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Der Kampf gegen das "Brustbügeln"

Katrin Gänsler
15. Oktober 2018

Es ist eine alte, schmerzhafte Praxis: Bis heute werden jungen Mädchen in Kamerun die Brüste abgebunden oder mit Steinen beschwert. Eine Frauengruppe bekämpft die Tradition durch Aufklärung an Schulen.

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Kamerun Brustbügeln
Bild: Renata

Winnie Eyono Ndong steht vor 70 Mädchen und Jungen. Die neun- bis elfjährigen Schüler sitzen dicht gedrängt auf kleinen Holzbänken. Die Luft im Klassenzimmer ist stickig. Als Ndong anfängt, den Drittklässlern der staatlichen Grundschule Essos I in der kamerunischen Hauptstadt Yaoundé ihre Lebensgeschichte zu erzählen, wird es still. Die Kinder beobachten jeden Schritt, den die junge Frau in dem schlichten grauen Kleid macht. Und sie scheinen jedes Wort förmlich aufzusaugen. Winnie Eyono Ndong, die für die Organisation Renata arbeitet, spricht über ein großes Tabu in Kamerun: das Brustbügeln. Die schmerzhafte Praxis existiert trotz aller Aufklärungsarbeit bis heute in dem zentralafrikanischen 25-Millionen-Einwohner-Land.

Kamerun Brustbügeln
Winnie Eyono Ndong warnt Schüler vor der traditionellen Praxis des BrustbügelnsBild: Renata

Jede Woche besucht Ndong mit ihren Kolleginnen Schulen - und das seit sieben Jahren. Der Kontakt entstand zufällig: Ndong war gerade volljährig, als sie schwanger wurde, interessierte sich aber nach der Geburt wenig für ihre Tochter, die kleine Gloria. Die Tantines ("Tantchen") luden sie und andere Mädchen zu einem Workshop für junge Mütter ein. "Motiviert hat mich nur die Übernahme der Fahrkosten", sagt sie. Doch Ndong war begeistert. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl: "Mein Leben ist noch nicht vorbei."

Verletzt durch die Großmutter

Seit ihrer Gründung 2005 schafft die Organisation vor allem durch Workshops für Teenagermütter Bewusstsein für das "Brustbügeln" und seine Folgen Die 27-jährige Ndong ist selbst betroffen. Sie wuchs bei ihrer Mutter in Yaoundé auf, wurde aber in den Ferien zu ihrer Großmutter aufs Land geschickt. Als sie mit neun Jahren dort wieder zu Besuch war, erzählte ihr eine Cousine vom Brustbügeln. Die Großmutter hatte einen Spachtel genommen, ihn im Feuer erhitzt und dem Mädchen schließlich auf die Brust gedrückt. "Als ich meine Cousine weinen sah, fragte ich: So ein kleiner, heißer Spachtel macht so große Schmerzen? Sie sagte nur: Das schmerzt unheimlich."

Kamerun Brustbügeln
Um ihr Wachstum zu verhindern, werden erhitzte Steine auf die Brüste gelegt (Foto nachgestellt)Bild: Renata

Wie unerträglich die Schmerzen sind, erlebte die junge Frau nur wenige Tage später selbst. "Meine Brust tat weh und fing wohl an zu wachsen. Als ich das meiner Großmutter sagte, lächelte sie und untersuchte mich." Am Abend war es dann soweit. Auch Ndong musste das sogenannte Brustbügeln über sich ergehen lassen. Als sie das vor den Schülern erzählt, ist ihre Stimme laut und klar.

