Der Maler als Marke: Rembrandt
11. Februar 2015Spätwerke genießen nicht immer den besten Ruf. Der französische Kunstkritiker Roger de Piles, ein Zeitgenosse des niederländischen Malers Rembrandt, beschrieb sie im 17. Jahrhundert als Produkte des körperlichen Verfalls: mit letzter Kraft zustande gebracht.
Altersschwäche? Der Begriff will auf Rembrandt überhaupt nicht zutreffen. In seiner Spätphase lässt sich keine Spur von Energieschwund finden. Der Niederländer, der 1609 in Leiden als Sohn eines Müllers das Licht der Welt erblickte, schuf ein Spätwerk, das so experimentierfreudig und technisch innovativ ist, dass es geradezu modern wirkt. Kaum zu glauben, dass es nun zum ersten Mal in einer Ausstellung vereint ist (12.02. bis 17.05.2015).
Warum jetzt, rund 350 Jahre nach seinem Tod? Eine klare Antwort gibt es nicht. Vielleicht hat es mit der langwierigen Arbeit des "Rembrandt Research Projects" zu tun, das die Werke seit 1969 auf ihre Authentizität untersucht. Ein Glanzpunkt mit Einmaligkeitsfaktor - das ist die Ausstellung im Amsterdamer Rijksmuseum allemal. Etliche Prunkstücke gehen danach nie wieder auf Reisen, wie das intime Porträt einer Amsterdamer Familie, das zum ersten Mal seit 1959 das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig für diese Ausstellung verlassen durfte, und nun neben dem Gemälde "Die Judenbraut" mit seinen dick aufgetragenen Farbschichten die Augen des Betrachters zum Überlaufen bringt.
Risikofreudiger Meister
Rembrandt Harmenesz van Rijn befindet sich in einer schwierigen Phase, als diese Werke entstehen. Was hat er nicht alles für Leiden durchmachen müssen. 1642 stirbt seine geliebte Frau Saskia, der Sohn Titus bleibt zurück. Das Jahr, in dem er das berühmte Gemälde "Die Nachtwache" malt, läutet eine Wende ein. Die Haushälterin verklagt ihn wegen eines gebrochenen Eheversprechens. Am Ende ist er in 25 Gerichtsprozesse verwickelt. Der finanzielle Bankrott ist unabwendbar. Er ist gezwungen, sich von seiner privaten Kunstsammlung und seiner enzyklopädischen Sammlung von Globen, Münzen, Musikinstrumenten, Steinen und Waffen zu trennen.
"Burnout" nennt Rembrandt-Experte und Kurator der Schau, Gregor Weber, diesen Zustand. Was macht der Blick in den Abgrund mit einem vom Erfolg verwöhnten Künstler wie Rembrandt? "Er erfindet sich neu", lautet Webers Antwort. Wer sich in der Ausstellung, die die Werke in dunklen Räumen vor grauen Wänden präsentiert, umsieht, der erkennt, wie sich Rembrandt von den strengen Konventionen der Porträt- und Historienmalerei des Goldenen Zeitalters löst. 1651, er ist 46 Jahre alt, tritt er befreit und mit neuem Elan an die Leinwand.
Mehr Experimente, weniger Aktion im Bild
Wenig idealisierend sehen die von ihm porträtierten Gesichter aus, ihr Blick meist nach Innen gekehrt wie im Falle der alten lesenden Frau, die versunken in ein Buch schaut. Rembrandt stellt sie in Nahaufnahme dar: Ihr weises Gesicht wird von einem Licht erhellt, das aus dem Buch herausstrahlt. Lippen, Nase, Kinn treten so plastisch hervor, dass man meint, sie anfassen zu können. Den Hintergrund dagegen deutet er nur als dunkle Atmosphäre an. "Er wird im Stil ein anderer und experimentiert jetzt mehr. Die Sturm und Drang-Phase von früher, in der er Wert auf Aktion im Bild legte, ist vorbei. Er kehrt die Handlung nun nach innen und wird kontemplativ," sagt Weber.
Der Pinselstrich ist mal grob, mal fein. Aus dieser freien Art spricht ein großes Vertrauen in den Betrachter: ein Appell an die Fantasie, das Unfertige zu Ende zu denken. Als er 1656 die "Anatomische Vorlesung des Dr. Deyman" malt, wagt er sich an eine ungewöhnliche Komposition heran, die so realistisch ist, dass Zartbesaiteten übel werden könnte. Der Betrachter sieht dem Chirurgen Dr. Deyman dabei zu, wie er das Gehirn einer Leiche aufschneidet. Dabei wird der Blick des Betrachters an den dreckigen Füßen vorbei direkt in die offene Bauchhöhle des Verstorbenen geführt. "Es muss alles so sein wie die Wirklichkeit es vorschreibt: krass und wahr. Nichts schönt Rembrandt für einen Auftraggeber."
Ich male mich, also bin ich
Rembrandt Harmensz van Rijn war sich selbst das liebste Modell. Er malte sich bis zu seinem Tod. Öfter als alle Künstler vor ihm. Immer wieder. 80 Selbstporträts entstanden in rund 40 Jahren. Das Motiv des sich selbst Anschauens war schon früh sein Thema. Rembrandt benutzte dafür einen Spiegel. Er schaut sich an wie ein Fremder, studiert unermüdlich, wie das Licht sein Gesicht modelliert. Er malt sich beim Malen, er malt sich als Fürst oder er schlüpft in die Rolle des Apostels Paulus: Mit dem aufgeschlagenen Manuskript des Evangeliums vor sich blickt er seitlich aus dem Gemälde hinaus. Was für eine Landschaft dieses Gesicht: Tiefe Falten zerfurchen seine Stirn. Die Augenbraue mündet in einen schwarzen Fleck, der aus nichts als der Grundierung der Leinwand besteht, die Nase - dick wie eine Kartoffel - gewinnt Räumlichkeit durch den hellen Punkt an der Spitze.
Je älter er wird, desto schonungsloser blickt er auf die eigenen Altersflecken, die aufgedunsene Haut, das ergrauende Haar. Andere Gemälde wirken unfertig, weil er mit Aussparungen und Andeutungen arbeitet. Sie tragen ihm den Ruf ein, seine Gemälde nicht fertig zu malen. Sogar mit dem Paletten-Messer schabt er Farbe von der Leinwand ab.
Branding - Aufbau einer Marke
"Diese Stücke fanden Käufer, weil sie 'Rembrandt Rembrandts' waren", sagt Weber. Ein Doppelschlag: "Ein Käufer bekam nicht nur ein Gemälde von Rembrandt, er bekam auch noch eins mit einem Konterfei des berühmten Meisters Rembrandt." Die Produktion dieser Gemälde mit Hilfe seiner Werkstatt wirkt wie ein Vorläufer der "Factory" des Pop Art-Künstlers Andy Warhol. Die Selbstporträts repräsentieren das, was im Marketing den Kern einer guten Marke ausmacht: Wiedererkennbarkeit und Einfachheit. Und sie sind auch ein Beweis für Rembrandts ausgeklügeltes Unternehmertum. Auf seinem letzten Selbstporträt, das am Ende der Ausstellung hängt, sieht Rembrandt älter aus als 63 Jahre. Auch noch als knorriger Alter mit Zottel-Bart sucht er weiter nach dem Wesen der Wirklichkeit.