Der letzte Diktator Europas
9. Juli 2014Kaum jemand dachte vor 20 Jahren, dass man eines Tages Alexander Lukaschenko im Westen den "letzten Diktator Europas" nennen würde. An seinen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen am 10. Juli 1994 hatten weder Politiker noch Experten geglaubt. Damals sollen angeblich mehr als 80 Prozent der Weißrussen für ihn gestimmt haben.
Erstmals ließ sich Lukaschenko, Leiter eines staatlichen Landwirtschaftsbetriebes, bei der Parlamentswahl 1990 wählen. Als Abgeordneter im Obersten Sowjet stand er mal auf Seiten der Kommunisten, mal auf Seiten der Nationalisten. Lukaschenko übernahm den Vorsitz des Ausschusses für Korruptionsbekämpfung. In zornigen Reden griff er im Parlament immer wieder Vertreter der kommunistischen Nomenklatura an, die damals das Rückgrat der Regierung waren. So machte sich Lukaschenko bei der Bevölkerung beliebt.
Experten meinen, sein Sieg bei der Präsidentschaftswahl 1994 sei das Ergebnis einer Protestwahl gewesen. Die Menschen waren damals die Herrschaft der Kommunisten, die Hyperinflation und andere Wirtschaftsprobleme leid. Aber nicht einmal die Anhänger des damals 39-jährigen neuen Präsidenten hatten geglaubt, dass Lukaschenko so lange an der Macht bleibt.
Nicht ohne russische Hilfe
Doch was ist das Geheimnis der politischen Langlebigkeit Lukaschenkos? Der weißrussische Politologe Alexander Klaskowski meint, einerseits sei es Lukaschenkos Populismus, andererseits seien es die geringen Ansprüche der weißrussischen Wähler. Mit dem relativ stabilen Lebensstandard, der zwar weit hinter dem westeuropäischen zurückbleibe, seien die meisten Menschen zufrieden. "Es gibt eine Beschäftigungsgarantie. Es ist insgesamt ein Remake des sowjetischen Lebens, bei dem man nicht viel arbeiten und denken muss", sagte Klaskowski im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Aber der wichtigste Schlüssel zu Lukaschenkos Erfolg sei die gewaltige finanzielle Unterstützung aus Moskau. Nach Schätzungen weißrussischer Experten erreichen die Hilfen in Form direkter oder indirekter Subventionen bis zu zehn Milliarden Dollar pro Jahr. Minsk genießt niedrige Energiepreise und Handelspräferenzen. So liefert Russland Öl, das in weißrussischen Raffinerien weiterverarbeitet wird. Der Löwenanteil der weißrussischen Exporte geht nach Russland. Mit der Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion, zu der sich Russland, Kasachstan und Weißrussland zusammengeschlossen haben, hofft Minsk deshalb auf weitere Zollerleichterungen und Mehreinnahmen von drei bis vier Milliarden US-Dollar pro Jahr.
Klaskowski erinnert ferner daran, dass allein in diesem Jahr Weißrussland mehr als drei Milliarden US-Dollar an Gläubiger zurückzahlen müsse. Eine Fremdfinanzierung sei bislang nur mit dem Kreml möglich. Da Lukaschenko zu politischen und wirtschaftlichen Reformen nicht bereit ist, sei eine Annäherung an den Westen ausgeschlossen. "Somit sind für Minsk Finanzierungsmöglichkeiten des Internationalen Währungsfonds sehr begrenzt", so der Experte.
Die Macht der Angst
Auf die erhebliche finanzielle, wirtschaftliche, politische und militärische Unterstützung aus Russland verweist auch Valeri Karbalewitsch vom weißrussischen Forschungszentrum "Strategia". Lukaschenkos Machtsystem könne ohne diese Hilfen nicht überleben. "Dazu kommt die Unterdrückung und sogar Beseitigung von Regimekritikern. Das hat dazu geführt, dass viele politisch aktive Menschen Weißrussland verlassen haben", sagte Karbalewitsch der DW.
Stanislaw Schuschkewitsch, der erste Staatschef des unabhängigen Weißrussland, erinnert in diesem Zusammenhang daran, wie Lukaschenko gleich in den ersten zwei Jahren seiner Herrschaft die junge Demokratie wieder zerstörte. "Zuerst wurden die Medien monopolisiert und dann sofort die lokale Selbstverwaltung abgeschafft."
Dies habe eine Atmosphäre der Angst geschaffen, auf der das heutige Regime basiere, stellt Michail Pastuchow fest. Er gehörte als Richter einst dem ersten Verfassungsgericht des Landes an. "Die Grundlage des jetzigen Systems in Weißrussland ist Angst. Man versucht immer wieder den Menschen klar zu machen, dass jede Äußerung von Unzufriedenheit brutal unterdrückt wird ", so Pastuchow.
Will Lukaschenko die Ukraine-Krise ausnutzen?
Für Angst und Schrecken, so die Experten, würde derzeit sowohl bei der weißrussischen Führung als auch bei der Bevölkerung des Landes der russisch-ukrainische Konflikt sorgen. Lukaschenko sehe, dass von Russland eine Bedrohung ausgehe. Gleichzeitig sehe er aber in der Ukraine-Krise auch einen neuen Trumpf in seinen Händen, mit dem er seine Macht festigen wolle, glaubt Valeri Karbalewitsch.
Dem Soziologen zufolge fürchtet die Bevölkerung Veränderungen. Vor allem die staatlich kontrollierten Medien würden den Menschen vermitteln, die weißrussische Opposition würde mit einem Regierungswechsel nur Chaos, Anarchie und sogar Krieg stiften. Daher habe Lukaschenko schon sein Motto für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2015 gefunden: "Entweder Lukaschenko und Stabilität oder Veränderungen und Chaos." Karbalewitsch fügte hinzu, ohne die Ereignisse in der Ukraine wäre für Lukaschenko die Lage vor der Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr ungünstiger.