Der letzte Schritt zum Glück
11. Juli 2014Der Zuckerhut? Die Christusstatue? Die Copacabana? Alles uninteressant, findet zumindest Thomas Müller. Für die Schönheit von Rio de Janeiros Sehenswürdigkeiten fehlt ihm momentan der Sinn. "Für mich gibt's eigentlich nur einen Grund nach Rio zu fahren: da gibt's den WM-Pokal", sagt Müller mit seinem typisch-schelmischen Grinsen im Gesicht und lacht. Und ob geplant oder nicht - mit dieser einen Antwort bringt er die Stimmung in der Nationalelf auf den Punkt: Locker, aber fokussiert auf das Wesentliche.
Immer wieder sind die Worte "Fokus" und "Konzentration" zu hören in diesen Tagen im DFB-Quartier von Santo Andre, das die Mannschaft am Freitagabend endgültig verlassen hat - mit dem Ziel Rio. Sicher steckt dahinter auch eine Kommunikationsstrategie der sportlichen Leitung, die einerseits nach innen der Mannschaft einschärfte, nach dem Gala-Auftritt gegen Brasilien nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Im Gegensatz zu vergangenen Turnieren habe die Mannschaft im Teamquartier nicht einmal gefeiert, sagte Teammanager Oliver Bierhoff, "die Spieler sind sehr professionell". Andererseits ist diese Strategie natürlich auch nach außen gerichtet: Niemand soll glauben, die Deutschen nehmen das WM-Finale im Überschwang der Euphorie nun auf die leichte Schulter.
Philipp Lahm, der Passepartout
Natürlich nimmt auch Mannschaftskapitän Philipp Lahm diesen Faden auf: "Jetzt sind wir nur noch einen Schritt vom großen Traum entfernt, er soll jetzt Wirklichkeit werden. Wir wollen den Pokal endlich wieder nach Deutschland holen", sagt Lahm, der selbst einen großen Anteil hat an der Tatsache, dass die DFB-Elf nun die Chance auf den WM-Titel hat. Mit Ausnahme seines Patzers im Ghana-Spiel zeigte der Kapitän in allen Partien außergewöhnliche Leistungen - egal ob auf der Sechserposition oder als rechter Verteidiger. Ein Beleg: 87 Prozent seiner Pässe erreichten den Mitspieler - einer der besten Werte im deutschen Team.
Lahm will jedoch niemanden hervorheben, betont immer wieder die Stärke des Kollektivs und dessen mannschaftliche Geschlossenheit. "Wir haben viele Spieler, die viel Erfahrung haben, die Säulen sind in großen internationalen Mannschaften. Wir haben auf allerhöchstem Niveau Erfahrung gesammelt. Das ist mit Sicherheit von Vorteil für dieses Turnier."
Messi: ein Name wie ein Alarmsignal
Fast könnte man derzeit beim Deutschen Fußball-Bund den Eindruck gewinnen, man ist dort nur mit sich selbst und seinen eigenen Stärken beschäftigt. Doch dann fällt auf der Pressekonferenz ein Name: Lionel Messi. Ein Alarmsignal selbst für Offensivspieler Thomas Müller: "Man muss versuchen, ihn immer zu begleiten, ihn immer zu stören, schon bei der Ballannahme", fordert der Bayern-Spieler, der bislang aber meist "positive Erfahrungen" gegen den argentinischen Superstar machte. Dennoch ist ihm bewusst, dass die Messi-Bewachung keine Aufgabe für nur einen Akteur ist. "Wenn ein Spieler ausgespielt ist, muss der nächste da sein. Und der, der ausgespielt wurde, muss sich wieder hinten anstellen. Irgendwann hat man den Ball dann auch erobert."
Es werde also, versichert Müller, viel Laufarbeit auf die deutsche Mannschaft zukommen - zum Glück eine der Stärken der Mannschaft, die bei diesem Turnier alle Gegner auch über die Physis niederringen konnte. Auch deshalb ist Teammanager Oliver Bierhoff auf Nachfrage der DW, warum Deutschland in seinen Augen nun den Titel holen werde, überzeugt, dass nun nichts mehr schiefgehen kann: "Die hohe Qualität unsere Spieler, die gute Organisation der Mannschaft auf dem Platz und die Entschlossenheit" sind für ihn die Kernkompetenzen für den vierten Stern. "Es wäre auch für ganz Fußball-Deutschland ein Riesenerfolg." Denn dahinter stecken viele, die diese Generation mit geformt haben und ihren Anteil haben am bisherigen Weg der Nationalspieler, betont Bierhoff, der stellvertretend die Jugendtrainer von Philipp Lahm und Thomas Müller nennt.
Und wenn doch Argentinien gewinnt?
Doch eines wird auch Bierhoff bewusst sein: Misslingt der letzte Schritt zum Triumph, bleibt diese goldene Generation eine unvollendete. Eine knappe Niederlage im Elfmeterschießen gegen Argentinien und vieles bis jetzt Hochgelobte im deutschen Team erscheint in einem anderen Licht. Zu gewaltig ist die Erwartung daheim in Deutschland. Der Titel soll jetzt her, wann wenn nicht jetzt? So hart und einfach ist die Realität für die Nationalmannschaft, die nun liefern will - und muss.