Vorsätzliche Entstellung

Bis heute gibt es wenige Daten über diese Praxis. Eine der aktuellsten Studien stammt aus dem Jahr 2013 und wurde mithilfe der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführt. Im Vergleich zu Erhebungen aus dem Jahr 2005 ist die Zahl der Betroffenen zwar um die Hälfte zurückgegangen. Zwölf Prozent der 5914 Befragten gaben aber weiterhin an, das Brustbügeln am eigenen Körper gespürt zu haben. Laut Catherine Aba Fouda, Sprecherin von Renata, existiert das Phänomen aber auch in Nachbarländern wie Togo und dem Tschad: "Aber in diesen Ländern ist das bisher nicht als Problem bewertet worden. Und wenn doch, dann wusste man nicht, wie man darüber sprechen soll. Es ist so fest in Tradition und Kultur verankert."

Kamerun Brustbügeln
Bei der Praxis kann es zu erheblichen Verbrennungen kommenBild: Renata

Die Techniken sind unterschiedlich. Nach der Behandlung mit dem heißen Spachtel - häufig kommt es dabei zu Brandwunden - wollte Ndongs Großmutter die Brüste der Enkelin dreimal täglich massieren, damit sie nicht wachsen. Manchmal werden sie mit elastischen Bändern abgebunden. Das Ziel: Die Brüste sollen nicht wachsen oder zumindest so hässlich wie möglich aussehen. "Im Norden haben uns die Frauen gesagt, dass sie so ihre Töchter vor einer Kinderheirat schützen wollen", erklärt Renata-Sprecherin Fouda. "Im Westen und im Zentrum Kameruns sagt man: Wenn einem Mädchen schon sehr früh Brüste wachsen, werde es sich nicht gut entwickeln. Das lenke vom Lernen ab, weil die Jungs es anstarren."

Kamerun Brustbügeln
Kräuter sollen die oft unvorstellbaren Schmerzen lindernBild: Renata

Eine unansehnliche Brust soll vor sexuellen Übergriffen schützen. Winnie Eyono Ndong glaubt aber nicht, dass das funktioniert. Ihre Erzählung erreicht einen tragischen Punkt ihres Lebens. Aus Angst, dass ihre Großmutter ihr erneut wehtun könnte, versteckte sich Ndong im Wald. Ein Onkel fand sie und versprach: "Wenn Großmutter dich ruft, werde ich mit ihr sprechen. Sie wird dich nicht mehr belästigen." An dieser Stelle hält Ndong einen kurzen Moment inne. Anstatt sie zu schützen, habe der Onkel sie vergewaltigt, erzählt sie. "Doch im Dorf hat mir niemand geglaubt. Er hat gesagt, ich sei gefallen."

Das Tabu Sexualität

Die Mädchen und Jungen sind so alt wie Winnie Eyono Ndong damals. Als sie ihren kurzen Vortrag beendet, schießen sofort ein paar Hände in die Luft. Ein Junge möchte wissen, warum sie keine Hilfe bekommen hat. Eine andere Schülerin fragt, warum sich Jungs und Männer mit einem Mal für Mädchen interessieren. Ein weiteres will mehr über die gravierenden Folgen hören. Die Renata-Mitarbeiterin beantwortet geduldig jede Frage und gibt zu: Bis heute hat sie Schmerzen. Unter den Zuhörern ist auch Klassenlehrer Emmanuel Dieudonné Nkodo Olinga. "In der dritten Klasse sind schon Kinder, die das Phänomen der Pubertät spüren. Solche Veranstaltungen geben Orientierung", sagt er über den Besuch. Doch so offene Gespräche sind die Ausnahme. Sexualität bleibt ein großes Tabu.

Kamerun Brustbügeln
In Yaoundé hören die neun- und zehnjährigen Grundschüler aufmerksam zuBild: Renata

Zum Ende des Vortrags stehen alle Schüler auf. Gemeinsam mit Winnie Eyono Ndong rufen sie: "Nein zum Brustbügeln." Bevor sie und ihre Kolleginnen die nächste Schule besuchen, dreht sich die Renata-Mitarbeiterin noch einmal zu den Schülern und sagt: "Eure Brust gehört euch. Die darf niemand anfassen."