Der singende Geschichtenerzähler von Nepal
21. November 2016Ankit Babu Adhikari lebt für seine Musik. Noch nicht ausschließlich von ihr, aber eben für sie. In seiner Musik fühlt er sich angekommen. Er hat gefunden, was er in seinem früheren Leben als Journalist vergeblich gesucht hat: Die Möglichkeit, sich selbst auszudrücken und Geschichten zu erzählen, die ihm persönlich wichtig sind. Diese Freiheit ist ihm sehr wichtig, sagt er. So wichtig, dass er seinen sicheren Job an den Nagel hängte und sich auf etwas völlig Neues einließ. Fast fünf Jahre lang war er davor bei zwei renommierten nepalesischen Zeitungen angestellt. "Mit 19 Jahren habe ich angefangen, als Journalist zu arbeiten." Zuerst war er bei der Kathmandu Post, schrieb über ganze unterschiedliche Themen: über Kriminalität, Sicherheit, Geschichte oder auch Menschenrechte. Danach war er ein Jahr als Korrektor bei der Himalayan Times.
Manch einer hätte ihn sicher um seinen Job beneidet, um das geregelte Einkommen, die sichere Zukunft. Er aber war nicht glücklich mit seiner Arbeit. Denn in der Festanstellung konnte er sich nicht aussuchen, worüber er berichten sollte. "In den nepalesischen Medien spielen politische Themen die Hauptrolle. Die Rede eines Spitzenpolitikers landet viel eher auf den Titelseiten als ein Sozialthema wie Medikamentenmangel in der Bevölkerung." Genau solche Themen aber sind es, die Adhikari am Herzen liegen. Darüber wollte er schreiben. Oft sei das aber nicht gewünscht gewesen, erinnert er sich. Dann habe er Kompromisse machen müssen. Und weil der Medienmarkt im Land insgesamt sehr überschaubar sei, habe er auch keine Möglichkeit gesehen, sich als Journalist weiter zu entwickeln.
Auf der Suche nach der eigenen Bestimmung
Trotzdem war die Entscheidung, seine Arbeit zu kündigen, eigentlich nicht geplant. Das habe sich eher einfach so ergeben. Denn Adhikari hatte sich für einen Masterstudiengang in Nachhaltiger Entwicklung eingeschrieben – und das ließ sich nicht mit seinem Vollzeit-Job bei der Zeitung vereinbaren. Mit Musik dagegen schon. Er sieht die Chance, seiner Leidenschaft nachzugehen. Und ergreift sie. Nach der Kündigung beginnt für ihn eine Zeit des Experimentierens. Er probiert sich aus, beginnt zu komponieren, zunächst Theatermusik. "Freunde und Kollegen hatten mir immer prophezeiht, dass ich eines Tages bei der Musik landen würde und dem Journalismus den Rücken kehre." Die Familie und seine Freunde haben ihn dabei immer unterstützt. Neben der Musik arbeitet er aber auch frei als Medienberater, außerdem ist er an der Uni an einem Forschungsprojekt beteiligt. "Das hat mir das Gefühl von finanzieller Sicherheit gegeben."
Adhikari nimmt auch an einer Gesangs-Castingshow im nepalesischen Fernsehen teil. Er schafft es unter die acht Finalisten, wird dann aber vom Publikum rausgewählt. Und beschließt für sich, dass die kommerzielle Musik nicht das Richtige ist für ihn. " Ich hatte keine Lust darauf, nur banale Schnulzen zu singen. Ich wollte keine Songs produzieren, die es auf dem Markt schon gab." Stattdessen möchte er das tun, was er als Zeitungsredakteur oft nicht tun konnte: Über die Themen singen, die ihn wirklich bewegen. "Meine Songs handeln von der Gesellschaft und von der Bedeutung des Lebens an sich. Ich wollte mir da eine ganz eigene Nische erarbeiten - die sich natürlich vom Mainstream der nepalesischen Musikindustrie unterscheidet." Dass er damit nicht über Nacht berühmt werden würde, das ist Adhikari klar. Aber darum geht es ihm auch gar nicht. "Ich erwarte keinen schnellen Umsatz. Mir geht es darum, mich langsam aber konstant weiterzuentwickeln. Ich möchte gar nicht mehr als zwei oder drei Songs pro Jahr herausbringen. Aber die sollen alle bedeutungsvoll sein."
