierung Al-Maliki entweder korrumpieren lässt, oder Schiiten und Sunniten gegeneinander ausspielt, oder beides zugleich tut, fühlen sich weite Teile der Bevölkerung rechtlos und erniedrigt, und zwar ganz unabhängig davon, dass lokale Sicherheitskräfte dieses Defizit auszugleichen versuchen", zitiert das amerikanische Internetmagazin "Globalsecurity" die US-Sicherheitsberaterin Sarah Chayes.

Mit seiner Politik hat Al-Maliki aber offenbar auch die Moral des sunnitisch dominierten irakischen Militärs untergraben. Man könne die Soldaten noch so sehr ausrüsten und trainieren, zitiert "Globalsecurity" den an der Universität San Francisco lehrenden Politologen Stephen Zunes - das nütze solange nichts, wie die Soldaten nicht bereit seien, sich auf gefährliche Gefechte einzulassen. "Leider hat die Regierung Al-Maliki so viele Iraker dazu getrieben, sich von ihr abzuwenden, dass sie in der Bevölkerung nicht jene Unterstützung hat, die nötig wäre, damit die Soldaten bereit wären, ihr Leben aufs Spiel zu setzen."

Der irakische Ex-Premier Nuri al-Maliki, 13.8.2014 (Foto: AP)
Umstritten: Ex-Premier Nuri al-MalikiBild: picture-alliance/AP Photo

In aller Schärfe zeigt der jüngste Korruptionsskandal, woran es dem irakischen Militär in erster Linie mangelt: nicht an Waffen, sondern an einer hinreichenden Kampfmoral. Sie der Truppe zurückzugeben, ist eine der dringendsten Aufgaben, die Premier Heider al-Abadi bewältigen muss.