Von Erdbeben, Göttern und Geistern
Seinen ersten eigenen Song veröffentlicht Ankit Babu Adhikari 2015 – nach dem verheerenden Erdbeben im April, bei dem mehr als 9000 Menschen ums Leben kommen. In "Ram Naam" zweifelt er die Existenz Gottes an. "Ich werfe die Frage auf, ob es Gott wirklich gibt. Ich möchte die Menschen ermutigen, in sich selbst nach ihm zu suchen." Das Lied läuft im nepalesischen Radio und im Fernsehen. Auf youtube haben sich mittlerweile mehr als 130.000 Menschen das Video angeschaut. Der Clip ist visuell aufwändig und liebevoll produziert: bunt, mystisch, fremd.
Offenbar hat Ankit Babu Adhikari damit einen Nerv getroffen. Über 550 Kommentare gibt es unter dem Video. "Ich habe den Replay-Knopf mindestens 100 Mal gedrückt. Was für ein brillantes Stück. Toller Song, tolles Konzept, tolle Kameraführung", schreibt ein User. An anderer Stelle heißt es: "Normalerweise mag ich keine nepalesischen Songs. Aber es gibt ein paar, die sind großartig. Und dieser hier gehört dazu." Ein Fan aus Indien bittet um eine Übersetzung: "Ich verstehe den Song zwar nicht, aber wenn ich ihn höre, fühle ich mich gut. Könnte ich den Text auf Hindi bekommen?"
Mit dieser Resonanz hatte er selbst gar nicht gerechnet. "Ich hätte nie gedacht, dass das beim breiten Publikum ankommt, weil es sich doch sehr vom Mainstram unterscheidet." Die Tatsache, dass die Menschen seine Musik angenommen hatten, ermutigte ihn zu einem weiteren musikalischen Experiment. Sein zweiter Song "Nau Futey Bhoot" (A 9-Foot-Ghost") handelt von der Blockade an der indisch-nepalesischen Grenze im vergangenen Jahr. Ausgelöst wurde die Krise durch Proteste zweier ethnischer Minderheiten. Sie sahen sich durch die im September 2015 in Kraft getretene neue nepalesische Verfassung benachteiligt. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die Verfassungsgegner blockierten mehrere Grenzübergänge. Das Nachbarland seinerseits schloss die Grenze unter Berufung auf Sicherheitsbedenken. So war Nepal zeitweise fast vollständig abgeschnitten von lebenswichtigen Nahrungsmittel-, Medikamenten- und auch Treibstofflieferungen.
Kommerzieller Erfolg zweitranig
Anders als der erste Song ist "Nau Futey Bhoot" allerdings kein durchschlagender Erfolg beim Publikum. "Ich denke, das lag daran, dass die Leute die Metaphern im Text nicht richtig verstanden haben. Aber dafür hat dieser Song sehr viel Medien-Aufmerksamkeit erreicht, weil es ein politisches Thema war", analysiert Sänger Adhikari. In seinem nächsten Song, der bald herauskommen soll, geht es um die Arbeiter in einer Teppichfabrik in Kathmandu. Ob dieses Lied gefällt? Ankit Babu Adhikari kann es nicht abschätzen. "Manche Songs werden vielleicht von einem breiteren Publikum angenommen, andere nicht. Aber so etwas darf einen nicht beunruhigen." Es gehe ihm ja in erster Linie um die Botschaften, die er mit seinen Stücken transportieren wolle.
Ankit Babu Adhikari tritt auch öffentlich auf. Am liebsten in einem Theater, nicht in Kneipen oder Clubs. Das habe ihm nicht gefallen, es habe nicht zu seiner Art der Musik gepasst, sagt er. Daneben hat er mittlerweile auch begonnen, für andere Produzenten zu komponieren. Für ihn hat sich der Schritt weg vom klassischen Journalismus voll und ganz gelohnt. Er ist glücklich mit seiner Musik. "Ich denke, dass ich mich jetzt als singender Geschichtenerzähler tatsächlich besser ausdrücken kann als in meiner Zeit als Journalist. Damals war ich an viele Regeln gebunden." Als Musiker kann er die Songs schreiben, die ihm gefallen und am Herzen liegen. "Und das ohne jede Einschränkung."